Jose DeChamp

Aphrodite Schatzsucherin


Скачать книгу

7

      Zsófia verlässt die Insel, Georgos und den Traum - kehrt zurück in ihr Leben auf dem festen Land. Sie bereut es, als sie Georgos zum letzten Mal umarmt. Als ihr Taxi zum Elefthérios Venizélos Flughafen fährt. Als sie ihren Pass vorzeigt und später, als sie in der erstickenden Sommerhitze Griechenlands ins Flugzeug steigt. Ein Teil von ihr will aufschreien, aufspringen und zurücklaufen. Aber sie ist wie gelähmt. Auch jetzt in ihrer Stadt angekommen, funktioniert sie, wie ein dressiertes Zirkuspferd. Tag um Tag und schliesslich Jahr um Jahr.

      "Ich will niemals tun, was üblich ist.” Was hatte sie damals damit gemeint? ‘Vielleicht habe ich es gesagt, weil ich nicht so sein wollte, wie meine Mutter.’, denkt Zsófia. Sie lehnt sich in dem aufheulenden Wagen zurück und blickt auf den Mann an ihrer Seite. Juan hatte Karl von Anfang an nicht gemocht. “Zsófia, der Mann hat so wenig Vertrauen. Er kontrolliert dich.” Zsófia versteht erst jetzt, was Juan damit hatte sagen wollen. Aber vielleicht sind Karl und sie gar nicht so verschieden? Er, der Liebe nicht annehmen kann und sie die der Liebe dort nachläuft wo sie sie nicht bekommen kann?

      So wie ihre Mutter. Eine Frau, die scheinbar keine Stimme und keine eigenen Wünsche gehabt hatte. Deren Lippen fest zusammen gepresst gewesen waren und feste Gedanken hatten erahnen lassen. Vielleicht war Freude in der Kargheit ihres ländlichen Lebens verloren gegangen, Leichtigkeit etwas, was die Erde in ihrer Familie nicht hergab. Und so war auch die Tochter Zsófia in der Schwere gross geworden. Mutter und Tochter kannten einander und waren einander fremd. Eine Fremde hatte ein seltsames Kind versorgt, so wie es sich gehörte. Sie hatte Zsófia ‘Das Kind’ genannt. Ihr Vater hatte sie ‘Die da’ genannt, auch wenn sie neben ihm stand.

      “Zsófia hast du das Ladegerät für die Kamera eingepackt?”

      Sie sieht den Mann für einen Moment lang verständnislos an und deutet dann nickend auf ihre Tasche. Karl flucht verhalten, weil der Wagen vor ihnen abrupt zum Stehen kommt. Auch Zsófia presst die Lippen zusammen. Die Rennmaschine riecht nach teurem Leder. Karl liebt schnelle Autos und der schwarze Porsche mit den roten Sitzen ist seine neue Errungenschaft. Zsófia kommt aus einfachen Verhältnissen. Sich offen am Luxus zu erfreuen, widerspricht einer inneren Biederkeit, die schon die ihrer Mutter und Grossmutter gewesen war.

      Zsófia trägt ein enges Kleid mit hohen Schuhen und hat Mühe beim Aussteigen aus dem tiefer gelegten Wagen. Karl ist wie so oft ungeduldig vorgelaufen und sie ist verstimmt, dass er ihr nicht zur Hilfe kommt.

      Die Halle des Golfclubs ist voller Menschen und Tibor, ein berühmter Maler, reagiert auf die Veranstaltung mit politischer Wut. Wild gestikulierend geht er auf das erlesene Publikum los und schwingt dabei bedrohlich eine Wodkaflasche. Ein Freiheitskämpfer im Exil. Als junger Kunststudent hatte Tibor in Budapest für die Unabhängigkeit Ungarns gekämpft, das unter sowjetischer Besetzung gestanden hatte. Wie ihr Vater war Tibor nach dem Scheitern der Revolution (1956 bis 1957) aus Ungarn geflohen. Aber anders als Ferenc Lakatos reiste Tibor wieder in seine alte Heimat, als im Jahre 1989 der Eiserne Vorhang geöffnet wurde. Es war das Jahr in dem die Grenzanlagen zwischen den Ostblockstaaten und Westeuropa geöffnet worden waren. Michail Gorbatschow, President der Sowjetunion, hatte mit Perestroika, was Umgestaltung bedeutete und Glasnost, was für Offenheit stand, den Boden für Demokratisierung bereitet. Aber wie Tibor immer sagt, die gewaltige Welle der Veränderung hatte in Ungarn begonnen. Tibor feiert beide Tage, den 2. Mai, der den Beginn der Grenzöffnung bedeutet hatte und die Nacht vom 10. zum 11. September 1989, an dem die Ungarn an der Grenze zu Österreich keine Kontrollen mehr durchgeführt hatten. Tausende von Deutschen hatten seit Wochen in Ungarn an der Grenze kampiert und auf diesen Moment gewartet. In dieser Nacht überschritten 50.000 DDR Deutsche die Grenze nach Österreich um in die Bundesrepublik einzureisen. Ein Jahr später waren die beiden deutschen Staaten wieder ein Staat geworden. Ein Staat von selbstsüchtigen Kapitalisten ohne Seelengrund. Unbewusste Menschen, die Gedankenfreiheit weder zu schätzen noch zu nutzen wussten, so sieht es Tibor.

      "Der Krieg ist überall! In der Familie fängt er an - Keimzelle der Gesellschaft - Bah!", hier speit er die Worte angewidert in die Menge. "Keine Zivilcourage! Die Lämmer der Konsumgesellschaft. Gleichgültig lassen sie es geschehen, dass Völker verhungern, damit es ihnen nur gut geht, bah!" Er spuckt auf den Boden. "Folgen ihren Hammeln. Bücken sich nach oben und glotzen nur, wenn Verbrechen vor ihren Augen stattfinden. Schaut euch doch um in eurer beschissenen Stadt. In eurem selbstgezimmertem Betonsarg. Ein Gefängnis der Bequemlichkeit und die Massen glotzen durch die Gitterstäbe."

      Dann schreit er plötzlich: "Und ihr hier könnt auch nur glotzen! Wie blöde Fische."Auf unsicheren Beinen macht er eine raumgreifende Geste, "Ihr seit der Krieg! Eure Gleichgültigkeit ist Mord. Ihr seit alle Mörder!"

      Zsófia ist nicht mutig. Sie würde gern so tun, als kenne sie Tibor nicht und unauffällig weitergehen. Da stehen sie im Kreis um den rasenden Mann, als gelte es einen schwer getroffenen Preisboxer in seinem K.O. Fall zu studieren. Ein verwundetes, wildes Tier, das man vorsichtig belauert, denn obschon tödlich getroffen, könnte es doch gefährlich werden.

      Frau Doktor und Herr Stadtdirektor. Behängt und geschmückt. Der Kleiderketten-Magnat trinkt zuviel und seine Frau flaniert mit Champagner und erstarrtem Lächeln an Tibor vorbei und beurteilt die Männer im Saal. Ausserdem, betont distanziert, ein eher avantgardistisches Publikum in schwarzem Tuch. Weisse Gesichter, filigrane Männer mit spöttisch herab hängenden Mundwinkeln. Die Münder der Frauen starren wie blutrote Wunden aus bleichgepuderten Flächen. Die Frau eines Fertighaus Milliardärs ergreift die Flucht vor dem betrunkenen Maler, der, bedrohlich mit den Armen gestikulierend, auf sie zukommt. Eine Theateraufführung. Aber sie ist ein Teil des Schauspiels. Tibor ist ihr Freund, der allmählich seine Genialität versäuft. Schnell stellt sich Zsófia neben ihn und legt ihm die Hand auf die Schulter. Sein wutverzerrtes Gesicht entspannt sich, als er sie erkennt und unter dem grauen Bart beginnen sich die wulstigen Lippen zu einem Lächeln zu verziehen.

      "Ach Täubchen, bin ich froh, dich zu sehen. Dachte, du bist noch auf deiner Insel." Tibor streichelt ihr schwerfällig über das Gesicht. “So ein feines Mädchen. So ein Töchterchen hat dieser feige Verräter nicht verdient.” Zsófia erwacht aus ihrer Starre und starrt ihn verblüfft an. Der schwergewichtige Maler nickt düster. “Täubchen, ich habe sie nicht vergessen, die Ratten damals, die das sinkenden Schiff verliessen.”

      Zsófia hält Tibor am Arm. "Wovon sprichst du?” Aber Tibor hört nicht mehr zu, schwer lässt er sich auf einen der Clubsessel fallen und schliesst die Augen. Zsófia streichelt mechanisch seine Schulter, während ihr Blick über die Anwesenden wandert. Der Kulturjournalist einer landesweiten Tageszeitung betrinkt sich hastig, weil er nicht glücklich ist. Zsófia hört, wie er seiner Praktikantin erklärt, dass die grossen Landesmuseen kaum noch öffentliche Gelder bekommen und das die Meisterwerke deshalb für immer in den Tresoren der Superreichen verschwinden. In einer anderen Ecke nehmen die Bosse der miteinander konkurrierenden Finanzblätter den korrupten Immobilienmagnaten Heide in Beschlag. Beide versuchen auf ihre Art, Eindruck zu schinden - es gilt, einen grösseren Werbeetat heraus zu handeln. Der elegante - Designer gekleidete Anatol in seiner ganzen Einmeter Fünfundneunzig Pracht und der kleine, immerzu grinsende Mick, der eigentlich schon seit Jahren pleite sein müsste. Jetzt schlägt Franziskus, Skandalreporter von Mick ihre Richtung ein.

      "Was für eine gelungene, kleine Festivität." Franziskus lächelt süsslich und nippt an seinem Kräutertee. Er trinkt niemals etwas anderes.

      Zsófia nickt. "Ja, könnte mir kaum etwas besseres für einen Freitag-Abend wünschen." Sie blickt auf Tibor, der wie ein mächtiger See-Elefant über dem Samtkanapee hängt und zwischen dem Bedürfnis einzunicken und der Wodkaflasche hin und her schwankt. "Was gibt es Neues auf der Szene? Du weisst doch immer alles?"

      Franziskus versucht zu überspielen, dass er sich geschmeichelt fühlt. "Alles so entsetzlich langweilig. - Der da", er weist auf Tibor, "ist noch das einzig Lebendige hier."

      "Er zahlt einen hohen Preis." Zsófia schweigt betreten. Hat sie zuviel gesagt? Doch ihre Sorge ist unbegründet. Franziskus hat ihr gar nicht zugehört. Er blickt düster ins Leere und macht eine dramatische Handbewegung in den Raum. "Ich würde am liebsten abhauen von hier. Auswandern. Eine Weltreise."

      "Franziskus,