Kurt Mühle

Zelenka - Trilogie Band 3


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Unterschrift darauf sehen. Wir seien nicht befugt dazu.“

      Marions Miene verfinsterte sich. „Erklären Sie dem Oberstaatsanwalt, dass ich mich weigere, diesen Zirkus mitzumachen. Wenn die Akte bis morgen nicht im K21 eingetroffen ist, würde ich mich an eine andere Stelle wenden.“

      „Sowetzko hilft uns auch nicht weiter“, stöhnte Berger. „Angeblich will er sich da ganz heraushalten. Das verstehe der Henker!“

      „Ich habe einen anderen Weg im Auge. Wenn ich bis morgen Mittag von Ihnen keine Bestätigung erhalte, dass die Akte da ist, werden die Herren bald erkennen, dass sie mit mir nicht den Molli machen können.“ Damit beendete sie das Gespräch.

      „Ärger?“, fragte Luise besorgt.

      „Ach, - nur so ’n alberner Spinner von Staatsanwalt ...“

      Inzwischen war der Künstler auf die beiden Frauen zugegangen und begann über seine Werke zu schwafeln. Der Mann hatte langes schwarzes Haar, durchsetzt mit grauen Strähnen, hinten zu einem Zopf verknotet. Sein Gesicht bestand aus einer schmalen Stirn, zwei kreisrunden, stechenden Augen, - der Rest war zugewuchert von wildem Bartwuchs, der sich beim Sprechen etwas hob oder senkte. Marion hielt deutlich Abstand zu diesem seltsamen Wesen, Luise hingegen erkundigte sich leutselig, ob er vielleicht etwas Deutsch verstehe, da sie sich eventuell für eines der Gemälde interessiere.

      Seine Augen wurden noch größer, er fuchtelte mit den Armen herum und bekundete radebrechend, dass er mal eine Deutsche zur Frau hatte. Er deutete aufs Meer hinaus und gab zu verstehen, sie sei übers Meer gekommen und eines Tages vom Meer zurückgeholt worden, womit er wohl sagen wollte, sie sei ertrunken. Er selbst sei einer der wenigen noch reinrassigen Guanchen und stamme von einem Mencey ab. „Chef von Land, Häuptling,“ erklärte er und pries das Gemälde an. „Cuadro, gemalt hat Kranker, krank von Liebe. Verstoßen von Abora. Abora ist Gott. Kranker hat Bild gemalt als Sterbender. Auf seine Hemd bei Ausbruch von Teneguia. Mit ceniza - Asche und Schwefel. Und seine sangre – seine Blut. Bild santo santo. Ist heilig.” Um seine Worte zu unterstreichen, küsste er innig das Kunstwerk und hielt es gen Himmel. Dann stellte er es vorsichtig ab und verbeugte sich davor, - wie in tiefer Demut.

      Marion vergaß rasch ihren Ärger. Sie musste lachen ob dieser marktschreierischen Vorstellung. Auch Luise hielt es für ein geschicktes Theater, um den heiligen Preis zu rechtfertigen, den sie aber in den nächsten Minuten geschäftstüchtig auf eine irdische Größe herunterhandelte.

      Abends im Hotelzimmer verkosteten die beiden Damen eine ganze Flasche frischen Teneguia-Weißwein, was Marion in ausgesprochene Lästerstimmung versetzte: „Siehst du dort auf deinem cuadro den schwarzen Sand? Die Asche des Teneguia-Vulkans, und das Gelb-Braune ist stinkender Schwefel. Riecht man’s nicht noch? Und in der Mitte, die glühende Lava – nein, das Blut des liebeskranken Guanchen, den Abora verdammte. Glaubst du von diesem Schmarren etwa ein halbes Prozent?“

      „Nicht so direkt“, druckste Luise herum. „Für mich ist das Bild in seinen Farben ein Ausdruck von Natur ...“

      „... so wie der Höhlenmensch, der es gemalt hat“, ergänzte Marion lästernd. „Aus beiden spricht die Urgewalt, die alles aus Asche entstehen ließ und alles wieder zu Asche werden lässt. So gesehen hat der Künstler direkt etwas Magisches, Prophetisches, Ur-Erotisches.“

      „Spotte nicht!“ Luise schüttelte den Kopf. Sie war nicht zu solchen Scherzen aufgelegt. Es dauerte eine Weile, bis sie sich gefangen hatte. „Das Bild hat etwas, macht sich bestimmt ganz gut über meinem Sekretär. Mit dem sakralen Firlefanz wollte der Guanche sich wohl nur interessant machen. Ob der überhaupt echt ist? – Na, egal.“ Sie hob ihr Glas. „Auf Abora!“

      Sie stellte das Bild aufrecht gegen die Wand gelehnt auf einen kleinen Tisch. In der Nacht ging ein fürchterliches Gewitter nieder. Erst gegen Morgen schlief Luise ein, wurde aber immer wieder von bösen Träumen aufgeweckt. Sie sah das bärtige Gesicht des Guanchen vor sich, seine stechenden Augen, wie er sich mit einem Messer den Arm aufschlitzte und mit seinem Blut ein Bild bemalte.

      Ihr Schrei weckte Marion auf, die gleich Licht machte. „Schau mal, ist der rote Fleck nicht jetzt viel größer?“, rief Luise verstört und zeigte auf das Bild.

      „Du spinnst.“ -

      Am anderen Tag kam erwartungsgemäß kein Anruf von ihrem Kommissariat. Marion wartete noch bis zum nächsten Morgen, dann rief sie Jürgen Schirrmeister an, mit dem sie sich lange unterhielt und dem sie ihren derzeitigen Ärger wegen der Akte Bruno ungewöhnlich detailliert schilderte.

      „Ist das ein neuer Kollege von dir?“, wollte Luise nach dem Telefonat wissen.

      Marion schüttelte nur den Kopf. „Nein - nein. Der ist nur vom Bundeskriminalamt. Das BKA wollte mich früher mal abwerben. Ich hab’ abgelehnt.“

      „Tut es dir Leid?“

      „Angesichts der stickigen Atmosphäre, die derzeit bei uns herrscht, - vielleicht. Aber wenn ich an meine Truppe im K21 denke, - nein. Außerdem hätte ich Sven niemals kennen gelernt.“ -

      In ihrem Hotelzimmer wiederholte sich an den folgenden Tagen ständig ein Phänomen: Morgens stand das Bild des Guanchen, wie es Luise hingestellt hatte, auf dem kleinen Tisch und schaute ins Zimmer, abends war es herumgedreht und schaute zur Wand.

      „Das macht das Zimmermädchen“, lachte Marion. „Das hat halt einen besseren – pardon! - abweichenden Kunstgeschmack, - was ich ihr irgendwie nachfühlen kann.“

      Als Luise das Zimmermädchen darauf ansprach, wurde es verlegen. Ängstlich bekreuzigte es sich und murmelte: „Diese Cuadro, diese Bild, ist malo, mistico. Ist böse, sehr böse. Ich Angst davor und schlecht träumen.“

      „Damit würd’ ich glatt zur Polizei gehen“, spottete Marion, während Luise wie geistesabwesend aus dem Fenster schaute. -

      Die Tage auf La Palma waren wie im Fluge vergangen. Im Präsidium wartete man bereits ungeduldig auf die Rückkehr der Hauptkommissarin Zelenka. Ein Besprechungstermin im größeren Kreis war bereits anberaumt worden, an dem sogar der Polizeipräsident teilzunehmen gedachte, dann aber doch nicht erschien. Statt seiner erschien als Beobachter und Berichterstatter ein gewisser Herr Brühler, hager, bleich und so mundfaul, dass er nicht mal Worte der Begrüßung erwiderte. Auch an der folgenden Diskussion beteiligte er sich mit keinem Wort.

      Dafür platzte es aus Dr. Kämmereit mit vor Zorn bebender Stimme heraus: „Was - bitte schön - hat Sie veranlasst, dem alten Fall Bruno einen terroristischen Hintergrund anzudichten?! - Wir warten auf eine Erklärung, Frau Zelenka, sonst kann das für Sie unabsehbare Konsequenzen haben!“

      Marion war auf diese Auseinandersetzung vorbereitet. Sie schüttelte nur langsam den Kopf und erwiderte bedächtig, aber sehr bestimmt: „Ihre Konsequenzen kann ich sehr wohl absehen, Herr Oberstaatsanwalt. Besorgen Sie mir die Akte Bruno, und ich werde sie nach terroristischen Gefahrenpunkten durchforsten. Vielleicht haben Sie sogar Recht, und an der Sache ist nichts dran.“

      Dr. Sowetzko fuhr ein Schauer über den Rücken. Er hatte mit dieser Kommissarin schon einiges erlebt, eine solche Kaltschnäuzigkeit jedoch noch nicht. „Warum - zum Teufel - haben Sie das BKA auf den Fall gehetzt?! Dafür gab es nicht den geringsten Anlass! Die Angelegenheit ist dadurch hochgekocht bis hinauf zum Präsidenten.“

      „Tja, was eine verschwundene Akte für ’n Wirbel auslösen kann ...“

      „Frau Zelenka, dies hier ist kein Spaß!“, rief Dr. Kämmereit wütend in die Runde und schlug dabei mit der flachen Hand mehrmals auf den Tisch, um sich abzureagieren. In der folgenden Stunde musste er einsehen, dass Marion keinen Zentimeter von ihrer Haltung abzuweichen bereit war. Allmählich spielte sich die Diskussion immer mehr zwischen dem Oberstaatsanwalt und Dr. Sowetzko ab, wobei es um die Frage ging, ob es richtig sei, den Fall Bruno wieder aufzugreifen und warum ausgerechnet das K21 damit beschäftigt werde.

      Als