Rainer Seuring

Utz wider die Alben


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      „Das mag für´s Erste reichen“, sagt er. Dann springt er ins Wasser, dass hohe Wellen über die Eisbarriere ans Ufer der Insel schlagen. Noch einmal wendet er sich um und ruft: „Alamon, ich habe keine Ahnung, wie das Kraut hier heißt. Aber es hat grüne Blätter und bringt entzückend kleine weiße Blüten hervor, wenn es Sommer wird. Für solch böse Lebewesen wie euch ist es allerdings giftig und ich glaube, hier wird es nicht sehr viele Sommer geben.“ Dabei reckt er die Hand in die Luft und lacht erneut lauthals. Mit Schwung schnellt er sich aus dem Wasser, verwandelt sich und taucht als Blauwal in die Tiefen des Meeres.

      Im gleichen Moment kündigt sich mit dumpfem Brausen die Ankunft der Albenmacht an. Wie ein Komet mit langem Schweif rast sie heran und bohrt sich in der Mitte der Insel tief ins Innere hinein. Augenblicklich erhebt sich an dieser Stelle ein gigantischer Vulkan, aus dem es Feuer und heiße Asche schleudert. Bevor das Bild verschwindet sehe ich auch noch an manchen Stellen dampfende Wasserfontänen aus dem Boden schießen. Unter den Albenumhängen erglimmt das Feuer der Macht in ihren Augen.

      „Damit war Lokis Auftrag erfüllt und meine Erzählung endet hier, Zwergin. Habt ihr noch eine Frage wie letztes Mal?“

      „Ich bitte um Verzeihung, ja. Diese heißen Wasserfontänen, woher kamen die auf einmal in dieser unsäglichen Kälte?“

      „Die Insel wehrte sich gegen die böse Macht, die in ihr versenkt wurde. Dies ist der Ausdruck ihres Zornes darüber. Und sie wehrt sich heute noch. Auch der Vulkan wird so lange aktiv sein, wie die Macht in ihm steckt. Manchmal spuckt er seine Wut so hoch in die Luft, dass der Staub bis hier her geweht werden kann. Doch nun genug. Mehr wirst du von anderen erfahren. Ich habe nichts mehr zu sagen.“

      Genauso unvermittelt wie er erschien, ist er auch wieder verschwunden.

      Ich erwache.

      Böse Hoffnung

      „Eine sehr schwere Zeit bricht für dich an, arme Waltruda. Dies ist der Tag, an dem du erstmals einer Albin ansichtig wirst. Sie ist eine reuige Albin, die im Krieg gefallen ist und die Götter befanden sie für Wert, in einem normalen Dasein sich zu beweisen. Noch wartet sie auf einen geeigneten Körper, darum ist sie hier und du kannst ihre Geschichte hören. Sei beruhigt, ich stehe dafür, dass dir kein Leid geschieht und bin stets in deiner Nähe, auch wenn du mich nicht zu sehen vermagst. Bedenke, sie hat sich voll Reue erwiesen und wird dir nichts tun. Doch was sie zu erzählen hat, ist gar fürchterlich.

      Nun konzentriere dich auf Irandina und ihre Geschichte, das wird dich von deinen Ängsten ablenken.“

      Gilbret hat sich in den Nebel zurück gezogen und ich warte. Schließlich höre ich: „Darf ich an dich heran treten, Waltruda?“

      Irandina hat eine zarte und leise Stimme. Ich muss genau aufpassen, was sie sagt und vergesse zunächst tatsächlich meine Angst vor ihr.

      „Ja, du darfst.“

      „Sei bedankt und gegrüßt im Namen der Götter.“

      Ich erblicke eine gewöhnliche Frauengestalt, ohne Hinweis darauf, dass sie einst eine Albin und zuvor sogar eine Elbin war.

      „Lass dich nicht von meinem Bild täuschen, Waltruda. Mein früheres Aussehen habe ich verloren und ein anderes muss ich erst noch erhalten. Beschreibe mich so, wie ich damals aussah. Oder besser nein, keine Beschreibung. Außer uns können nur die Elben und Götter unsere wahre Gestalt sehen.“

      Augenblicklich erhalte ich Einblick auf das damalige Geschehen. Irandina erklärt: „Dies ist der Zeitpunkt, an dem uns Loki verlassen und unsere Macht sich in den Inselgrund gebohrt hat. Am Ufer steht Alamon. In meinen Augen damals ein schöner Alb, mit stolzer Haltung und enormer Ausstrahlung. Trotzdem hasste ich ihn. Eigentlich hassten wir uns alle gegenseitig. Keinerlei Vertrauen untereinander und keiner gönnte dem anderen etwas. Es war gerade so, wie die Götter in ihrem Urteil verkündeten. Du wirst es erleben, Waltruda. Ab jetzt bist du nicht mehr Beobachterin, du bist mein Ich von damals.“

      Ich spüre, wie ich in das Bild, das ich eben noch sah, hinein gezogen werde, bis ich aus Irandinas Augen blicke. Und ich spüre, was sie spürte; ich höre, was sie hörte, und ich denke. …

      Ich bin Irandina.

      Saukalt ist es hier. Der schwarze Umhang spendet kaum Wärme. Ich blicke nach oben. Ist das jetzt Schnee oder Schmutz aus dem Vulkan, den unsere Macht geschlagen hat? Egal, es ist auf jeden Fall unangenehm und eklig. So einen Blödsinn können sich nur die Götter einfallen lassen.

      Aha, das grüne Leuchten ist verschwunden. Also hat die Natur ihr Werk beendet. Ich bin eine Frau. Wie ich die einfachen Geschöpfe beneide. Sie haben alles vergessen, was vorher war. Ich weiß und spüre den Unterschied in mir. Ein merkwürdiges unbeschreibliches Gefühl. Gleichzeitig wächst in mir eine bisher unbekannte Begierde; auf einen Mann. Und Schuld an allem hat der Idiot da vor mir. Auch wenn er verdammt gut aussieht. Mit dem könnte man schon mal. Möge er unter der Veränderung zum Manne leiden ohne Ende. Wie das wohl die anderen empfinden? Ich drehe mich zu ihnen, um zu sehen, wie es ihnen geht.

      Da sitzt Grima auf einem Felsen am Ufer. Sie hält sich den Bauch, also wird es ihr wohl auch gerade so merkwürdig sein. Hinter ihr steht Dschinngo, fast am Rande zum beginnenden, schier unübersehbaren Eisfeld, das nur durch hohe Felsformationen unterbrochen wird. Er blickt mehr als nur gierig auf sie und seine Hände sind nicht so ruhig wie sonst. Will er sie jetzt meucheln oder begatten? Verständlich wäre letzteres. Sie sieht fast so gut aus, wie ich. Ein bisschen weniger Busen, aber einen tollen Hintern hat sie. Pass nur auf, dass dir der Arsch nicht auf dem Felsen anfriert. Da gäb es wenigstens was zu lachen hier.

      Rechts weiter nach hinten steht Lunarus und blickt gespannt an sich herab. Wartet der auf etwas? Was soll bei einem Kerl von solch schwächlicher Gestalt schon werden? Das denkt Ka-Ra anscheinend nicht. Mädchen, vergiss es. Du bist viel zu viel Frau und viel zu groß. Den Kleinen machst du platt, wenn du ihn nur ansiehst. Außerdem kommt der Knirps bei dir hinten doch gar nicht hoch. Der fällt doch runter wie ein Zwerghahn von der großen Henne. Merkwürdig, woher ich den Vergleich nehme. Ich hasse die Natur.

      Elrone und Guggeri scheinen sich schon einig zu sein. Bestimmt verschwinden die bald in der nächsten Eisspalte. Friert euch nur nichts ab, Kinder. Ihr solltet warten, bis wir eine wärmende Bleibe haben und dann komm ich erst einmal dran.

      Freddori zeigt keinerlei Regung. Was hat der denn für Gelüste? Pech gehabt, Mann, wenn du nicht magst, könnt ich vielleicht mit Morlogane Spaß haben. Das ist alles ungemein aufregend.

      Was will Zwilter? Bleib mir ja vom Leib. Wer wann dran kommt, bestimme ich und nicht du. Du bist garantiert nicht der Erste. Du nicht. Das hier wird meine Insel und ihr werdet schön nach meinem Willen tanzen. Das kriegt Alamon jetzt auch gleich mal klar gemacht.

      „Und jetzt, großer Seelenbefreier, wie geht es weiter? Mit sowas hast du natürlich nicht gerechnet. Und wir sitzen wegen dir in der Scheiße. Sollen wir dich zum Lohn auch ein wenig >befreien< ?“

      Das ist doch eine Unverschämtheit, wie quälend langsam der sich zu mir umdreht.

      „Was willst von mir, Weib. Willst du vielleicht sagen, ich sei schuld an allem? Willst du lieber wieder zurück zu den blinden Elben? Bei den Göttern lieb Kind spielen und um Gnade winseln? Wie viele Seelen hast du aus den Körpern gequetscht oder geprügelt? >Alamon, ich hab mich noch nie so glücklich und zufrieden gefühlt<, hast du gequiekt, wie ein Schweinchen. Verschwende deine Gedanken lieber wie die anderen darauf, wie du deine ersten Gelüste befriedigst. Oder bildest du dir vielleicht ein, sagen zu können, was hier und jetzt zu tun ist? Lass das mal meine Sache sein. Ich hab immer noch den meisten Verstand in diesem Haufen.“ Seine Stimme ist voll ohnmächtiger Wut. Sein Tonfall ist giftiger als die gefährlichste Schlange.

      Diese Rede wird von protestierendem Gejohle der anderen und Zwischenrufen wie „Wer´s glaubt!“, „Großmaul!“ und ähnlichem quittiert. Ich verschränke die Arme vor der Brust. Sieht gut aus und keiner merkt,