Ellen Groß

Medea


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einen Talisman in Gold – ein vierblättriges Kleeblatt. Er bemerkt Marielenas Neugierde, greift danach, sieht für Sekunden auf den Anhänger, flüstert: „Das ist mein portafortuna, mein Glücksbringer, ohne den ich nicht mehr leben kann.“ Roberto grübelt, was soll das Hervorheben dieses Schmuckstücks, das er bisher an dem Freund noch nie gesehen hat.

      Marielena fällt, an der Seite von Margareta di Positano, eine junge Frau auf – in einem barocken Gewand. Ihre Augen sind fiebrig glänzend, weit aufgerissen, fast bedrohlich. Sie verfolgt jede Geste von Amedeo, lässt ihn nicht aus den Augen. Nun öffnet sie die Spange im Haar, schüttelt die schwarze Lockenpracht und wankt auf halsbrecherischen Absätzen auf sie zu. Die junge Frau begrüßt Roberto, ohne Marielena eines Blickes zu würdigen. Ihre Begeisterung für die Sfilata kennt keine Grenzen, sie spricht hastig, verliert hin und wieder den Faden.

      „Alessia ist seit Jahren die rechte Hand von Amedeo“, raunt Roberto Marielena zu, „obendrein unheilbar in ihn verliebt.“ Die Präsidentin bewegt sich nun langsam durch die Menge, zu ihnen hin, nicht einmal ein geringfügiges Lächeln will ihr gelingen.

      Ohne Reverenzen zu erweisen, wendet sie sich an Roberto: „Wie hat dir dieses Spektakel gefallen?“ „Zia Margareta – die Show ist dem Spirit der Zeit angepasst“, lächelt Roberto süffisant.

      „Das hätte ich mir denken können, dass du Amedeo beistehst“, erwidert sie, ohne zu erfassen, dass Robertos Worte nicht ernst gemeint waren.

      Erst jetzt nimmt Margareta Notiz von Marielena. „Wollt ihr mir nicht die junge Dame vorstellen?“ Sieht herausfordernd erst ihren Sohn Amedeo, dann Roberto an.

      „Das, Mamma, ist Silvios Partnerin“, stellt Amedeo Marielena ironisch lächelnd vor.

      „Ach, endlich begegne ich Marielena Floris“, betont sie abschätzend.

      „Dottoressa Marielena Floris, Signora“, hebt Marielena herablassend hervor.

      Die Präsidentin wendet sich von Marielena ab, ihrem Sohn zu und unterrichtet ihn, dass sie die anwesenden Journalisten zum Abschluss der Show zu einer Lichterfahrt auf der Seine eingeladen habe.

      „Bewusst“, betont sie aggressiv, um das Pressevolk nachsichtig zu stimmen angesichts der zu erwartenden Kritiken.

      Amedeo lehnt ohne Scheu ab. Ordnet patriarchisch an, dass Alessia ihn für den Rest des Abends vertreten müsse.

      Die Präsidentin gerät in Rage. Amedeo erlaubt sich, ihr frei heraus die Stirn zu bieten. Das war die Präsidentin bisher von ihrem Sohn nicht gewohnt. Fassungslos rauscht sie ab. Margareta di Positano verlässt furios das Palais, gefolgt von der verunsicherten Alessia.

      Marielena und Roberto gehen mit Amedeo in die Bar um die Ecke.

      Einige Nachtschwärmer diskutieren unüberhörbar die Sfilata. Modelle mit sündig weit geöffneten Beinen sitzen da und schlürfen Champagner.

      Mit einem fröhlichen „Hallo“ begrüßen alle Amedeo. Marielena überrascht Amedeos verändertes Gebaren. Ohne Verpflichtung hier zu erscheinen, stimmt ihn sichtlich heiter. Roberto verweilt an der Bar.

      Amedeo und Marielena nehmen an einem Tisch in der Ecke Platz.

      Plötzlich kehrt seine Traurigkeit zurück, die demonstrierte Heiterkeit entpuppt sich als Resignation.

      „Marielena, ich bin ein Seelenloser, meine Seele ist schon seit geraumer Zeit gestorben“, flüstert er verzweifelt. „Man stirbt sehr langsam. Zuerst geht die Seele, dann schleppt sich der Körper allein durch die Welt.“ In Amedeos Gesicht liegen halb kindliche, halb feminine Züge.

      „Man darf nie aufhören, die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten. Die Früchte im Garten Eden waren zu süß, leider habe ich den Apfel vom Baum der Erkenntnis nicht verschmäht. Was ein Fehler war.“ Marielena blickt irritiert vor sich hin, sie kommt nicht dahinter, was das soll.

      „Deine Anwesenheit tut mir gut, beruhigt mich.“ Mit leiser Stimme fährt er nachdenklich fort: „Ich weiß nicht einmal genau, wann ich erwachsen wurde. Es muss in den letzten Monaten geschehen sein.“ Amedeo wirft plötzlich sein leeres Glas über die Schulter an die Wand – soll dieses lächerliche Gehabe eine Geste der Rebellion sein?, fragt sich Marielena verblüfft.

      Amedeo erhebt sich, verlässt, ohne Marielena eines Blickes zu würdigen, den Tisch, an der Tür kehrt er noch einmal um und kommt zurück.

      „Wichtige Dinge, meine Liebe, passieren oft sehr unspektakulär. Ich danke dir, dass ich mich eine Weile in deinen schönen Augen ausruhen durfte“, sagt er theatralisch und verlässt mit hastigen Schritten die Bar, ohne sich noch einmal umzudrehen.

      Ein Künstler darf auch einmal hochtönig sein, vielleicht braucht er das, wenn die Show vorbei ist, rechtfertigt Marielena Amedeos eigenartiges Benehmen.

      Roberto setzt sich zu ihr, sieht ihr prüfend in die Augen. „Marielen..., mir scheint, Amedeo hat dich verwirrt.“ „Ja, da könntest du recht haben“, erwidert sie. „Die Güte, das wilde Durcheinander seiner Gedanken und die unpassende Mischung seines Modestils haben mich in Erstaunen versetzt. Was für eine bizarre, den Rahmen sprengende Persönlichkeit!“ Roberto bringt Marielena in ihr Hotel, zum Abschied legt sie ihre Hand auf seinen Arm: „Roberto, ich weiß, man kann natürlich alles Mögliche in Amedeo hinein interpretieren. Er selbst provoziert Vermutungen. Es gibt einen gewissen Punkt im Leben eines jeden Menschen, wo man verzweifelt ist und nicht mehr weiter weiß. Ich glaube, da ist Amedeo angelangt. Du solltest herausfinden, was ihn belastet.“ „ Cara mia, ich bin ganz deiner Meinung, nur lässt es Amedeo nicht zu, dass man in seine Intimsphäre eindringt. Da kann er sehr eigensinnig sein.“ Roberto empfiehlt sich und lässt Marielena allein mit ihren Bedenken.

      An der Rezeption des Hotels findet Marielena eine Nachricht von Bruno vor. Eine Einladung zum Abendessen.

      Bruno Sagan weiß, dass Marielena immer im „Murano“ nächtigt, wenn sie in Paris ist. Ihm ist also bekannt, dass ich zu dem Seminar komme, sagt sie sich erneut aufgebracht.

      Manchmal hilft es ja, innezuhalten, sich zu fragen: Was ist das Richtige? Marielena wägt das Für oder Wider der Begegnung ab, kommt jedoch wehmütig, außerdem übermüdet zu dem Entschluss: Diese Entscheidung verschiebe ich auf morgen, da ist wieder ein anderer Tag.

      4.

      Es weht ein rauer Wind. Der Himmel ist wolkenverhangen. Marielena würde am liebsten den Kopf noch tiefer im Mantelkragen vergraben. Doch das Beste an diesem unfreundlichen Tag – ihr Pariser Aufenthalt neigt sich dem Ende zu, grazie al cielo, ja, dem Himmel sei Dank, das Seminar ist ausgestanden.

      Am Place de la Concorde, wo jeder mit hastigen Schritten sich einen Weg bahnt, muss ihr ausgerechnet Bruno Sagan entgegenkommen.

      Sie hat sich bewusst nicht bei ihm gemeldet! Marielena kennt den Blick, dieses frech-charmante Grienen, mit dem er unbeirrt, ganz ruhig auf sie zu geht. Sie wortlos an sich zieht und leidenschaftlich mitten auf dem Platz küsst.

      Das Aufregende daran ist, dass eine ungeklärte Situation zwischen ihnen steht. Keiner von beiden verliert darüber ein Wort. Bruno versucht, in ihren Augen, in ihrer Mimik zu lesen. Doch ihr Gesicht ist ausdruckslos, unbeweglich, gibt nichts her. Bis Bruno endlich den ersten Schritt wagt und ihr gesteht, dass er sie vermisst habe. Es ist kaum zu glauben, wie augenblicklich das Eis, auf dem Marielenas Sehnsucht lagerte, schmilzt.

      Seltsam!? Begierde steht nicht einmal bei ihr im Vordergrund.

      Nein! Emotionen! Das Plätschern des Brunnens lässt Brunos Worte widerhallen. Seine Einladung in ein Restaurant nimmt sie spontan an. Achtlos schiebt Marielena alle guten Vorsätze und die negativen Erinnerungen beiseite.

      Bei Tisch ist Bruno entspannt, bewundert die Farbe des Rosè, wie er abperlt im Glas und prüft anhaltend die Aromen des Weins, als sei nichts wichtiger. Das Essen und der Wein lassen ihre Sinne flirren und leistet der Erregung Vorschub.

      Beide gehen, wie kann es anders sein, auf sein Hausboot. Das gedämpfte Licht, die leise Musik, hinzu kommen seine erregende Worte, die er ihr ins Ohr