Kurt Mühle

Zelenka - Trilogie Band 3


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neue Fälle am Hals habe, als ihr Telefon läutete und Detering ihr in knappen Worten berichtete, dass Zehra Ylmaz sich im Vernehmungsraum drei befände. „Habt ihr die herbestellt?“, fragte sie verwundert und stellte ihr Telefon auf „laut“. Alle im Raum hörten mit, wie Detering widerwillig und stockend über die zwangsweise Vorführung der jungen Türkin berichtete.

      Ramona Petzold schüttelte den Kopf. „Wieso schickt mein Onkel ausgerechnet den Detering dahin? Dessen Feinfühligkeit hat doch schon mal für einen halben Mongolenaufstand im Türkenviertel gesorgt?!“

      Mahnend hob Marion den Zeigefinger. „Rambo! Bitte keine Kollegenschelte. Holen Sie lieber die Zeugin hierher.“

      Tänzelnd und singend bewegte sich Ramona zur Tür: „Was dieser Mann so alles kann - mal Don Juan - mal Dschingis Khan ...“

      Dem allgemeinen Gelächter konnte auch Marion nicht widerstehen. Ramonas fröhliches Wesen hatte hier im K21 oft schon für heitere Momente gesorgt, auch wenn ihre flapsigen Bemerkungen manchmal recht bissig ausfielen. Die junge Kampfsportlerin, deren Erfolge ihr den Beinamen „Rambo“ eintrugen, hatte sich in diesem Team nahtlos eingefügt und fühlte sich dort selber auch erkennbar wohl. Mit Ramonas lockerem Mundwerk hatte Marion kein Problem, schließlich war sie auch nicht gerade auf den Mund gefallen und wusste sich - wenn es erforderlich schien - energisch zur Wehr zu setzen und die Zügel straff zu ziehen. Da dies in ihrem Kommissariat aber alle sehr genau wussten, kam es nur höchst selten zu solchen Situationen.

      Als Ramona das Vernehmungszimmer betrat, wollte Zehra gerade ihr Kopftuch abnehmen und sah sich dabei ängstlich um.

      „Das können Sie ruhig anbehalten“, sagte Ramona und begrüßte die jungen Türkin mit Handschlag. „Wir haben hier keine Vorurteile. Kommen Sie, - hier drinnen ist es dunkel und muffig. Wir gehen zur Chefin. Die hat ein paar Fragen an Sie.“

      Zur Chefin? Diese Ankündigung hatte für Zehra etwas Bedrohliches. „Ich habe Herr Rossili nicht getötet. Habe da nur gearbeitet für ihn. Bitte glauben Sie ...“

      „Das behauptet auch keiner.“

      „Aber man sagt, wer bei Toten erwischt wird, ist auch Mörder.“

      Ramona lachte und legte beruhigend ihren Arm auf Zehras Schulter. „Keine Sorge. Ein bisschen genauer schauen wir schon hin.“ Sie geleitete die Zeugin in eine kleine Sitzecke, die neben Marions Schreibtisch durch ein paar Stellwände abgeteilt war. „Nun bring’ ich Ihnen erst mal ’n Kaffee. Ist zwar aus dem Automaten und nicht so gut wie ein Türkischer, aber ... Mit Milch und Zucker?“

      Zehra schaute sie verständnislos an und nickte mechanisch.

      „Die ist eingeschüchtert bis aufs Knochenmark“, flüsterte Ramona ihrer Chefin zu, die Hinweise dieser Art sehr dankbar entgegen nahm; denn jetzt würde sie nicht mit der formellen Aufnahme der Personalien beginnen, sondern versuchen, der Zeugin im Gespräch die Angst zu nehmen und erst mal ein wenig Vertrauen aufzubauen.

      „Ja, das ist wirklich schlimm, was da mit Herrn Rossili passiert ist“, begann Marion die Befragung, nachdem sie sich als die bedauernswerte Beamtin vorgestellt hatte, deren Aufgabe es sei, den bösen Täter zu finden. „Und dazu muss ich möglichst viel wissen über das Leben, das Herr Rossili führte. Da ist jede Kleinigkeit wichtig. Ich denke, Sie können mir dabei ein wenig helfen. Wollen wir ’s mal versuchen?“

      Zehra nickte irritiert. Sie verstand die Freundlichkeit nicht, die sie hier umgab. Zwar hatte sie bislang noch nie etwas mit der Polizei zu tun gehabt, aber man hatte ihr bisher wenig Gutes darüber berichtet.

      „Darf ich unser Gespräch aufzeichnen?“, fragte Marion und legte ein kleines Diktiergerät auf den Tisch. „Ich hab’ ein wahnsinnig schlechtes Gedächtnis und müsste sonst alles mitschreiben. So sind wir schneller fertig. Sie haben sicher heute auch noch etwas Besseres vor, als hier herumzusitzen.“

      Wieder nickte Zehra, und ihre Gesichtszüge entspannten sich. Die Aussicht auf ein Ende hier im Präsidium und dann als freier Mensch gehen zu dürfen, erleichterte sie ungemein. „Als ich das Blut gesehen habe ... Es war so schrecklich. Ich bin davongelaufen. Wie in Panik. Ich hatte Angst, furchtbare Angst“, begann sie nun von sich aus, hastig zu berichten.

      „Das verstehe ich sehr gut“, sagte Marion beruhigend. „Aber jetzt fangen wir mal ganz von vorne an. Dann muss ich mir das später nicht alles erst sortieren. Wie lange haben Sie denn schon für Herrn Rossili gearbeitet?“

      Wieder schaute Zehra misstrauisch drein. Wollte man ihr vielleicht hinterrücks etwas wegen Schwarzarbeit anhängen? Marion ahnte sofort diese Besorgnis, schaltete für einen Moment das Diktiergerät aus und sagte: „Wie Sie das finanziell abgewickelt haben, interessiert hier niemanden. Es geht uns ausschließlich um das Tötungsdelikt.“

      Im Plauderton setzte sie ihre Befragung fort und spürte, dass die Zeugin nach und nach immer unbefangener antwortete. Und so erfuhr sie, dass Dieter Zehra über ein Zeitungsinserat engagiert hatte, dass sie zwei bis dreimal in der Woche seine Wohnung in Ordnung brachte, Einkäufe für ihn erledigte und den Wäschedienst organisierte. Manchmal habe sie einige Stunden damit zu tun gehabt, manchmal aber auch fast einen ganzen Tag lang. Hin und wieder sei sie mit ihm auch gemeinsam einkaufen gefahren oder habe ihn bei schönem Wetter durch den Park begleitet.

      „Geschoben“, wollte Marion verbessern.

      Nein, Herr Rossili habe einen Rollstuhl mit Elektromotor gehabt. Damit habe er ab und zu auch seine Stammkneipe aufgesucht, um ein paar Bier zu trinken. Wie das Lokal hieß, wollte Marion wissen. Ob sie ihn auch zu anderen Veranstaltungen, Freunden oder Bekannten begleitet habe. Zehra verneinte. Er habe zu Hause viel gelesen und Musik - altmodische deutsche Schlager - gehört, und dabei habe er oft schon am Vormittag Rotwein getrunken und immer viele Zigaretten geraucht. Viel geschrieben habe er auch.

      „Mit der Hand? Mit der Schreibmaschine? Am Computer?“

      „Nein, auf seinem Laptop. Hatte aber wohl oft Probleme damit.“

      „Wo stand der gewöhnlich?“

      Der Laptop habe immer aufgeklappt auf seinem Schreibtisch gestanden. Führte er einen Kalender, ein Adressbuch oder sonst ein Notizbuch? Zehra wusste es nicht, meinte aber, er habe alle Daten in seinem Laptop gespeichert; denn bei Terminen oder der Suche nach einer Telefonnummer habe er immer dort nachgesehen.

      Marion fragte bis ins Detail nach Dieters Lebensgewohnheiten, wann er aufstand, wann er zu Bett ging, ob er einen Mittagsschlaf hielt und wie viel Zeit er vor dem Fernseher verbrachte. Vieles davon konnte Zehra nicht konkret beantworten. „Mit wem hatte Herr Rossili Kontakt? - Wen haben Sie in seinem Haus gesehen oder kennen gelernt?“

      Es sei höchst selten gewesen, dass sie dort irgendjemand anderen getroffen habe. Nur in letzter Zeit seien hin und wieder wohl mal Besucher gekommen, an die sie aber keine nähere Erinnerung habe. Sie habe nur festgestellt, dass des Öfteren mehrere benutzte Wein- oder Biergläser in der Küche neben überquellenden Aschenbechern standen.

      „Mochten Sie Herrn Rossili persönlich?“

      Zehra senkte verlegen den Kopf. „Er war immer sehr großzügig zu mir.“

      „Standen Sie mit ihm in engerer Verbindung? - Sie müssen darauf übrigens nicht antworten.“

      „Nein. Niemals.“

      „Aber er hat es versucht“, bohrte Marion nach. Zehras Kopf sank noch weiter nach vorn, und das schien Antwort genug. „Haben Sie irgendjemandem von diesem Annäherungsversuch erzählt?“

      „Nein, niemandem.“

      „Auch nicht Ihrer Familie? - Ihrem Bruder vielleicht?“

      Heftig schüttelte Zehra den Kopf. Davon dürfe ihre Familie auf keinen Fall erfahren. Marion sicherte ihr dies zu, ehe sie zuletzt noch die Personalien aufnahm. „Reine Formsache.“ Und wie nebenbei erkundigte sie sich, ob Zehra einen Freund oder Verlobten habe oder ob sie irgendjemandem versprochen