Jose DeChamp

Aphrodite Schatzsucherin


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in die Stille.

      Horcht auf ihn.

      Schläft er?

      Sie lauscht auf sein gleichmässiges Atmen.

      Ja, er schläft.

      Da ergreift er sacht ihre Hand. Ganz leicht fühlt sie den Druck seiner Finger. Die warme Handfläche.

      Bis zum Morgen hält er ihre Hand und so gewinnt er ihr Herz ganz und gar.

      Arm in Arm zur Akropolis auf den Philopappos Hügel, zu den Tempeln der Pallas Athene. Zum Parthenon des Perikleis, zu den Überresten eines Theaters, das sechs Jahrhunderte vor Jesus Christus dem Gott Dionysos geweiht wurde. Friedrich Schillers lachende Sonne wirft gleissende Flammen in ihre Gesichter, so weiss, das es in den Augen schmerzt. Zsófia nimmt das hitze-flirrende Athen in sich auf und fühlt sich leicht. Ist zum ersten Mal seit langer Zeit wieder glücklich. Als bade sie in der Hitze, so läuft sie leichtfüssig an Georgos Seite. Freut sich an seiner Sicherheit in dieser fremden Welt, betrachtet verstohlen sein ebenmässiges Profil. Georgos führt sie auf die Märkte Athens in der pulsierenden Innenstadt. Die Farben der Früchte, die bunten Stände, die Energie der erlebnishungrigen Reisenden - all das ist kostbar für sie. So oft sie seine Hand leicht an ihrer Taille fühlt, steigen Wellen der Freude in ihr auf.

      Georgos streicht behutsam ihre Wirbelsäule entlang. Er widersteht nur schwer dem Impuls, sie heftig an sich zu ziehen und nicht wieder loszulassen. “Ich war zu lange allein." Der Gedanke macht ihn ärgerlich. Er schaut auf ihr ausgeprägtes Gesicht, in die dunklen Augen, die selbst jetzt, als sie ihn anlacht, umwölkt zu sein scheinen. Mit einer gewissen Schwermut, die er in seinen jungen Jahren manchmal an seiner Mutter gesehen hatte. Die Wärme, die ihm Zsófia anbietet, hatte er als Kind im Überfluss von Mutter, Tanten und älteren Schwestern bekommen. Auch die romantische Liebe, die ihm Zsófia anbietet, hatte er später oft angeboten bekommen und nur selten angenommen. Etwas in ihm hat sich von klein auf dagegen gewehrt. Ihm scheint es, als führe sie zu einer zu grossen Verpflichtung. Einer Verantwortung für das Glücklich sein des anderen Menschen - für dessen unstillbare Erwartungen und Sehnsüchte. So leicht, sich in der Liebe zu verstricken.

      Georgos hatte Wege gefunden, sich zu entziehen. Musik, Konzerte, Tourneen, psychedelische Drogen hier und da. - Marijuana und LSD waren verlässlichere Freundinnen als Menschen. Doch gerade ist diese Balance beeinträchtigt. Zieht ihn etwas mehr zu Zsófia als zu allem anderen. Möchte er geliebt werden. Gedankenreisen gemeinsam machen, im Dialog stehen, wie ein Teenager fühlen und an Wunder glauben. Sich für Momente so mit einem Menschen verbinden, wie es nur Liebende vermögen. Er möchte träumen dürfen, das dies für immer sein könnte.

      Sie lächelt ihn fragend an und er streicht ihr langsam eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sagen kann er es nicht und auch sie schweigt.

      Als die Abenddämmerung hereinbricht und die Luft angenehm abzukühlen beginnt, winkt Georgos eine der alten Taxen heran und sie fahren durch die beleuchtete Innenstadt, eine der Hügelketten hinauf zu einem monumentalen, antiken Bauwerk. Hunderte von Menschen folgen einander durch die Eingänge in ein Stadium. Aufmerksam lenkt Georgos sie zu ihrer Reihe weit oben in der Menschenmenge. Zsófia hält für einen Moment den Atem an, so überwältigend ist der Anblick. Sie blickt in das halbrunde Stadium, tief unten ist eine Bühne und sie einfassend die mächtigen Ruinen eines dachlosen Bauwerkes, das sich, von unsichtbaren Lichtquellen angestrahlt, sandgelb von dem nachtblauen Himmel abzeichnen.

      "Das Odeon des Herodes Atticus", flüstert er ihr zu. Ganz unten in dem Halbkreis kann sie ein Klassikorchester ausmachen und als es zu spielen beginnt, so wie Hunderte von Streichinstrumenten und Flöten zugleich, wird ihr ganz wundersam ums Herz, so als habe sie dies schon einmal gehört.

      Sie lauscht Georgos' sanfter Stimme an ihrem Ohr, fühlt seine warme Hand, die ihre eigene sanft umfängt und wie so manchenVerliebten in Momenten tiefster Freude, wird ihr die eigene Sterblichkeit bewusst.

      Durch diese Mauern sind Generationen von Menschen gewandelt. Alle lange Staub, wo die Steine noch stehen. Und wenn auch sie selbst längst Vergangenheit sein wird, einen Augenblick des Erden Herzschlages gelebt und wieder gegangen - vergessen, so als sei sie nie da gewesen, dann wird das mächtige Odeon wohl noch immer auf dem Berge über Athen thronen. Für andere Liebende, Suchende, Reisende.

      Welch ein Trost wäre es, wenn sie glauben könnte. An ein ewiges Leben, Auferstehung oder Wiedergeburt. Wenn sie doch Gewissheit eines Glaubens hätte, um sich über die Vergänglichkeit des Glückes und des eigenen Lebens hinwegzutrösten. Wo ist der Sinn? Ist da ein Sinn? Gibt es ein göttliche Konzept, das über allem steht? Und wenn dem so ist, was ist dieses Konzept?

      Heftig zieht sie die Nachtluft in ihre Lungen ein. Sie lebt. Sie ist da. Jetzt und hier. Mit ihm.

      Wird nicht Aphrodite, die Göttin der Liebe, auch Ambologera genannt: Die, die das Alter hinausschiebt? Ist es nicht so, dass für Liebende die Zeit stillsteht und das "Ewige Jetzt", das es am Anfang gegeben hat, wiedererschaffen wird?

      Ach, in der Liebe liegt stets ein doppelter Drang: Die Zeit anzuhalten - und gleichzeitig das Leben fortzusetzen, das der Zeit angehört.

      Sie wünscht sich in diesem Augenblick nichts mehr, als die Zeit anzuhalten. Und so steht die Zeit still, wo sie andernorts umso schneller zerrinnt.

      Später, Stunden später, Jahre später, nehmen sie sich in die Arme.

      Zum ersten Mal, doch scheint es ihr, als seien sie seit Ewigkeiten zusammen. Sie schmiegen sich aneinander, suchende Hand über brennende Haut. Lippenabdrücke hinterlassen eine tiefe Spur. Alles neu, so berückend neu. Doch so vertraut, als seien sie immer zusammen gewesen. Zsófia fühlt es so und ihr Glauben wird zu Georgos’ Glauben. Ihre Kraft wird zu seiner Kraft. Ihre Liebe wird zu seiner Liebe. Ungestüme, fiebrige Alchemie. Fünf Elemente. Für einige Herzschläge, einatmend, ausatmend, einatmend, ausatmend, heftiger und heftiger, Ekstase, Göttin, Ekstase, Gott.

      Ein kleiner Tod.

      Ein neuer Atemzug und Rückkehr in die Dualität.

      "Es ist, als kenne ich dich ein ganzes Leben."

      "Ja, so ist es auch für mich."

      "Ich liebe dich so sehr, dass es schmerzt."

      Sie fühlt sein Lächeln in der Dunkelheit.

      "Die Kartenlegerin hat es dir doch gesagt."

      Sein scherzender Ton kränkt sie. "Ich meine es ernst."

      "Ich auch." Sie fühlt Bestimmtheit in seiner Stimme. Fühlt seine Hand, die ihre Hand drückt, wie um seine Worte zu unterstreichen. "Dauer ist nicht von Bedeutung. Wann kenne ich Dich und wann weiss ich, ob ich dich liebe? Nach drei Tagen, drei Monaten, drei Jahren? Es ist da, warum fragen." Georgos Stimme ist rau, fast flüsternd und seine Worte füllen sie mit Freude.

      "Was wird aus uns?"

      "Bleibe bei mir und finde es heraus."

      "Ist das denn möglich?"

      "Warum nicht?"

      "Ich kann doch nicht einfach weglaufen. Mein Leben ist in Deutschland."

      "Was ist so schlecht am Weglaufen? Du bist nicht glücklich dort. Der Mann dort macht dich nicht glücklich. Du machst ihn nicht glücklich. So bleib."

      "Dort ist doch mein ganzes Leben, mein Beruf. Ich kann das doch nicht einfach hinter mir lassen.”

      “Zurück ins sichere Leben?” Georgos’ Stimme klingt zweifelnd in der Dunkelheit.

      “Brauchst du keine Sicherheit?”

      “Ich bin Musiker, das schliesst Sicherheit wohl aus. - Zsófia. Meine wunderbare Zsófia”, er nimmt sie in die Arme, “Ich habe ein besonderes Gefühl für dich. Das geschieht mir nicht oft. Es ist lange her, dass ich so für eine Frau gefühlt habe. Du spürst es doch auch?” Seine Augen bohren sich durch die Dunkelheit. Sein Blick trifft sie tief.

      Zsófia weicht