Ellen Groß

Medea


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es ist eher eine Frage des Ansehens. Hoch oben an den sonnenverwöhnten Hängen, von Pinien und Oleanderhecken umgeben, liegt Alba Amatos Villa.

      Im Hinblick auf Silvios Geburtstag und Albas Weinpräsentation ist das Ferienhaus für eine hochkarätige Gesellschaft herausgeputzt. Capri, die grüne Insel, ist für diesen Anlass werbewirksam.

      Marielena und Silvio haben sich nach dem Abendessen zurückgezogen. Die Luft ist lau. Selbst mitten in der Nacht hört man nur leise das Meer rauschen. Die nächtliche Stille ist vollkommen. Marielena rekelt sich in den Kissen und betrachtet verträumt den Verlobungsring an ihrem Finger. Silvios Liebe und Fürsorge wiegen eben doch alles auf.

      Ein Schatten fällt auf sie, Silvio steht vor ihr, sein brauner Körper glänzt im Kerzenlicht. Er begehrt sie. Sie lieben sich leidenschaftlich. Seine Lippen und Händen streifen über ihren Körper, entlocken ihr ein Schnurren – nur Lili, ihre Katze, bringt das noch besser auf die Reihe. Marielena ist glücklich in dieser Nacht, sie weiß, dass es keine Barriere gegen die Stimulanzen des Lebens gibt. Sie geschehen von heute auf morgen und können das Leben komplett auf den Kopf stellen.

      Bruno war eine Amour fou. Jedoch, meine Gute, lass dir keine Beichte einfallen in puncto Affäre. Auf diese Episode musst du nicht stolz sein, erteilt sie sich selbst einen Verweis.

      Silvio sitzt auf der Bettkante, erwähnt nebenbei, dass zu dem Fest auch seine Jugendfreunde kommen. Allzu oft geschieht das Gottseidank nicht, aber seine Mutter wolle es so. Alba findet, dass Namen von Belang die Gästeliste zieren müssen.

      „Ich bin froh, wenn das Fest zu Ende ist. Der Einzige von den Freunden, der damals aus einfachen Verhältnissen kam, war Amedeo di Positano. Ob du es glaubst oder nicht, diese blasierte Bande lässt ihn heute noch spüren, dass seine Eltern nur eine satoria hatten.“ „Silvio“, unterbricht Marielena, „Amedeo ist ein weltberühmter Mann! Spielt da seine Herkunft noch eine Rolle?“ „Natürlich ist er angesehen, viele suchen seine Nähe, sich mit ihm zu zeigen, heißt dem Erfolg nahe zu sein. Doch ihn wirklich anerkennen, den Sohn eines Schneiders, wäre zu viel verlangt.“ Silvio geht ans Fenster und blickt hinaus in die Nacht. „Ich glaube“, fährt er fort, „man kann seine Schwächen auf die Dauer nicht verbergen.“ Marielena läuft es kalt über den Rücken, santo cielo, plötzlich ist es ihr mulmig zumute, meint er etwa mich? Was weiß er von meiner Affäre mit Bruno? Oder plagt mich nur mein schlechtes Gewissen? Silvio wendet sich Marielena wieder zu, stumm ruht sein Blick auf ihr. Sie schenkt ihm ein entschuldigendes Lächeln, beteuert, müde zu sein. Gähnend wünscht sie ihm eine gute Nacht, kriecht noch tiefer in die Kissen und stellt sich schlafend. Was wäre, wenn Silvio etwas vermutet? Ob er meinen Seitensprung durchschaut hat? Ihre Gedanken kreisen – beunruhigen sie. Silvio legt sich neben Marielena, streift ihr zärtlich über das Haar und wünscht ihr ,sogni d`oro.“ Ob ich heute Nacht süß träume, ist fraglich, sinniert sie beunruhigt.

      Am nächsten Morgen, beim Erwachen, wandert Marielenas Blick zur hellblau bemalten Zimmerdecke, warum nicht – wie der Himmel von Capri. Silvio schläft noch, seine Züge sind entspannt.

      Marielena zuckt zusammen, am Fußende sitzt Alba, die sie anlächelt. „Buon giorno, cara!“ Marielena zeigt ihr stolz den Finger mit dem Verlobungsring.

      Alba ruft überrascht: „Na, endlich seid ihr offiziell verlobt. Auguri!“ Bei all dem Getöse erwacht Silvio: „Signore, warum soviel Lärm um nichts.“ Alba ist empört: „Lärm um nichts“, wiederholt sie, „eine Verlobung ist ein Wendepunkt im Leben.“ Silvio schüttelt gähnend, sich reckend, den Kopf: „Aber Mamma, doch nicht morgens um sieben.“

      In der Villa Amato spürt man heute Morgen, dass sich das Familienchaos noch zurückhält. Bis jetzt ist alles noch harmonisch, denkt Marielena im Stillen. Über eine Wendeltreppe kommt man auf das Sonnendeck.

      Bequeme gelbe Sitzmöbel spiegeln das Flirren der Sonne wider.

      Von hier oben kann man sehr gut das Meer und den Hafen sehen.

      Maria, der gute Geist der Familie, serviert ihnen das Frühstück.

      Marielena trägt nur einen Hauch von Hausmantel und eine Sonnenbrille. Silvio sitzt ihr gegenüber. Noch ist sie mit sich im Gleichklang, stippt eben ihr cornetto in den Cappuccino, als Silvio das Behagen stört.

      „Gott sei Dank ist deine Unsicherheit verflogen“, nach einer Atempause, „was unsere Lebensplanung angeht.“ Marielena schaut abrupt auf, die Brille rutscht ihr auf die Nasenspitze, das Hörnchen versinkt in der Kaffeetasse. Sie belauert seine Miene und fragt sich im Geheimen, was bedeutet das? Nachdem sie die Balance wieder gefunden hat, erwidert Marielena verlogen: „Caro, ich brauchte Zeit, um bei dir anzukommen.“ Silvio ergreift ihre Hand und schaut ihr ernst in die Augen: „Darüber bin ich sehr froh, dass du dich entschieden hast.“ Marielena hat immer noch keine Ahnung, wohin das führen soll.

      „Dann lass uns deine Parisreise“, Marielena hält den Atem an, „als eine gelungene Therapie sehen.“ Heikle Situationen sind Marielenas Stärke. Mach jetzt nur keinen Fehler sagt sie sich. „Silvio, erwartest du eine Rechtfertigung?“, fordert sie ihn heraus. Erhebt sich, geht zum Fernglas, das an der Brüstung verankert ist und schaut zum Hafen hinunter.

      Silvio schüttelt unmerklich den Kopf. „Nein“, sagt er schließlich überzeugend, „das ist nicht nötig, ich glaube, es ist alles gesagt.“ Marielena hütet sich, das fatale Zwischenspiel mit Bruno zu erörtern.

      Zumal sie weiß, dass Silvio die Begebenheit nur deshalb vorbringt, um nicht wie ein Naivling dazustehen, einer, der die Affäre nicht bemerkt habe. Warum sind Verliebte so einfältig? Sie leben in dem Glauben, keiner könne ihr verändertes Gebaren wahrnehmen.

      Durch das Fernglas entdeckt Marielena am Horizont eine Jacht. Am Heck steht Amedeo di Positano, der auf das Wasser schaut.

      Unerwartet wird Marielena von hinten erfasst und herumgewirbelt, Paula und Roberto, Silvios Geschwister, begrüßen sie stürmisch.

      Im Hintergrund steht ein gut aussehender Mann, der sich befremdet zurückhält. Roberto stellt ihn Marielena vor: „Alberto Sari, mein Lebensgefährte“, bringt er etwas verschämt hervor.

      Silvio erhebt sich. „Ciao Alberto, herzlich willkommen.“ Silvio kennt Robertos Freund längst, stellt Marielena erstaunt fest.

      Alba kommt hinzu und ist ebenso verblüfft wie Marielena. Sie umarmt Roberto, dann reicht sie Alberto Sari zögerlich die Hand: „Ich darf Sie doch Alberto nennen?“ Der beteuert mit Nachdruck: „Selbstverständlich, Signora Amato!“ Alba gibt Marielena mit den Augen zu verstehen: Na, wie findest du mich? Marielena würde gerne zum Strand gehen. Doch bevor sie Silvio ihren Wunsch vorschlagen kann, verfügt Alba über den Sohn, gebieterisch, wie sie nun mal ist. „Silvio, wir müssen heute Morgen noch den Wein für das Fest aussuchen.“ Alba hat nach dem Tod ihres Mannes in relativ kurzer Zeit Spitzenweine von erwähnenswerter Qualität produziert und außerordentlich viel Beachtung mit dem Rebgut errungen.

      „Mamma, warum lässt du Alberto nicht mit entscheiden?“, fragt Roberto seine Mutter. „Alberto hat einen Ratgeber der gehobenen Gastronomie Italiens geschrieben, er ist ein Weinkenner“, klärt er mit Nachdruck seine Mutter auf. La Mamma sieht erst Roberto, dann Alberto an: „Ach so, das habe ich ganz vergessen, Sie sind ja Journalist.“ Natürlich stimmt das nicht. Denn Alba denkt all zu oft an den Liebesbund, den ihr Sohn mit dem Journalisten eingegangen ist. Sie längst hat das Umfeld von Alberto Sari sondiert.

      Silvio stellt belustigt fest, wie Roberto darauf aus ist, seinen Freund in die Familie einzuführen.

      „Warum nicht“, hört Silvio seine Mutter sagen. Wenn man bedenkt, dass Alba noch vor wenigen Wochen jeden Homosexuellen in Grund und Boden verdammt hat, überlegt Silvio, ist das, was hier und heute geschieht, beachtlich. Grazie Marielena, das haben wir dir zu verdanken.

      „Allora ragazzi, avanti – gehen wir“, fordert Alba Silvio und Alberto forsch auf.

      „Und was machen wir?“, fragt unternehmungslustig Paula.

      Das Klingeln von Marielenas Telefonino lässt die Antwort offen, nach einem kurzen Gespräch hören sie Marielena sagen: