Kurt Mühle

Zelenka - Trilogie Band 3


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für meine Nachfolge unterbreitet habe. Ich möchte diesen Vorschlag nun offiziell wiederholen. Und dazu muss ich zunächst Sie fragen. Wären Sie bereit?“

      Ich als Kriminalrätin, Chefin sämtlicher Kommissariate hier im Hause? Marion wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Das Vertrauen ihres Chefs schmeichelte ihr, und ihr Ehrgeiz drängte sie zu einer begeisterten Zusage. Doch ihr Verstand riet ihr zur Zurückhaltung. Zu sehr spürte sie die widersprüchlichen Strömungen im Präsidium. Zudem wusste sie von ihrem Düsseldorfer Kollegen Kellermann, dass im Innenministerium die Organisation in Duisburg als „unüblich“ eingestuft wurde, und schließlich gab es da noch die Studie der PMM-Marketing-Gesellschaft, über deren Inhalt man bisher nichts verlauten ließ. Marion jedoch wusste lediglich von Frau Sperling, der zuständigen PMM-Angestellten, dass gravierende organisatorische Änderungen vorgeschlagen wurden.

      „Nun, ich würde nicht nein sagen“, antworte Marion ihrem Chef daher recht emotionslos.

      „Gut. So hab’ ich das von Ihnen erwartet.“ Ihre Zurückhaltung hielt er für ein Gefühl von Bescheidenheit und Dankbarkeit. Er schenkte Kaffee nach und meinte dabei: „Da gibt’s noch etwas, das ich Sie fragen wollte: Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem ungeklärten Fall Bruno und dem Tötungsdelikt an diesem Rollstuhlfahrer?“

      „Beide Fälle werden vom K20 bearbeitet,“ erwiderte Marion kühl. „Petzold kann Ihnen darüber Auskunft geben.“

      „Ich habe aber Sie gefragt.“

      „Ich würde den Aspekt keinesfalls außer Acht lassen.“

      „Angenommen“, - der Kriminalrat drehte die Hände in der Luft, als schraube er Glühlampen ein - „also mal angenommen, bei der Aufklärung des Falles Rossili wäre das Thema Bruno tabu, - auf höhere Anweisung hin ...“

      „Sie kennen mich doch lange genug“, unterbrach Marion ihn mürrisch. „Ich kann mir zwar meine Fälle nicht aussuchen, aber wie ich sie angehe und was ich dazu für erforderlich halte, bestimme ich selber. Da redet mir niemand ’rein!“

      Überraschenderweise lächelte der Chef über diese Antwort und meinte zufrieden: „Genau das wollte ich von Ihnen hören.“

      „Und welchen sittlichen Nährwert hat diese historische Erkenntnis für die heutige Generation?“

      Dr. Sowetzko hatte es im Laufe der Jahre gelernt, die Ironie seiner Hauptkommissarin zu ertragen. Er lehnte sich zurück, rieb sich über die Stirn und meinte nach einer längeren Zeit des Schweigens: „Ich möchte, dass der Fall Bruno neu aufgerollt wird. K20 ist nicht weitergekommen. Nun soll es K21 versuchen. So zu verfahren ist ja - wie Sie wissen - nicht unüblich.“

      Verwundert schaute Marion ihren Chef an. „Es ist meines Wissens allerdings unüblich, jemandem einen Fall zu übertragen, den man ihm just zu Beginn entzogen hat?“

      „Das ist richtig, und ich gestehe, dass dies ein Fehler war.“ Der Kriminalrat erhob sich, ging einige Male im Zimmer auf und ab, eher er in seinem gewohnten Befehlston anordnete: „Beide Fälle liegen ab sofort beim K21. Und Sie persönlich, Frau Zelenka, werden die Ermittlungen leiten.“

      „So etwas nennt man wohl einen Bumerang“, sagte Marion im Hinausgehen. An der Tür wandte sie sich noch einmal um und erinnerte ihren Chef daran, dass sie in der kommenden Woche acht Tage zur Erholung von ihrer schweren Schussverletzung auf den Kanaren sein werde.

      „Auch das noch! - Ach herrjeh, das hab’ ich glatt vergessen. Dann veranlassen Sie jetzt erst mal alles Nötige, damit das voran geht, bis Sie wieder da sind.“

      „Muss einem ja gesagt werden“, murmelte Marion als Antwort.

      „Wie - was?“

      „Ach, nichts.“ Draußen im Flur atmete sie einige Male tief durch. An dem, was sie soeben vom „Alten“ vernommen hatte, kamen ihr Zweifel. Jetzt plötzlich sollte der Fall Bruno wieder aufgegriffen werden?

      Oder steckte dahinter etwas ganz anderes?

      Gelöschte Spuren

      Bei der Durchsuchung der Wohnung Dieter Rossilis fanden die Kommissare sehr bald die Anschrift seiner Hausgehilfin Zehra Ylmaz. Sie galt als derzeit wichtigste Zeugin, da man sich von ihr weitere Hinweise auf die Lebensgewohnheiten des Opfers versprach.

      Im Auftrag Petzolds suchte Kommissar Detering gemeinsam mit seiner Kollegin Ina Völker die Familie Ylmaz im Stadtteil Marxloh auf. Doch die Befragung verlief ein wenig anders als geplant. Ein älterer weißhaariger Herr öffnete die Tür, die er sogleich wieder zuschlagen wollte, als Detering ihm abrupt seinen Dienstausweis entgegenstreckte. Wenn sie es noch nicht kannten, so lernten die beiden Beamten in diesem Augenblick, wie sich heftiges Fluchen auf Türkisch anhört.

      Ein jüngerer Mann tauchte aus dem Hindergrund auf und rief: „Zehra nicht da. Schwester verreist zu Großeltern in Türkei. Sie unschuldig, Ende - aus! Und ihr verschwinden jetzt!“

      Detering trat einen Schritt vor und streckte abwehrend die Hand aus. „Wir müssen Ihre Schwester dringend sprechen. Es gibt da einige Fragen.“

      „Zehra unschuldig, verstanden?!“

      „Wir brauchen sie als Zeugin.“

      „Erst hunderttausend Fragen - dann Zeuge - dann einsperren. Wir kennen das“, tönte es von drinnen. Inzwischen wurden durch die lauten Worte Nachbarn angelockt, augenscheinlich alles Türken, die einen Halbkreis um die beiden Beamten bildeten und drohende Haltungen einnahmen.

      „Haut hier ab - los!“, rief Detering erregt den Leuten entgegen. „Hier gibt’s nichts zu gaffen!“

      Ina Völker wurde es mulmig. Als Zehras Bruder auf Detering zukam und ihn aus dem Hauseingang schubsen wollte, tastete sie nach ihrem Handy, um Verstärkung anzufordern. Doch irgendjemand schlug ihr das Handy aus der Hand, und sogleich war eine Rangelei im Gange, begleitet von wüsten Beschimpfungen.

      Zum Glück für die beiden Beamten fuhr in der Nähe gerade eine Polizeistreife vorbei, die den kleinen Tumult bemerkte und sofort mit Martinshorn und Blaulicht zum Ort des Geschehens raste. Eilig verzogen sich die Nachbarn wieder in ihre Häuser.

      Aus der Wohnung Ylmaz drang eine drohende Männerstimme, gepaart mit den verzweifelnd flehenden Worten einer Frau. Nach einem Wink Deterings drangen zwei Polizisten in die Wohnung ein. Wieselflink versuchte ein junge Frau, an ihnen vorbei zu entwischen, doch Detering packte ihren Arm und hielt sie fest.

      „Du bist die Zehra, nicht wahr?“, fuhr er sie an. Sie blickte nur zu Boden und schwieg beharrlich. „Gut - keine Antwort ist auch eine Antwort. Dann führen wir die Vernehmung auf der Wache weiter. Also los dann!“

      Begleitet von Schimpfrufen und einigen Steinwürfen verfrachtete man Zehra recht unsanft in den Streifenwagen und fuhr eilig davon.

      „Dürfen wir das so ohne weiteres?“, fragte Ina Völker besorgt.

      Detering grinste. „War doch ’n glatter Fluchtversuch. Wir berufen uns ganz einfach darauf. Für uns ist sie halt immer auch noch eine Tatverdächtige.“

      Im Präsidium führte man Zehra in ein Vernehmungszimmer, wo sie unter Bewachung stand, während Detering seinen Kommissariatsleiter Petzold unterrichtete. Doch der teilte ihm missmutig mit, dass der Fall Rossili auf höhere Anordnung neuerdings vom K21 bearbeitet werde. „Sagen Sie also bitte der Kollegin Zelenka Bescheid, dass Frau Ylmaz zu ihrer Verfügung steht.“

      „Muss ich ...?“, druckste Detering herum. Der Groll über sein abgeschmettertes Liebeswerben saß immer so tief, dass er jede Begegnung mit seiner ehemaligen Chefin zu vermeiden suchte. Hinzu kam der Frust über seine gesunkenen Aufstiegschancen, seitdem Hasenbach nicht mehr das K20 leitete.

      „Das sagte ich doch gerade“, beharrte Petzold auf seiner Anordnung. „Sie dürfen