Kurt Mühle

Zelenka - Trilogie Band 3


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      Berger verkündete seiner Chefin nicht ohne Stolz, dass er gemeinsam mit Frau Petzold die Akten schon auf Plausibilität und Vollständigkeit überprüft habe. Man habe keine Defizite erkennen können. „Es mangelt höchstens etwas an der Logik der Vorgehensweise in diesem Fall“, übte er leise Kritik an den früheren Ermittlungen.

      „Mir kommt das so vor, als habe sich da im Verborgenen ’ne ganze Masse abgespielt, was nie protokolliert wurde. Das ist Kuhdorf-Kriminalistik“, schaltete sich Ramona mit einer ihrer deutlich klareren Aussagen ein.

      Marion lächelte zufrieden über den Scharfsinn ihrer jungen Mitarbeiterin. „Genau, Rambo, Sie sprechen aus, was in diesem dubiosen Fall mein größtes Problem zu werden scheint.“

      Sie winkte alle ihre Mitarbeiter zu einer Besprechung zu sich heran. „Wir bilden nun folgende Kommissionen: Frau Petzold und Herr Berger, - Sie greifen mit mir den Fall Bruno wieder auf. Die Herren Hoffeld, Laubitz und Kolbe bilden mit mir die Mordkommission Rossili. Sie drei kümmern sich um alle Fakten, die uns noch zu dem Fall geliefert werden, und sie kümmern sich darum, dass sie rasch geliefert werden. Beide Kommissionen sind jedoch nur das organisatorische Aushängeschild nach draußen; konkret arbeiten wir an diesen Fällen gemeinsam, weil ich immer mehr davon ausgehe, dass zwischen denen ohnehin ein Zusammenhang besteht. Sollte sich herausstellen, dass ich mich irre, organisieren wir uns neu. Fragen dazu oder irgendwelche Einwände?“

      Es gab keinen Widerspruch. Nur die arbeitseifrige Ramona fragte ungeduldig: „Mit was fangen wir an?“

      „Mit dem Naheliegendsten.“ Marion legte die drei Ordner zum Fall Bruno beiseite. „Alle zusammen versuchen wir jetzt, den Tathergang im Fall Rossili zu rekonstruieren, auch wenn noch nicht alle Auswertungen aus dem Labor und von der Rechtsmedizin vorliegen. Also Leute, steigen wir gleich ein. Erstes Merkmal: Einzeltäter oder mehrere Täter?“

      Hoffeld, der Marion während ihres Urlaubs vertreten hatte, erklärte, dass man mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit von einem Einzeltäter auszugehen habe. „Keinerlei Spuren deuten auf mehrere Personen hin. Dummerweise hat diese Türkin Zehra fast den gesamten Teppich im Tatzimmer gründlich abgesaugt, bevor sie den Toten entdeckte. Dadurch sind wertvolle Spuren wie Schuhabdrücke und Faserspuren vernichtet worden. Trotzdem untersuchen die im Labor noch den Staubbeutel auf Mikrofasern und so weiter.“

      „Davon erwarte ich nicht allzu viel. Nächster Punkt: Täter oder Täterin?“

      „Laut Rechtsmedizin mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Mann. Die ungeheure Wucht des tödlichen Schlages spricht dafür. Obwohl es natürlich auch kräftige Frauen gibt ...“

      Marion glaubte dennoch nicht an eine Täterin. „Es ist eine makabre Erfahrung: Mit einem wuchtigen Schlag töten eher kaltblütige Männer. Frauen sind sich im Allgemeinen nie so sicher und hauen lieber mehrmals drauf. Stimmt’s, Rambo?“

      „Also, ich hätte bestimmt ein paar Mal draufgeschlagen.“

      „Sehr beruhigend. Verlassen wir uns also auf unsere Expertin. Also, ein Mann als Einzeltäter. Wie kam er in die Wohnung? Die Spurensicherung hat keinerlei Gewaltanwendung an Türen und Fenstern feststellen können. Der erste Bericht von K20 geht demnach davon aus, dass Rossili seinen Mörder kannte und freiwillig hereingelassen hat.“

      „Einspruch, Euer Ehren! Es kann, aber es muss nicht so gewesen sein“, gab Hoffeld zu bedenken. „Zwar wurden am Schließzylinder keinerlei Beschädigungen gefunden, aber dieser Zylinder ist älterer Bauart, wie ich feststellen konnte. Und das bedeutet, dass man ihn mit einem Schlagschlüssel öffnen kann, ohne Spuren zu hinterlassen. Solche Schlagschlüssel werden heutzutage leider nebst Bedienungsanweisung im Internet angeboten. Da kommt also jeder böse Bube dran. Das Ding sieht wie ein normaler Schlüssel aus, wird ins Schloss eingeführt, und dann muss nur mit wenigen Schlägen - beispielsweise mit einem Stück Holz - auf den Schlüssel geschlagen werden. Dann kann man den Schlüssel ganz normal im Schloss herumdrehen und die Tür öffnen. Fast ein Kinderspiel.“

      „Unwahrscheinlich trotzdem“, warf Ramona ein. „Rossili hätte das Geräusch an der Tür hören müssen, falls er nicht gerade den Fernseher oder die Stereo-Anlage auf großer Lautstärke hatte oder einen Kopfhörer trug. Wir haben übrigens keinen gefunden. Der Lautstärkeregler des Verstärkers stand auf einem niedrigen Wert, anders ausgedrückt, - auf Background-bla-bla.“

      „Auch das Fehlen jeglicher Kampfspuren scheint mir eher ein Indiz dafür zu sein, dass Rossili dem Mann Einlass gewährte“, meinte Marion. „Okay, die andere Variante behalten wir mit im Auge. Wagen wir jetzt einen ersten Schritt zur Motivsuche. Und dazu gehen wir wie immer die vier Hauptkategorien durch, als da sind: Erstens Bereicherung.“

      Berger warf einen kurzen Blick ins Protokoll und berichtete: „Bisher konnte nicht ermittelt werden, dass irgendwelche Wertgegenstände fehlen. Im Gegenteil, einen Briefumschlag mit über achthundert Euro, der leicht zu finden gewesen wäre, ließ der Täter zurück, obwohl er genügend Zeit hatte und obwohl er - nach bisherigen Erkenntnissen - am Tatort nicht gestört wurde.“

      „Haken wir also einen Raubmord vorerst ab“, konstatierte die Chefin. „Zweitens wäre Sexualität als nächstes Hauptmotiv zu betrachten. Wenn hier niemand Einwände hat, würde ich das ebenfalls abhaken. Ich hab’ zwar von Spermaspuren an diversen Kleidungsstücken und auch in der Bettwäsche gelesen, allerdings sind die laut Rechtsmedizin älterer Bauart als der Tatabend. Die Spuren sind übrigens vom Opfer, wie das LKA Düsseldorf beim DNA-Abgleich festgestellt hat. Von daher kein Hinweis auf eine homosexuelle Beziehung. Eventuelle heterosexuelle Kontakte werden uns später noch beschäftigen. - Kommen wir zum dritten Hauptmotiv, der Gruppendynamik. Das ist mir am wenigsten wahrscheinlich, denn wir haben es mit einem Einzeltäter zu tun, es gab vor der Tat keine Orgie, kein Saufgelage oder Ähnliches.“

      Wieder meldete sich Ramona zu Wort, die gern zum Besten gab, was sie vor nicht allzu langer Zeit auf der Polizeischule gelernt hatte. „Dann bleibt als letztes Hauptmotiv der persönliche Konflikt übrig, ohnehin das häufigste Tatmotiv.“

      „Richtig“, pflichtete Marion ihr bei. „Und dazu sagt die Kriminalstatistik, dass sich in weit über achtzig Prozent aller Fälle Täter und Opfer gut kannten. Das wiederum passt zu unser primären Annahme, dass Rossili ahnungslos seinem Mörder öffnete.“

      Laubitz war etwas aufgefallen: „Interessant, dass Sie das Wort freiwillig dabei vermeiden. Ich denke mal, mit gutem Grund; denn nehmen wir an, Rossili kennt den Mann, öffnet ihm arglos die Tür und wird sogleich mit einer Waffe oder mit diesem merkwürdigen Brecheisen bedroht. Dann könnte von freiwilligem Einlassgewähren wohl keine Rede mehr sein.“

      „Bravo. Es ändert aber zunächst nichts.“ Marion schaute in den vorläufigen Bericht der Spurensicherung. „Den Blutspuren auf dem Teppich nach wurde Rossili unmittelbar vor seinem Schreibtisch im Rollstuhl sitzend von hinten erschlagen. Tatwerkzeug war die schon erwähnte alte Brechstange, die der Mörder nach der Tat auf den Boden warf, ehe er den Rollstuhl ans Fenster schob. Mich interessiert nun: Warum schob er den Rollstuhl mit dem Toten gut vier Meter weg?“

      „Höchstwahrscheinlich, damit er bequemer an die Schreibtischlade kam, die offenbar abgeschlossen war und von ihm gewaltsam geöffnet wurde. Entsprechende Holzsplitter wurden auf dem Teppich gesichert.“

      „Den Umschlag mit Geld hat er nicht beachtet. Bleibt also die spannende Frage: Was wurde aus der Schublade entwendet?“, meldete sich Kolbe zu Wort.

      „Wieso?“, wollte Marion wissen. „Wieso entwendet? Wir dürfen vermuten, dass der Täter irgendetwas anderes außer Geld gesucht hat. Ob er es hier oder woanders in der Wohnung gefunden hat, wissen wir nicht.“

      Ramona sprang ihrem Freund Michael Kolbe zur Seite. „Aber das besagte Etwas dürfte tatsächlich in der Schublade gewesen sein; denn es gibt keine Hinweise, dass der Täter sonstwo wild herumgewühlt hat, - außer, dass eine Schranktür offen stand und eine geöffnete Aktentasche im Flur lag.“

      „Gut, lassen wir das mal so stehen“,