Ellen Groß

Medea


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blindgläubig.

      Sie ist verliebt und ihre Emotionen sind tiefgreifend. Empfindungen sind bei erotischen Spielen oft hinderlich. Marielena hält sich nicht daran, sie gesteht ihm ihre Zuneigung. Es wäre ratsamer gewesen, statt die Schleusen der Gefühle zu öffnen, im Gegenzug klug zu pokern.

      Doch unseligerweise..., è l`amore cieca! Ja, die Liebe ist blind! Bei einem letzten Glas spricht Marielena den Lehrgang an. Sie kennt Brunos Unart, wenn er den Kopf neigt und die Augen ins Leere richtet. Die Vermutung, dass es Bruno war, der ihr die Fortbildung für Anfänger zugemutet hat, erhärtet sich. Warum nur, fragt sie sich. Diese Anweisung aus dem Hinterhalt gefällt Marielena nicht. Nachdem sie ihn in die Enge getrieben hat, gesteht er kleinlaut, dass er sie sehen wollte. Marielena befürchtet, das ist noch nicht alles, fragt nach.

      „Ja“, sagt Bruno zögernd: „Da gibt es etwas!“ Erneut macht er eine Pause. „Deine Beziehung zu Capitano Silvio Amato. Bei unserer letzten Begegnung, im Winter, hat uns ein Kollege und guter Freund auf der Straße gesehen. Jean kennt Silvio Amato und weiß von eurer Beziehung. Er hat mich in der Nacht, als du schliefst, angerufen. Marielena, ich war enttäuscht, weil du nicht offen zu mir warst. Du musst dich entscheiden!“ Er spricht fordernd, allerdings mit leiser Stimme: „So kann es mit uns nicht weitergehen. Ich kann und will dich nicht teilen müssen!“ Es klingt nicht zynisch, eher so, als wünschte er sich nichts sehnlicher. „Vielleicht“, sagt er ergänzend, „seid ihr ein modernes Paar, das einander viel Freiheit zugesteht, nur da spiele ich nicht mit!“ Er wendet sich nun merklich von ihr ab. Marielena ist weder erschrocken noch überrascht, irgendwann, das wusste sie zu Beginn, muss sie den einen dem anderen vorziehen. Silvio oder Bruno. Das gefürchtete Abwägen setzt in ihrem Kopf ein, was natürlich schwerfällt und bange macht, das steht außer Frage.

      „Bruno“, lächelt sie ihn an, „du hast die Courage, mir Bedingungen zu stellen, ohne mir zu sagen, was ich dir bedeute. Es muss nicht immer rote Rosen regnen, doch den Nachweis deiner Liebe habe ich vermisst.

      Für mich gilt jetzt erst einmal herauszufinden, was für Folgen mir die Veränderung brächte.“ Bruno reagiert daraufhin befremdet.

      Ein jähes Ende findet dieser Zwiespalt, der aufgekommen ist, durch das Telefon. Bruno muss sofort in die Zentrale, ein Alarm wurde ausgelöst.

      Mit wehmütigem Blick verabschiedet er sich hastig von Marielena.

      Der Dienstwagen wartet schon, unüberhörbar ist der Klang des Martinshorns. Bruno fährt mit viel Getöse davon. Marielena sieht schweren Herzens, wie das Schlusslicht des Autos immer kleiner wird, bis es am Horizont verschwindet.

      Adieu Bruno!

      Es ist noch früh am Abend, Marielena geht langsam in ihr Hotel.

      Sie hat den letzten Flug Paris-Rom gebucht.

      Sehnt sich nur noch nach ihrer vertrauten Umgebung, nach Rom.

      Es ist der Sieg des Praktischen über die Leidenschaft.

      Über den Wolken brütet sie über alles noch einmal nach, spürt instinktiv, dass sie auf der Hut sein muss. Denn der Pfad von der Realität in die Träumerei ist kurzweilig. Irrungen können langwierig sein. Marielena ist konfus, sie hat nicht damit gerechnet, dass der Tag so schnell kommt, an dem sie sich entscheiden muss. Brunos Anspruch steht ihrem Bedürfnis nach Freiheit im Wege.

      Es ist aber auch unendlich schwer, die Vorstellung des anderen zu befriedigen, gleichzeitig seiner eigenen treu zu bleiben, rechtfertigt sie sich. Verlangt Bruno zu viel? Es ist riskant, wie sie von der Liebe träumt, die es so wahrscheinlich gar nicht gibt. Dennoch nimmt Marielena ein Bereitsein wahr.

      Es ist Vollmond und schon nach Mitternacht in Rom. Marielena sitzt im Taxi vom Airport Leonardo da Vinci zu ihrem Appartement. Sie atmet tief durch, ist froh, wieder zu Hause zu sein. Bereits auf der Treppe ist ihr Blick sehnsüchtig auf die Tür gerichtet, ein wohliges Gefühl steigt auf, sie weiß, dass dahinter zwei Zauberwesen warten – Kater Peppino und Katze Lili.

      Bruno ist erstmal ad acta gelegt. In ihrem Refugium verwandelt sich alles, hier ticken die Uhren anders als in Paris.

      Das Telefonino holt sie aus dem Schlaf, neugierig sieht sie nach. Bruno simst, er habe voreilig gehandelt, könne vorerst noch keine Bindung eingehen, bräuchte Zeit zum Nachdenken! Auch wenn es hart ist, darf sie Brunos kapriziöse Launen nicht länger tolerieren. Marielena vermutet, dass sie Bruno zu viel Interesse gezeigt hat. Das muss ihn in Angst und Schrecken, vor einer Bindung, versetzt haben. Dämmert es ihr im Nachhinein.

      Je mehr sie sich auf seine Gefühle verlässt, um so übler spielen die ihr mit. Was sagte Napoleon einst?, denkt sie ironisch: „Die Liebe ist die einzige Schlacht, die man durch Rückzug gewinnt.“ Es liegt ein seltsamer Unsegen auf dieser Liebe.

      Marielena simst Bruno zurück: „Leb wohl!“ Sie weiß, was sie nicht will.

      Ohne mich sagt sie sich entschlossen.

      Fest steht – Bruno wird fortan Vergangenheit sein!

      5.

      In vorwurfsvoller Zwiesprache mit sich selbst ist Marielena zu Hause abgetaucht. Die abgeblendeten Jalousien tragen nicht dazu bei, ihre Wehmut zu mildern. Die Couch ist heute ihr Schlupfwinkel. Anrufe hat sie auf die Mailbox umgeleitet. Gut und schön, meine Liebe, setzt sie ihren Gedankenaustausch mit sich selbst fort, die Zeit der Abwege ist vorbei. Marielena muss Brunos Abfuhr hinnehmen, auch wenn ihr Ego sich damit schwer tut. Kummer in der Liebe haben schon viele ertragen müssen. Sehnen wird immer angeheizt aus dem Gefühl heraus, etwas zu begehren, was man nicht haben kann. Unmissverständlich ermahnt sie sich: Du musst zu Bruno auf Distanz gehen! Bei aller selbstbewussten Allüre im Alltag ist tief in Marielena das Verlangen nach Geborgenheit verankert. Sie ist auf den Boden der Realität zurückgekehrt, erhebt sich, öffnet die Jalousien und atmet tief durch, stellt die unvermeidliche Frage: Bist du von allen guten Geistern verlassen, mit Grübeln und Hadern deine Zeit zu vertun?

      Es läutet. Draußen steht Signora Alba, Silvios Mutter. Mit dieser Überrumpelung hat sie weiß Gott nicht gerechnet. Marielena traut den Augen nicht, steht da wie vom Blitz getroffen.

      „Störe ich, darf ich näher kommen?“ Noch bevor Marielena antworten kann, geht Alba an ihr vorbei und legt ab. Signora Amato geht ungeniert durch die Wohnung, tut so, als sei sie hier zu Hause. Fundstücke von der Porta Portese, dem größten Trödelmarkt Roms, Antiquarisches und Modernes schaffen in Marielenas Bleibe eine behagliche Atmosphäre. Auf den ersten Blick, denkt Alba, erkennt man nicht diese findige Planlosigkeit. Alba ist über das fantasievolle Gestalten mit Farben, Formen und Zeiten fasziniert, das hat sie nicht erwartet.

      „Jetzt kann ich verstehen, dass du nicht zu Silvio ziehen möchtest und er sich hier wohlfühlt“, gesteht Alba unverhohlen. Marielena ist sprachlos, es kommt nicht häufig vor, dass Silvios Mutter ihr große Sympathie entgegen bringt. Meist verhält sich la Signora Marielena gegenüber sehr distanziert, um nicht zu sagen, ablehnend.

      Marielena erinnert sich – Virgilia di Natale: Silvio lud sie Heiligabend nach Frascati ein, ohne seine Mutter vorher zu fragen. Beim Betreten der Villa las Marielena an Albas abweisendem Blick, dass sie im Hause Amato nicht wohl gelitten war. Es fehlte nicht nur der Weihnachtsbaum, auch die festliche Stimmung. Signora Alba, die Neapolitanerin, zieht die Krippe, wie es in Neapel Brauch ist, dem Baum vor.

      Roberto begrüßte Marielena nur mit einem flüchtigen Nicken. Er war verstimmt. Sein Lebensgefährte, der Journalist Alberto Sari, durfte an der Familienfeier nicht teilhaben. Alba missbilligt vehement Robertos gleichgeschlechtliche Liebe zu seinem Freund. Daher mühte er sich am Klavier an Johann Sebastian Bach ab. Denn seiner Mutter wagte Roberto an Heiligabend keine Absage zu erteilen, das wäre undenkbar gewesen.

      Laura, Silvios Schwester, war mit ihrem Mann Adolfo anhaltend im Streit. Von deren Sprösslingen ganz zu schweigen. Bauklötze flogen allen um die Köpfe, Barbie wurde enthauptet und der arme Hund Rocco auch nicht von Derbheiten verschont.

      Silvios jüngste Schwester verließ erst gar nicht ihre vier Wände, die Technomusik aus Paulas Zimmer war nicht zu überhören.

      Silvio