aus dem Abschaum aller Rassen und Nationen bestand. Ihre Offiziere waren dunkelhäutige Tyrannen, die mit Verachtung auf die Mannschaft herabsahen und von dieser mit teuflischem Hass verfolgt wurden. An der Tüchtigkeit des Kapitäns als Seemann bestand kein Zweifel, aber im Umgang mit der Besatzung kannte er nur zwei Argumente: den Revolver und eine schwere Vorsteckpinne. Es war also kein Wunder, dass John Clayton und seine junge Frau schon am zweiten Tag Zeugen von Szenen wurden, die sie nie für möglich gehalten hätten.
Zwei Matrosen schrubbten das Deck der Fuwalda, der Steuermann versah seinen Dienst, und der Kapitän hatte sich zu John Clayton und Lady Alice gesellt, um mit ihnen zu plaudern. Die beiden Matrosen arbeiteten sich rückwärts auf die Gruppe zu, ohne ihrer gewahr zu werden. Sie kamen näher und näher. Einer der beiden langte gerade in dem Augenblick hinter dem Kapitän an, als dieser weggehen wollte. Der Kapitän stolperte über den hinter ihm Kauernden, stürzte und fiel der Länge nach in die schmutzige Brühe des umgekippten Eimers.
Schreckliche Flüche ausstoßend und mit hochrotem Gesicht erhob sich der Kapitän und schmetterte den Matrosen, einen kleinen, älteren Mann, mit einem fürchterlichen Faustschlag zu Boden. Der zweite Matrose indes war weder klein noch alt, sondern ein Bär von einem Mann mit schwarzem Schnurrbart und einem massigen Schädel auf muskulösen Schultern, Als er seinen Kameraden reglos daliegen sah, stieß er einen heiseren Schrei aus und schlug seinerseits den Kapitän mit einem einzigen Hieb nieder,
Der Kapitän verlor nicht das Bewusstsein, aber sein Gesicht wurde kalkweiß. Dies war Meuterei, und damit war er in seiner langen Laufbahn immer fertig geworden. Ohne sich aufzurichten, riss er den Revolver aus der Tasche und feuerte auf den Berg aus Fleisch und Muskeln, der vor ihm aufragte. Aber so schnell er reagierte, John Clayton war noch schneller. Kaum sah er die Waffe in der Hand des Kapitäns blitzen, als er ihm auch schon den Arm niederschlug, so dass die Kugel sich nicht ins Herz des Matrosen, sondern in sein Bein bohrte.
Es kam zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Clayton und dem Kapitän, der sich jedoch bald eines Besseren besann und wortlos davonging. Es schien ihm nicht angebracht, einen britischen Beamten herauszufordern, denn der Arm der Königin reichte weit und niemand legte sich gern mit der gefürchteten britischen Kriegsmarine an.
Der ältere Matrose hatte inzwischen das Bewusstsein wiedererlangt und half seinem verwundeten Kameraden auf die Beine. Der, von der Besatzung Schwarzer Michael genannte Riese machte zwei tastende Schritte, und als er fand, dass das verletzte Bein seinen Körper trug, wandte er sich um und bedankte sich mit ein paar brummigen Worten bei Clayton. Dann humpelte er zum Vorschiff, offensichtlich wollte er es zu keiner Unterhaltung kommen lassen. Am folgenden Tag sahen Clayton und Alice ihn nicht. Auch der Kapitän ging ihnen tunlichst aus dem Weg und sprach nur das Notwendigste mit ihnen. Obwohl sie in der Offiziersmesse aßen, blieben sie meist sich selbst überlassen, denn die anderen Offiziere - raue, ungebildete Burschen - legten keinen Wert darauf, Kontakt zu ihnen zu gewinnen.
Deshalb bemerkten John und Alice nicht, dass die Atmosphäre auf dem kleinen Schiff sich immer mehr verdüsterte und eine Stimmung herrschte, die auf eine Katastrophe hindeutete. Zwei Tage nach der Verwundung des Schwarzen Michaels durch den Kapitän kam Clayton gerade rechtzeitig an Deck, um zu sehen, wie ein bewusstloser Matrose von vier Kameraden davongetragen wurde. Der Steuermann, eine schwere Vorsteckpinne in der Rechten, musterte eine kleine Gruppe mürrischer Matrosen mit funkelnden Augen.
Clayton stellte keine Fragen, das war nicht nötig. Als aber am nächsten Tag die massigen Rümpfe britischer Kriegsschiffe am Horizont auftauchten, erwog er, sich und Alice von ihnen übernehmen zu lassen. Aber dann kam ihm das Lächerliche seines Vorhabens zu Bewusstsein; man würde hinter seinem Rücken lachen, wenn er zurückkehrte, ohne seinen Auftrag ausgeführt zu haben, man würde ihn vielleicht sogar der Feigheit bezichtigen.
Es war früher Nachmittag, als Clayton und Alice an der Reling standen und den verschwindenden Schlachtschiffen nachblickten. Der alte Matrose, der vom Kapitän zusammengeschlagen worden war, putzte die Messingbeschläge und kam ihnen langsam näher. Als er neben Clayton angelangt war, sagte er leise, ohne den Kopf zu wenden: »Der Teufel wird diesen Kahn holen, Sir! Denken Sie an meine Worte.«
»Was meinen Sie damit, guter Mann?«, fragte Clayton.
»Das fragen Sie noch? Haben Sie nicht gesehen, was hier an Bord vorgeht? Dass der Käpt'n und seine Genossen uns wie Tiere prügeln? Gestern zwei Matrosen zu halben Krüppeln geschlagen und heute schon drei. Der Schwarze Michael ist wieder auf den Beinen, und er ist nicht der Mann, sich das länger anzusehen. Denken Sie an meine Worte, Sir.«
»Wollen Sie damit sagen, dass die Besatzung Meuterei plant?«
»Meuterei!«, wiederholte der Alte verächtlich. »Mord, Sir, Mord! Denken Sie an meine Worte.«
»Wann?«, fragte Clayton.
»Es wird kommen, Sir, es wird kommen, aber ich sage nicht, wann. Hab' überhaupt schon verdammt zu viel gesagt, aber Sie waren anständig neulich, und es ist nicht mehr als recht, dass ich Sie warne. Schweigen Sie darüber, und wenn Sie es knallen hören, gehen Sie unter Deck, damit Sie nicht eine Pille zwischen die Rippen bekommen. Das ist alles, Sir, und denken Sie an meine Worte.«
Der Alte beugte sich tiefer über die Messingbeschläge und entfernte sich von Clayton und Alice.
»Verteufelt angenehme Aussichten«, brummte Clayton.
»Du musst sofort den Kapitän warnen, John«, sagte Alice. »Dann lässt sich vielleicht noch vermeiden, dass es zum Schlimmsten kommt.«
»Wahrscheinlich sollte ich es tun, aber aus eigennützigen Motiven möchte ich darauf verzichten«, meinte Clayton nachdenklich.
»Wegen meines Eingreifens neulich werden sie uns wahrscheinlich verschonen. Finden sie aber heraus, dass ich sie verraten habe, dürfen wir keine Gnade erwarten, Alice.«
»Wenn du es nicht tust, wirst du zum Mitverschwörer«, warnte Alice.
»Du verstehst mich nicht, meine Liebe«, erwiderte Clayton. »Mein Verhalten wird nur durch den Gedanken an dich bestimmt. Der Kapitän ist selbst schuld an der Lage der Dinge. Soll er doch die Suppe auslöffeln, die er sich eingebrockt hat.«
Sie schüttelte den Kopf. »Pflicht bleibt Pflicht«, sagte sie mit fester Stimme. »Ich wäre einem britischen Lord eine schlechte Frau, wenn ich zuließe, dass er seine Pflicht versäumt, um mir Gefahren zu ersparen.«
Clayton legte den Arm um die Schultern seiner jungen Frau. »Gut, Alice, ich beuge mich deinem Wunsch. Vielleicht sehe ich die Dinge auch zu schwarz, vielleicht wollte der alte Matrose nur seinem Herzen Luft machen. Dort ist übrigens der Kapitän, sicher geht er in seine Kabine. Bringen wir die Sache also hinter uns.«
Sekunden später klopfte er an die Tür der Kapitänskajüte.
»Herein!«, rief eine grollende Stimme.
Clayton trat ein und schloss die Tür.
»Nun?«, fragte der Kapitän unwirsch, als er Clayton erkannte.
»Ich bin gekommen, um Ihnen von einer Unterredung zu berichten, deren Zeuge ich zufällig wurde«, sagte Clayton. »Mag sein, dass nichts daran ist, aber man spricht unter der Besatzung von Meuterei und Mordplänen.«
»Das ist eine Lüge!«, schrie der Kapitän wütend. »Und wenn Sie wieder einmal versuchen, sich in die Disziplin dieses Schiffes zu mischen, so haben Sie die Folgen zu tragen. Es kümmert mich nicht, ob Sie ein britischer Lord sind oder nicht. Kapitän dieses Schiffes bin ich, und ich verlange, dass Sie aufhören, Ihre Nase in meine Angelegenheiten zu stecken.«
Der Kapitän sprang auf. Sein Gesicht war dunkelrot angelaufen, mit der geballten Rechten fuchtelte er Clayton vor der Nase herum. Greystoke hielt dem Blick des Tobenden ruhig stand.
»Captain Billings«, sprach er schließlich langsam und betont, »verzeihen Sie meine Offenheit, aber ich muss Ihnen sagen, dass Sie ein Esel sind, falls Sie das noch nicht wissen.«
Er wandte sich um, verließ die Kabine und kehrte an Deck zurück. »Nun, Alice«, sagte er zu seiner jungen Frau, »ich hätte mir den Weg sparen können.