Jose DeChamp

Aphrodite Schatzsucherin


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Eltern. Natürlich wollte sie deren Erwartungen erfüllen. Welches Kind will nicht, dass die Eltern stolz auf es sind? Es gelang nur nicht jedem. Ihr Vater war ein schwieriger Mann. Hatte eine entbehrungsreiche Jugend gehabt in Budapest. War gerade 21 Jahre alt gewesen, als er von Ungarn nach Deutschland gekommen war ganz alleine. Wenige Monate nach dem gescheiterten Volksaufstand von 1956 war er gerade noch aus dem besetzten Ungarn heraus gekommen. Das mag erklären, warum er seine Wut oft nicht zügeln kann. Mag erklären, warum er trinkt. So viele schwere Erinnerungen.

      Zsófia weiss, im neuen Land hatte der junge Ferenc Lakatos Hilfsarbeiten verrichtet und gleichzeitig studiert. In schäbigen Zimmern zur Untermiete gewohnt, Fremdenhass ertragen und alles gegeben, für Wohlstand und ein sicheres Leben. Schliesslich war das Leben besser geworden, die ‘Wirtschaftswunder Jahre’ waren auch zu ihm gekommen. Ein eigener Betrieb, er hatte geheiratet, ein Haus gebaut.

      Ferenc Lakatos stellte Frau und Kinder an ihren Platz und tat was ‘Üblich’ war. Er schwor, seine persönliche Festung nie mehr zu verlassen und er tat es auch nicht Als Zsófia begonnen hatte, den ihr zugewiesenen Platz in Frage zu stellen, war er, der ein zorniger Mensch war, nur zorniger geworden.

      Ihre Gedanken wandern zurück zu Tibor. Er hat etwa das gleiche Alter wie ihr Vater. Sie war ihm auf einer Kunstausstellungen vorgestellt worden. Das er Ungar war, hatte ihr Interesse geweckt. So waren sie Freunde geworden. Er hatte ihr von der Zeit damals erzählt, der Stimmung von Euphorie und Hoffnung in jenen Tagen im Oktober 1956, als Ungarn sich von der Sowjetunion losgesagt und eine eigene Regierung gebildet hatte. Von dem befreienden und wunderbaren Gefühl eine Gemeinschaft zu sein und etwas bewegen zu können, wenn die Menschen nur zusammen hielten. Zsófia liebt seine Schilderungen von Zivilcourage und Idealismus. Wie bedrückend mussten die Jahre danach für viele Ungarn gewesen sein. Wieder unter Sowjetischer Besatzung, schärfer bewacht und kontrolliert, als zuvor. Das war sowohl Tibor als auch ihrem Vater erspart geblieben. Warum also hatte Tibor die düsteren Bemerkungen gemacht? Er war wohl zu betrunken gewesen.

      Juan scheint ihr langes Schweigen nicht zu bemerken, theatralisch schlägt er sich an den Kopf. “Natürlich, das ich daran nicht gedacht habe. Mein Freund und seine Band. Spielen Jazz Standards, weisst schon Autumn Leaves, Body and Soul, There Will Never Be Another You, Ev’ry Time We Say Goodbye.” Juan lacht. “Das ganze Repertoire. Und ein wenig Stan Getz und Astrud Gilberto ‘Girl from Ipanema’. Gute Engagements, und haben keine feste Sängerin! Da könnest du vorsingen.”

      Juans erwartungsvollen Blick bringt Zsófia zum Lachen: “Und dann wird alles gut?” Juan schüttelt den Kopf: “Weiss ich nicht Zsófia, aber versuchen kannst du es doch?”

      Später in ihrer Wohnung kann sie lange nicht schlafen. Gedankenschleifen wie ein zu schnell fahrendes Karussell. Es strengt sie an. In den frühen Morgenstunden schliesslich werden die Augen doch schwer und die Tiefe zieht sie herab. Mit einem Aufschrei wird sie wieder wach. Mühsam tastet sie nach dem Schalter der Nachttischlampe. - Angst vor der Dunkelheit. Von klein auf hat sie die. Als würde dieses Dunkel sie einschliessen und ihr den Sauerstoff nehmen. Angst vor der Schwärze. Angst die Augen zu schliessen, wo sie doch die Tür im Auge behalten muss. Immer wieder die fixe Idee von einer haarigen Monsterklaue, die sich langsam zwischen Tür und Rahmen schieben könnte. Geräuschlos. Sie hatte das manchmal geträumt. Im Traum war das schemenhafte Monster auf sie zugekommen und sie war ganz starr geworden. Hatte sich nicht bewegen können. Sie hatte die Starre, die sie dann ergriffen hatte genauso gefürchtet, wie das drohende Unbekannte. Weil es sie ausgeliefert hatte. Augen fest zusammen gepresst und der eigene Herzschlag so laut, dass ihre Ohren fast explodierten. Immer derselbe Traum. Und wenn sie schreien wollte, kam kein Ton aus ihrer Kehle. Der Versuch zu Schreien und es nicht zu vermögen. Entsetzliche Ohnmacht.

      Sie hatte damals versucht, es ihrer Mutter zu sagen, aber die hatte nicht verstehen können, wie schrecklich dieser Traum war. Hatte es nicht hören wollen. Jetzt träumt sie diesen Alptraum nur noch selten, aber wenn sie eine ihrer Angstnächte hat, braucht sie Licht. Trotzdem hat sie dann Angst die Augen zuzumachen. Gerade schliesst sie sie, da reisst sie sie schon wieder auf und blickt panisch zur Tür. War da nicht wieder die haarige Tierklaue, die langsam und geräuschlos die Tür öffnete? Das schemenhafte Monster auf ihr Bett zu schleichend?

      Zsófia steht auf und schliesst die Tür, ganz leise. Dann stellt sie einen Stuhl davor. Endlich schläft sie ein, von Traumschlaf, den Schlafforscher als hypnagogische Halluzinationen bezeichnen zu Tiefschlaf oder NREM und schliesslich zu REM-Schlaf, der Phase des Träumens. Neuropsychologe Hobson beschreibt den Traum als eine Form von Irrsinn. Aber Zsófias Traum beginnt wie ein Ferienfilm.

      Sie ist auf einem kleinen Boot, mitten im Meer. Die See ist ruhig, es ist ein sonniger, warmer Tag. Sie ist nicht allein, da sind andere Leute, die ihr bekannt vorkommen, die sie aber nicht einordnen kann. Sie weiss, warum sie hier auf dem Boot ist. Es ist auf Kurs zur 'Theés Várka' - dem weissen Fährschiff, das zwischen den kleinen griechischen Inseln kreuzt. Sie will auf ihre Insel. Sie will zu Georgos.

      Das kleine Boot kommt nur langsam voran. Zsófia ist ungeduldig und voller Vorfreude. Sie hat so lange gewartet und jetzt zieht sich jede Minute endlos dahin. Aber die Mitfahrenden wollen auf einmal einen anderen Kurs einschlagen. Sie wollen nicht auf die 'Theés Várka' und sprechen von dringenden Plänen. Zsófia versucht sie mit Engelszungen zu überreden. Aber die anderen wollen nicht verstehen, wie wichtig diese Reise für sie ist. Das für sie alles davon abhängt. Was, wenn die anderen sie aufhalten? Da kann sie in der Ferne bereits das weisse Schiff ausmachen. Aufgeregt winkt sie. Das Fährschiff schlägt tatsächlich genau ihre Richtung ein. Sie rudert wie im Rausch. Sie muss es schaffen.

      Doch die Mitreisenden reden wild auf sie ein, sind böse auf sie. Zsófia fühlt sich, als würde der Unfrieden ihr Herz zerreissen. Sie weiss, das sie die Gewogenheit der anderen verlieren wird, wenn sie nicht innehält. Was, wenn sie wütend werden? Der Gedanke macht ihr Angst. Aber hat sie eine Wahl? Sie muss auf das Schiff, das nun fast neben ihnen im Wasser treibt. Jeden Moment wird es zu spät sein und die 'Theés Várka' vorbeigezogen sein. Sie muss springen. Verzweifelt fleht Zsófia die Reisenden an, sie ziehen zu lassen. Es sind so viele. Sie haben soviel Macht.

      Jetzt ist die 'Theés Várka’ genau neben ihr. Das ist der Moment. Jetzt muss sie die anderen verlassen. Sie schaut sich noch einmal nach ihnen um, sieht zwei der Frauen weinen und plötzlich steht ein riesenhafter Mann auf, sieht sie herausfordernd an: "Das schaffst du nicht! Du kannst das nicht! Niemals Zsófia!", verhöhnt er sie mit dröhnender Stimme.

      Sie weiss, sie dürfte nicht auf den Riesen hören, müsste an ihm vorbei und springen. Aber sie hat Angst vor ihm. Und was er ruft, zieht von einem Moment auf den anderen alle Energie aus ihr heraus. Sie sinkt in sich zusammen, so als habe sie keine Knochen im Körper, liegt nur da, ohne jede Muskelkraft, völlig gelähmt. Dumpf hört Zsófia das mächtige Schiffshorn der 'Theés Várka', unzählige Menschen dort hängen sich über der Reeling, feuern sie an, bereit, sie hinaufzuziehen. Aber sie kann sich nicht rühren und schon ist es zu spät, der Moment des Absprunges verpasst.

      Sie weint und weint, hasst den Riesen, der sie von oben triumphierend auslacht, aber mehr noch hasst sie sich selbst.

      'Theés Várka', Zsófia murmelt den Namen der weissen Fähre während ihre Hand über den Schreibtisch fährt. Sie kann die Bilder aus dem Traum nicht abschütteln und fühlt sich wie eine Schlafwandlerin. "Du schaffst das nicht! Niemals!", schallt es in ihren Ohren. Es ist qualvoll.

      In der Agentur ist es ruhig. Verträge abgeschlossen und ihre Entwürfe sind im Druck. Nach dem Tag und Nacht Durcharbeiten in der letzten Woche hat die Produktionsphase etwas friedvolles. Nur Karl ist angespannt. Dauergespräche mit seinem Anwalt hinter verschlossener Tür. Er verbringt viele Abende mit seinem Anwalt. Auch Geschäftsbesprechungen scheinen mehr und mehr ohne sie stattzufinden. Als sie es anspricht, wird Karl wütend. "Traust du mir etwa nicht. Ohne Vertrauen können wir unsere Beziehung gleich vergessen.” Und so nimmt sie es hin.

      Zsófia trinkt zuviel. Sie ist schon mittags so müde und niedergeschlagen, dass sie einen Ramazzotti zur Aufmunterung braucht. Ohne würde sie es nicht mehr schaffen, in die Agentur zurückzukehren. Abends braucht sie etwas zu Trinken, um einschlafen zu können. So sterbensmüde sie sich tagsüber auch fühlt,