Jan van Rooyen. Der Fahrstuhl spuckte ihn im achten Stock aus. Hier waren die Böden mit Teppichen ausgelegt, die Lichter nicht mehr so grell. Die Begrüßungen blieben dieselben.
Kobas betrat van Rooyens Büro. Der Raum war groß, und durch eine lange Fensterfront fiel helles Tageslicht. Der aufgeräumte Schreibtisch wirkte keinesfalls einladend. Auch die Stühle sahen nicht aus, als würden sie besonders gerne benutzt. Zwischen diesen Wänden steckte der Zwang von Arbeit, die keine Freude machte. Alles blieb in der oberflächlichen Politur des Äußerlichen stecken. Glänzende Tischplatten, wie aus Fernsehreklamen, dazu Lampenschirme aus farblosem Stoff, wenige Chromteile, die schon eine Spur zu aufdringlich blinkten. Steif senkten sich die zurückgezogenen Vorhänge auf den Boden herab – Ton in Ton, weil es sich so gehörte.
Lautlos schloss sich die Tür. Kobas stellte den Aktenkoffer ab. Ihm fiel ein Bild an der Wand auf, ein Ölgemälde. Es zeigte eine Windmühle, die gegen einen blau-weißen Himmel aufragte, umsäumt von einem Kornfeld in etwas schmutzigem Gelb.
Sollte er sich nicht hinter den Schreibtisch setzen? Aber noch konnte er sich nicht dazu überwinden, zögerte. Jan van Rooyen war jeden Tag an diesem Schreibtisch gesessen. Der graue Telefonapparat stand da, stumm, spiegelte sich in der Tischplatte, zwar unscharf, aber deutlich zu erkennen.
Es klopfte gegen die Tür, nicht laut, sondern zurückhaltend wie all die Begrüßungen, die ihm auf dem Weg nach hier dargebracht worden waren.
»Ja«, sagte Kobas, und er wusste, dass van Rooyen niemals das Wort »herein» benutzte. Auch mit der Lautstärke durfte er zulegen, denn das war üblich und zudem wegen der isolierten Tür notwendig.
Frau Kahn trat ein und schloss die Tür gleich wieder hinter sich zu.
»Na, was sagst du dazu?«, fragte sie nicht ohne Stolz. »Jetzt bist du mitten drin, und niemand hat etwas bemerkt.«
Kobas war klar, dass das noch nichts bedeutete. Gut, er war mitten drin, er hatte es geschafft, als Jan van Rooyen in van Rooyens Büro zu gelangen. Doch so richtig begegnet war er noch niemandem, von einem Gespräch ganz zu schweigen. Es stand ihm noch viel bevor.
»Wo ist der Tresor?«, fragte er.
»Was interessiert uns jetzt der Tresor«, sagte Frau Kahn. »Da ist ohnehin nie viel Geld drin. Vielmehr müssen wir heute schon mit den Transaktionen beginnen.«
»Ja, Frau Kahn«, antwortete er.
Sie schaute ihn an. »Du fühlst dich wohl schon ganz als Jan van Rooyen«, stellte sie fest.
»Ich bitte Sie, mich nicht zu duzen, Frau Kahn«, trieb er das Spiel weiter.
»Wie Sie wünschen, Herr van Rooyen«, stieg die Frau darauf ein.
Er nahm den Aktenkoffer, schritt zum Schreibtisch, blickte nochmals zum Bild mit der Windmühle und setzte sich dann, den Aktenkoffer auf den Knien, in den ledernen Direktorensessel.
Frau Kahn blieb bei der Tür stehen. Sie hatte sich das lange Haar nach hinten frisiert und im Nacken zu einem Knoten zusammengebunden. An einer Zierkette, die sie um den Hals trug, hing eine Lesebrille.
»Was ist mit den anderen Angestellten aus dieser Etage?«, fragte Kobas.
»Die beiden Sekretärinnen, die mir unterstehen, sind bei ihrer Arbeit«, sagte Frau Kahn. »Und da ist natürlich Herr Busch, der momentan noch in seinem Büro sitzt. Du weißt ja, was du mit ihm zu tun hast.«
»Ja«, sagte Kobas, und sein Gesicht war nicht ohne Sorge.
»Da wird nichts schieflaufen«, versicherte ihm Frau Kahn. »Du bist der einzige, der die Rolle von van Rooyen spielen kann. Und du spielst sie überzeugend.«
Was war mit ihm los? Zweifelte er plötzlich? So unbeteiligt wie während der Entführung von van Rooyen fühlte er sich nicht mehr.
Der traumähnliche Zustand löste sich allmählich auf. Dahinter brach das Gefühl für eine Realität hervor, die keine Wahl mehr ließ. Er hatte sich die andere Person übergestülpt. So leicht kam er da nicht mehr raus. Und doch – er hätte einfach untertauchen können. Gerade ihm stand diese Möglichkeit uneingeschränkt offen. Abhauen, ganz plötzlich! Was dachte er da! Der Film in seinem Kopf! Wo war er? Der See mit dem Ruderboot lag in einem nebelhaften Schleier.
Frau Kahn trat zu ihm an den Schreibtisch. Erst jetzt bemerkte er, dass sie Akten unter dem Arm trug.
»Das sind Unterlagen, die du dir anschauen musst«, sagte sie und breitete die Papiere vor Kobas aus. »Es geht um ein Projekt, dessen Zertifikate nun alle gezeichnet sind, das heißt, der Fond ist geschlossen.« Sie lehnte sich etwas mehr vor, kam mit ihrem Gesicht nahe an das von Kobas heran. »Die Zertifikate sind in größeren Stückelungen zu Nennwerten ab tausend Euro ausgegeben.«
Kobas nickte, schaute sich die Papiere an. Wie viel Mühe hatte er sich in den letzten Monaten gemacht, um Informationen über das Bank- und Börsengeschäft zu sammeln. Doch wenn er ganz ehrlich zu sich war, so richtig begriffen hatte er das alles nicht. Vielleicht hatte er sich auch zu sehr von Frau Kahn beeinflussen lassen, die ihn immer wieder damit beruhigte, dass sie genug davon verstehe, um die Sache über die Runden zu bringen.
»Lass dich mit Busch auf keine Diskussion ein«, empfahl sie ihm, »denn das würde van Rooyen auch nie tun.«
»Ja«, sagte er.
»Du bist der Chef«, betonte Frau Kahn und richtete sich auf. »Er wird tun, tun müssen, was du von ihm verlangst.«
»Und wenn er Verdacht schöpft?»
»Wieso soll er Verdacht schöpfen?» Frau Kahn trat vor den Schreibtisch, stützte sich dort mit beiden Händen auf, lehnte sich zu Kobas hinüber. Die an der Zierkette befestigte Lesebrille schwebte dabei knapp über der polierten Tischplatte. »Was ist bloß mit dir los?«, fragte sie nicht ohne Besorgnis.
»Lass mich nun allein«, bat er.
»Ja, Herr van Rooyen«, reagierte Frau Kahn und begab sich in eine korrekte Haltung. »Ich werde Herrn Busch mitteilen, dass Sie ihn erwarten.«
Damit verließ sie, ohne sich nochmals umzudrehen, das Büro.
Kapitel 3
Busch war ein großer, schlaksiger Mann um die fünfzig, mit Halbglatze, Brille, sauber rasiert, dafür schlecht gekleidet. Sein Anzug, den er vorschriftsgemäß trug, hing nur so an ihm, mit glänzendem Stoff in der Gesäßpartie, möglicherweise auch da und dort geflickt, dazu völlig altmodisch. Er entsprach genau der Beschreibung von Frau Kahn. Auch die etwas schleppende Stimme fehlte nicht. Allerdings bewegte er sich erstaunlich sicher im Büro von van Rooyen, grüßte auch nicht allzu unterwürfig, holte sich einen Stuhl und setzte sich vor den Schreibtisch. Die Dossiers, die er bei sich hatte, behielt er jedoch in der Hand.
Kobas achtete darauf, am Schreibtisch nicht zu sehr im Licht zu sitzen, hatte dazu sogar noch einen der Vorhänge ein wenig zugezogen. »Ich muss um drei Uhr zu einer Besprechung«, sagte er. »Wir haben also nicht lange Zeit.«
»Vielleicht beginnen wir gleich mit den Diskontierungen«, fing Busch an und wollte seine Dossiers auf den Tisch bringen, doch Kobas unterbrach ihn mit einer fast zu einstudierten Handbewegung.
»Lassen wir den Ankauf von Wechseln mal beiseite«, sagte er. »Vielmehr habe ich mit ihnen etwas zu besprechen, das endlich geklärt werden muss.«
Kobas pausierte kurz.
»Der Entschluss ist mir nicht leicht gefallen, Herr Busch«, fuhr er dann dort. »Auf der anderen Seite sind einige Umwälzungen im Gange, die mir einfach keine andere Wahl lassen.« Er wartete wieder einige Sekunden ab und sprach dann den entscheidenden Satz: »Ich bin leider gezwungen, Sie zu entlassen.«
»Wie bitte?«, reagierte Busch, und er machte ein Gesicht, als hätte er sich verhört.
»Mir ist klar, dass Sie ein solcher Entschluss hart trifft«, sprach Kobas weiter. »Doch es gibt keinen anderen Weg. Wir müssen uns trennen.«
»Ich