Kurt Mühle

Zelenka - Trilogie Band 3


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Marxloh. Wenn sie zu ihm kam, nahm sie ihr Kopftuch ab, das sie nur trug, weil es der strenge Familienclan so verlangte. Im Grunde fühlte sie sich eher wie eine Deutsche.

      Als Dieter ihre Offenheit einmal missdeutete und gegen Bezahlung von ihr auch körperlich verwöhnt werden wollte, wies sie ihn empört zurück. Es kostete ihn viele gute Worte und eine erkleckliche Lohnzulage, um sie daraufhin nicht als Haushaltshilfe zu verlieren. Für Geld tun die doch sonst alles, dachte er bei sich und musste zur Kenntnis nehmen, dass die einst so freundliche Zehra von nun an nur noch das Notwendigste mit ihm sprach.

      Was Zehra ihm zu geben nicht bereit war, suchte er im einschlägigen Anzeigenteil des Stadtanzeigers, wo er rasch fündig wurde. Viele der Damen machten auch gern Hausbesuche, zumal Dieter sich nicht lumpen ließ. Eine von ihnen, die sich „Dolores“ nannte, hatte es ihm besonders angetan, so dass er sie bereits mehrmals zu sich bestellt hatte.

      Auch heute Abend hatte Dolores wieder einen Termin bei ihm. Als er ihr nach mehrmaligem Klingeln endlich die Tür öffnete, schüttelte er abwehrend den Kopf und sagte barsch: „Heute nicht. Ich melde mich.“

      Da er sogleich hastig die Tür schließen wollte, stemmte sie sich dagegen und schubste ihn mit dem Rollstuhl ins Zimmer. „So nicht“, meinte sie verärgert. „Wenigstens die halbe Miete, mein Lieber! Kalt abservieren ist bei mir nicht drin.“

      Aus dem Reihenbungalow drang so lautes Stimmengewirr nach draußen, dass auf der Straße einige Passanten aufmerksam wurden, kurz stehen blieben, dann aber teils kopfschüttelnd, teils spöttisch lächelnd ihrer Wege gingen. -

      Zehra hatte Schlüssel zu Dieters Wohnung. Am anderen Morgen kam sie wie seit Wochen wortlos und gesenkten Hauptes herein, um stumm ihre Arbeit zu verrichten. Aus dem Besenschrank holte sie den Staubsauger, brachte ihn ins Wohnzimmer und schloss das Kabel an.

      Dieter saß in seinem Rollstuhl vorm Fenster. Anscheinend betrachtete er wieder mal sinnierend sein kleines Gartengrundstück. Zehra kümmerte sich nicht um ihn. Erst als sie sich ihm mit dem Staubsauger näherte, fragte sie forsch: „Darf ich mal?“

      Dieter antwortete nicht. Sie wiederholte ihre Frage doppelt so laut, er aber rührte sich nicht. Ob er eingenickt war? - Sie ging um ihn herum und hielt entsetzt inne.

      Als wäre er in seinem Rollstuhl eingeschlafen, hing sein Kopf auf der Brust. Seine Haare, sein Gesicht, sein ganzer Oberkörper waren rot gefärbt von Blut, das erkennbar von einer tiefen Wunde oberhalb der Stirn herrührte.

      Der Anblick ließ Zehra erzittern, der Staubsaugergriff entglitt ihr. In Panik eilte sie in den Flur, ergriff Jacke und Handtasche und rannte auf die Straße, wo sie stolpernd einen jungen Mann anrempelte, der verwundert der Flüchtenden nachschaute. Dann blickte er zu dem Haus, aus dem die Frau gekommen war; die Haustür stand weit offen. Da stimmt was nicht, dachte er, ging vorsichtig ins Haus und rief einige Male: „Hallo. Ist da jemand?“.

      Aus dem Wohnzimmer drang nur das Surren eines Staubsaugers. Er ging hinein und rief wenige Minuten später mit seinem Handy den Notruf der Polizei an. -

      Eine Polizeistreife traf als erstes ein, dann kam der Notarztwagen, gefolgt vom Gerichtsmediziner und Kommissar Petzold, der nach einem ersten Blick auf den Toten die Spurensicherung anforderte. „Wann trat der Tod in etwa ein?“, wollte er von dem Arzt wissen.

      „Das ist nach erster Schätzung gut und gern zwölf Stunden her. Also gestern Abend oder irgendwann in der Nacht. Genaueres später. Todesursache ist augenscheinlich die massive Schädelverletzung, die durch einen wuchtigen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand erfolgt sein dürfte.“

      „Wer hat den Toten entdeckt?“

      Ein Beamter deutete auf ein Nebenzimmer. „Der junge Mann da drinnen.“

      Während das Team der Spurensicherung seine Arbeit aufnahm, ließ Petzold sich von dem jungen Mann, der sich als Ralf Zodiak vorstellte, die Umstände schildern, die zum Auffinden des Toten geführt hatten. Er legte darüber ein erstes Protokoll an. Besonders interessierte ihn die Frau, die kurz zuvor fluchtartig das Haus verlassen hatte. Zodiak musste sie so genau wie möglich beschreiben, und mit dieser Beschreibung ließ er unverzüglich die Nachbarn befragen.

      „Wenn der schon zwölf Stunden tot ist, kommt die Frau als Täterin wohl kaum in Betracht“, wandte ein vorwitziger Beamter ein.

      Petzold sah ihn strafend an. „Wir wissen, wann die Dame gegangen ist, aber wir wissen bis jetzt nicht, wann sie gekommen ist, - nicht wahr, Herr Kollege.“ Er schaute sich genauer in der Wohnung um, soweit ihn die Spurensicherung gewähren ließ. Auf den ersten Blick deutete nichts auf einen Raubmord hin. Eine erste Kontrolle der Haustür sowie der Fenster ließ keine Beschädigung erkennen.

      In der Brieftasche des Opfers befanden sich Geld, Kreditkarten, Behindertenausweis, ein paar Quittungen und ... Beim Blick in den Personalausweis stutzte er: Dieter Rossili. Woher kannte er den Namen?

      Rossili, der Rollstuhlfahrer! Klar, der war Zeuge in dem ungeklärten Fall „Bruno“, den man seiner damaligen Chefin, Marion Zelenka, entzogen hatte, da sie befangen sein könnte. Schließlich war sie einst mit Bruno in der gleichen Abiturklasse. Und - gehörten nicht dieser Dieter Rossili und einige andere Zeugen auch dazu?

      Petzold ging nach draußen, um ungestört mit seiner Kollegin vom K21 telefonieren zu können. Als Marion den Namen Dieter Rossili hörte, reagierte sie höchst unwirsch, ein Zeichen dafür, dass sie immer noch stinksauer darüber war, damals genötigt worden zu sein, den Fall „Bruno“ abzugeben. Aber als sie jetzt von Dieters Tod erfuhr, schien sie doch recht betroffen. Leise sagte sie nach einer Weile: „Der wollte mich vor ein paar Tagen einladen, zum Essen oder zum Bier oder so. Warum das eigentlich? - Gerd, halt’ die Stellung. Ich bin in längstens einer halben Stunde bei dir.“

      Auf der Fahrt zum Tatort fragte sie sich immer wieder, warum ihr Dieter vor Tagen den Brief mit der so harmlos klingenden Einladung zu einem Treffen geschrieben hatte. Zwischen ihnen hatte nie eine engere Beziehung bestanden, im Gegenteil: Nach Brunos Tod war durch die polizeilichen Ermittlungen die Distanz noch größer geworden. Warum also plötzlich diese Kontaktaufnahme? Fühlte Dieter sich bedroht? Wollte er Rat, suchte er Schutz bei ihr?

      Wenn es zwischen dem Brief und Dieters Tod einen Zusammenhang gab, hätte sie dann womöglich dieses Verbrechen verhindern können? Sie schüttelte hinter dem Steuer so heftig den Kopf, dass ihr das blonde, schulterlange Haar ins Gesicht wehte. Nein, wehrte sie sich gegen aufkommende Schuldgefühle, dann hätte er sich klarer ausdrücken müssen.

      „Ist ein Motiv erkennbar? Einbruch? Raub?“, fragte sie gleich, nachdem sie wie all die anderen die vorgeschriebene sterile Schutzkleidung angelegt hatte, mit der verhindert werden sollte, dass Spuren verwischt oder hinzugefügt werden könnten. Sie warf einen Blick auf den Toten, um sich davon zu überzeugen, dass es sich tatsächlich um ihren ehemaligen Schulkameraden Dieter handelte.

      „Eher unwahrscheinlich“, erwiderte Petzold. „Brieftasche, Portemonnaie, die vermutlich echte Rolexuhr an seinem Handgelenk, - alles da. Ob sonst etwas entwendet wurde, müssen wir erst feststellen. Nur eines ...“

      „Ja?“, fragte Marion ungeduldig.

      „Die Schublade zu seinem Schreibtisch wurde gewaltsam geöffnet, jedenfalls ist das recht einfache Schloss total demoliert. In der Schublade fanden wir persönliche Papiere, allerlei Schreibutensilien und in einem Umschlag ein Bündel Euroscheine, achthundertvierzig Euro insgesamt. Nach Raub sieht das also nicht aus.“

      „Vielleicht hat er selbst das Schloss aufgebrochen, weil er irgendwann mal den Schlüssel verloren hatte.“

      Petzold schüttelte den Kopf. „Den Schlüssel fanden wir in seiner Hemdtasche. Außerdem haben die Kollegen von der Spurensicherung feine Holzsplitter auf dem Teppich unterhalb des Schreibtisches gefunden. Ob die von der Schublade stammen, wird untersucht.“

      „Tatwerkzeug?“

      „Eine alte Brechstange. Die lag dort vor