aus dem Gleichgewicht. Doch der Stehende balancierte es breitbeinig von einer Schräglage in die andere, ohne dass es umkippte. Der andere Junge saß da, hielt sich mit beiden Händen fest.
»Hör mit dem Unsinn auf«, bat er.
Lachen, lautes Lachen, das die Stille, die über dem See lag, zerschnitt.
»Hör auf, bitte, hör auf!»
Und wieder nur dieses Lachen.
Kobas griff zur Nachttischlampe, schaltete sie ein. Er musste den Film in seinem Kopf stoppen. Er war ohnehin dicht vor dem entscheidenden Augenblick, der alles umpolte. Doch der Gedanke an eine schlaflose Nacht erfüllte ihn mit Schrecken.
Er stand kurz auf, um das noch auf dem Tablett stehende Weinglas leer zu trinken. Erneut lag er dann in der Dunkelheit – und der Film in seinem Kopf lief weiter.
Das Ruderboot schaukelte mehr und mehr. Ja, es sollte umgeworfen werden! Dazu dieses laute Lachen. »Feigling!«, rief der breitbeinig dastehende Junge, jederzeit dazu bereit, ins Wasser zu springen. »Das kommt davon, wenn man immer das Muttersöhnchen spielt!»
Kobas setzte sich auf. Er schwitzte am ganzen Körper. Für den Notfall hatte er ja Schlaftabletten. Aber er wagte es nicht, eine einzunehmen. Schließlich brauchte er morgen einen klaren Kopf. Keine Medikamente – das hatte er sich geschworen. Wer war er denn, dass er es nicht einmal schaffte, einzuschlafen! Schließlich wartete der wichtigste Tag seines Lebens auf ihn.
Das Ruderboot schwankte heftiger – und kippte um. Die beiden Jungen fielen ins Wasser, schwammen. Das Ufer war nicht weit. Doch der eine stürzte sich auf den anderen, versuchte, dessen Kopf unters Wasser zu drücken. Ein Kampf entstand. Mit Wasser vermischte Worte gurgelten aus einer Kehle. Arme ruderten wild, schlugen um sich. Der Kopf des einen Jungen tauchte unter. Der Junge darüber lachte wieder laut, obwohl außer Atem.
Nach Luft ringend, schoss Kobas im Bett hoch. An der Schwelle zum Schlaf hatte ihn der Film in seinem Kopf mit der vollen Intensität erwischt. Jetzt war er schweißgebadet, zog sich das Unterhemd aus, warf es achtlos in die Dunkelheit des Zimmers. Dann schaltete er das Licht ein, stand auf, trat vor das Waschbecken und schaute sich im Spiegel an. Mit den Fingern prüfte er die Haut unter seinen Augen. Er sah nicht müde aus, nein. Und doch musste er schlafen, damit sich morgen keine Müdigkeit in sein Gesicht zeichnete.
Er legte sich ins Bett zurück. Schlafen konnte er nicht. Stundenlang wälzte er sich noch Hin und Her. Und der Film in seinem Kopf lief und lief …
Den Koffer in der Hand, schritt Kobas die Treppe hinunter. Unten angekommen, stellte er sich unter die Tür, die in ein kleines Zimmer führte. Die Pensionsbesitzerin saß dort an einem Tisch und frühstückte. Als sie ihn entdeckte, hielt sie mitten im Kauen inne und sagte dann mit vollem Mund: »Sie sind heute aber früh dran.«
»Ich muss weg«, sagte Kobas, und erst jetzt schien sie den Koffer in seiner Hand zu bemerken. »Ich will das Zimmer bezahlen.«
»Ach so.« Die Pensionsbesitzerin kaute weiter. »Natürlich. Ich dachte nur, Sie würden noch einige Tage bleiben.«
»Ich muss weg«, wiederholte Kobas, stellte den Koffer ab, schritt zum Tisch, an dem die Frau saß und legte ihr einige Geldscheine hin.
Sie wollte noch etwas sagen, versuchte sogar, ihn zurückzuhalten, weil er ihr zu viel bezahlt hatte, doch Kobas reagierte nicht darauf.
Draußen auf der Straße blieb er stehen, schaute auf die Uhr. Ein Wagen hielt neben ihm. Er stieg hinten ein, wobei er den Koffer neben sich auf die Rückbank legte. Der Wagen fuhr weiter.
»Bleibt es bei halb elf?«, fragte Kobas.
Vorne am Steuer saß eine Frau. »Ja«, sagte sie mit geradeaus gerichtetem Blick.
Kobas schaute wieder auf die Uhr. »Noch zwei Stunden«, murmelte er. »Das sollte reichen.« Dann lehnte er sich zurück. Er fühlte sich müde, schloss sogar für einige Minuten die Augen.
Der Wagen hielt vor einem modernen Wohnhaus. Die Frau schaltete den Motor aus. »Ich gehe vor«, sagte sie, zog den Zündschlüssel ab und stieg aus.
Sie war Mitte vierzig, groß und drahtig, mit langem, rötlichem Haar, das sie offen trug. Sie beeilte sich, den Hauseingang zu erreichen. Kaum hatte sie den erreicht, stieg auch Kobas aus dem Wagen. Den Koffer in der Hand, folgte er ihr. Sie durchschritten eine kahle Eingangshalle, betraten den Fahrstuhl.
Niemand war ihnen begegnet. Die Frau, deren Handgelenke goldene Armreife schmückten, tippte die gewünschte Etage ein. Ihr braunes, fast lederiges Gesicht blieb regungslos. Ihre Hüftknochen zeichneten sich durch das elegante, jedoch unauffällige graue Kleid ab.
Im fünften Stock stiegen sie aus dem Fahrstuhl, schritten durch ein kurzes Stück Flur. Die Frau schloss eine Tür auf, ließ Kobas mit dem Koffer an sich vorbei, trat dann selber ein und schloss die Tür hinter sich wieder ab.
Sie befanden sich in einem Wohnraum, der mit Möbeln aus dunklem, lackiertem Holz eingerichtet war. Um einen runden Tisch standen sechs Stühle mit hohen, geschnitzten Lehnen.
Kobas trat zum Fenster. Die Vorhänge standen offen. Draußen schien inzwischen die Sonne und vertrieb den Morgennebel aus den naheliegenden Hügeln vor der Stadt.
»Du siehst müde aus«, stellte die Frau fest.
»Was?«, reagierte Kobas sofort gereizt, riss sich dann aber zusammen und sprach in ruhigem Ton: »Hast du dich bei ihm persönlich krank gemeldet?»
»Wie vereinbart.«
»Wie hat er es aufgefasst?»
»Die viele Arbeit macht ihm Sorgen.«
Kobas nickte. »Dann wollen wir jetzt beginnen«, sagte er.
»Wir machen es hier.« Die Frau zeigte auf eine Tür, die in ein anderes Zimmer führte.
Kobas trat mit dem Koffer ein, den er auf ein breites Bett legte. Mit einem kleinen Schlüssel öffnete er die beiden Schlösser und klappte den Deckel zurück. Der Koffer enthielt zusammen gefaltete Kleider, die mit einer transparenten Plastikfolie geschützt waren. Er holte einen dunklen Anzug heraus, den er neben dem Koffer platzierte. Es folgte ein weißes Hemd mit feinen, braunen Streifen, dazu eine dunkelbraune Krawatte. Auch ein Paar schwarze Schuhe kamen zum Vorschein.
Die Frau lehnte sich an den Türrahmen und beobachtete Kobas, der nun jedes einzelne Kleidungsstück aus der Plastikfolie auswickelte und auf der Bettdecke ausbreitete. Dann drehte er sich um und fragte: »Ist das alles richtig so?»
»Absolut korrekt«, garantierte ihm die Frau und schritt auf Kobas zu.
»Du siehst wirklich müde aus«, stellte sie wieder fest und versuchte, Kobas Wange mit ihrer Hand zu berühren. Doch der wich ihr aus.
»Es wird doch gehen, oder?«, fragte er.
»Setz dich dort hin«, forderte ihn die Frau auf.
Kobas setzte sich vor einen großen Spiegel. Die Frau richtete eine Lampe auf ihn. Dann begann sie, sein Gesicht mit einer Flüssigkeit einzureiben, ließ diese einwirken, kämmte in der Zwischenzeit sein Haar nach hinten, wozu sie es mit Gel feucht machte.
»Du hast schlecht geschlafen, nicht?«, fragte sie, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen.
»Ja«, antwortete Kobas.
»Kann ich verstehen.« Sie schnitt ihm mit einer kleinen Schere das Haar über den Ohren kürzer. »Wir kriegen es hin«, fuhr sie fort. »Du bekommst eben sehr schnell diese dunklen Ringe unter den Augen.«
»Um das wegzukriegen, bin ich monatelang früh zu Bett gegangen. Und du weißt, wie sehr ich das hasse.«
»Ja, das weiß ich«, sagte die Frau. Mit einem Pinsel strich sie ihm Schläfengrau ins Haar. »Es braucht sehr wenig davon«, sprach sie weiter, »doch an der richtigen Stelle. Ich weiß genau, wie es sein muss.«
Kobas wurde ein wenig ungeduldig.
»Gut rasiert, das ist wichtig«, sagte