Amanda Kelly

Das Elfenbeintor der Träume


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nur deshalb, weil das Unterbewußtsein genau weiß, was Sie wirklich aufwühlt. Es will Sie auf etwas aufmerksam machen, was für Ihre Entwicklung von höchster Bedeutung ist. Die Reitergarde des Königs würde auch nicht zulassen, dass die königliche Kutsche, die den Lebensweg darstellen soll, über einen Stein stolpert, auf dem Weg in einen umgefallenen Baum rast, in einen Tod bringenden Hinterhalt gerät oder auf einen tiefen Morast zusteuert. Die innewohnende Traumkraft möchte, dass Sie sich weiter entwickeln. Sie hört nicht auf zu versuchen, Ihnen ein altes Trauma zu präsentieren, bis Sie reagieren. Sie will Ihnen zeigen, welcher der richtige Weg ist und wo Sie sich total verrannt haben. Mithilfe der Traumkraft können Sie die wahren Gesichter in Ihrem persönlichen Umfeld erkennen und lernen, Ihre eigenen Empfindungen in den Beziehungen zu analysieren.

      Auf welche Art und Weise wirkt das Tagesgeschehen auf die Traumkraft ein? Was Sie im Wachzustand erleben, wird sozusagen mit dem Material verglichen, welches im Unterbewußtsein gespeichert ist. Gibt es zwischen dem aktuellen Geschehen und den Erlebnissen aus der Vergangenheit Diskrepanzen oder Übereinstimmungen, reagiert das Unterbewußtsein darauf. Das erscheint logisch. Das Unterbewußtsein möchte stets bestens darüber informiert sein, was sich in Ihrer Umwelt verändert, um Sie - und damit das Ego - auf die kommenden Veränderungen vorzubereiten. Ein schlagendes Beispiel: wenn plötzlich Krieg ausbricht, muss es Sie darauf vorbereiten, dass Sie in Gefahr sind und möglicherweise nicht mit allem versorgt werden können, was Sie gewohnt sind zu erhalten. Eigentlich ist ganz klar, warum das geschieht. Wenn nicht, würde man sonst vielleicht an der neuen Situation verzweifeln. Man wäre dann nicht gut genug gerüstet, um nach Lösungen zu suchen oder einfach zu flüchten. Hervorgerufen durch ein beindruckendes Erlebnis in der Gegenwart, forscht das Unterbewußtsein danach, ob Sie etwas Ähnliches bereits erlebt haben und wie Sie damals damit umgegangen sind. Auf diese Weise können Sie aus Ihrem Erfahrungsschatz schöpfen und schneller handeln. Ist die Situation völlig neu für Sie, kann Sie ein Albtraum heimsuchen. An einen Albtraum erinnern sich die meisten Menschen erstaunlich gut. Sie sprechen dann mit einem Freund über den Traum. Der Freund hat vielleicht etwas ähnliches schon erlebt und bietet einen guten Rat an. Dann hat die Traumkraft ihre Aufgabe erfüllt: Sie kümmern sich um das, was auf dem Plan steht.

      Findet das Unterbewußtsein im Tagesgeschehen ein Erlebnis, dass Sie in ähnlicher Weise schon einmal durchlebt haben, tauchen im Traum Szenen aus vergangenen Zeiten auf. Sie wundern sich dann, warum Sie plötzlich von Ihrer Kindheit träumen. Im Wachleben haben Sie vielleicht gar nicht richtig wahrgenommen, dass das Erlebte eine Parallele zur Vergangenheit hat. Ein Beispiel: jemand ist drauf und dran, sich zu verlieben. Im Traum „erscheint diese Person zusammen mit einem Familienmitglied.“ Man erinnert sich dann wieder an eine Schwester, an einen Bruder, an den Vater oder an die Mutter und beschäftigt sich gedanklich mit ihnen. Der Traum will eindeutig darauf hinweisen, dass es eine Gemeinsamkeit zwischen dem Objekt der Begierde und einem Erlebnis aus der Vergangenheit des Träumers gibt.

      Was hat nun dieses Tor, oder wie es Sigmund Freud bezeichnet hat, der Wächter, im Zusammenhang mit der Traumdeutung für eine Bedeutung? Wir haben gehört, dass das Unterbewußtsein wichtige Informationen in Form eines Traums an das Bewußtsein sendet. Eine Geschichte wird durch Bilder ausgedrückt, wie in einem Film, und an das Bewußtsein weitergeleitet. Jedoch, es befindet sich eine Art Zensur auf dem Weg dorthin. Diese Zensur arbeitet für uns und hält Szenen zurück, die zu grausam wären, um sie zu ertragen; für den Fall, dass wir noch nicht das nötige Wachstum erreicht haben, um damit umzugehen. Ein Beispiel: ein Mann wurde als Kind von seinen Eltern geschlagen und jetzt als Erwachsener beobachtet er solch eine Szene in einem Supermarkt oder irgendwo anders. Die Traumkraft erzählt ihm dann bei Nacht eine Geschichte über seine eigene Kindheit, darüber wie er sich gefühlt hat, als ihm das passiert ist. Wenn sich dieser Mann nie mit dem Problem beschäftigt hat, dass er als Kind geschlagen worden ist, könnte der Traum in Form eines Albtraums erscheinen, den aber der Wächter an der Schwelle zwischen Unterbewußtsein und Bewußtsein zurückhält, weil es für den Mann noch nicht an der Zeit ist, dieses Trauma aufzuarbeiten. Der Träumer hat die Grausamkeiten über all die Jahre erfolgreich verdrängt und will jetzt, wie in der Vergangenheit, nicht daran erinnert werden. Wahrscheinlich haben sich seine Eltern nie bei ihm dafür entschuldigt, was sie ihm angetan haben.

      Im folgenden werden die verschiedenen Traumarten erläutert. Es ist möglich, dass während einer Nacht mehrere verschiedene Traumarten erscheinen.

       Der Abschlußtraum

       WELCHE TRAUMARTEN EXSTIEREN?

      

      Es mag zwar eigenartig anmuten, mit der Erklärung über die Bedeutung des Abschlußtraums zu beginnen, denn es gibt selbstverständlich auch den Eröffnungstraum. Meine Absicht ist es, Ihnen gleich vorweg die Früchte der Arbeit mit Traumdeutung vorzulegen. Wie ein Konditor, der Ihnen erst die fertige Torte zeigt, bevor er sie verkauft.

      Bleiben wir bei dem Beispiel mit dem Mann, dessen Trauma, also eine nicht verarbeitete seelische Verletzung nie aufgearbeitet worden ist: durch die Verdrängung über all die Jahre, sieht sich sein Unterbewußtsein nun gezwungen, einen neuen Traum zu produzieren, einen ganz anderen Traum, anders als der Albtraum, den der Wächter zurückgehalten hat. Der Albtraum hätte Kinder gezeigt, die weinen, weil sie geschlagen worden sind. Der neue Traum zeigt vielleicht einen Bauern, der Korn aus seinem Weizen drischt. Der Träumer würde die Bedeutung nicht verstehen, aber zumindest darüber nachdenken. Wenn die Verdrängung des Mannes über die Erfahrung geschlagen worden zu sein sehr stark ist, könnte er denken, dass selbst Weizen geschlagen werden muss, um Korn hervorzubringen und später zu Brot wird für die Menschen zum Essen. Er könnte denken, dass es ein allgemeiner Faktor im Leben ist. Seine Eltern könnten so mächtig gewesen sein, dass es kein Hinterfragen nach dem Grund gab und keine Forderung nach einer Entschuldigung. Allerdings wird das Unterbewußtsein nie mit so einer Betrachtungsweise einverstanden sein. Es hat ein hohes Niveau an Moral inne und wird so lange versuchen, uns die Augen über Handlungen wie diese zu öffnen, bis wir bereit sind, uns damit auseinanderzusetzen. Es will dem Mann klar machen, dass seine Eltern ihm sagen müssten, dass es ihnen leid tut, ansonsten würde er nicht mehr mit ihnen sprechen. Sein Ziel ist es, ein besseres Leben zu führen. Wenn er mit seinen Eltern weitermacht, als wäre nie etwas geschehen, wird er vielleicht einmal seine eigenen Kinder schlagen, obwohl er das gar nicht wollte. Nach dem Gewaltausbruch könnte der Mann das eigenartige Gefühl bekommen, als hätte nicht er selbst das getan, sondern eine andere übermächtige Energie.

      Was würde mit dem Mann geschehen, wenn er sich mit seinen Träumen intensiv beschäftigt? Er würde darüber nachdenken, warum ein Traum auftaucht, in dem Korn gedroschen wird. Er könnte darauf kommen, dass Korn auch jung ist und aus dem Schoße des Weizens gewonnen wird. Im günstigsten Fall würde er reflektieren, dass auch er geschlagen wurde, als er jung war und über den Vorfall mit seinen Eltern sprechen. Wären seine Eltern in der Lage, sich daran zu erinnern und sich bei ihm dafür zu entschuldigen, würde dieser Traum nie wieder auftauchen. Hat er keinen engen Kontakt zu seinen Eltern oder sind sie bereits verstorben, so dass er seine seelische Verletzung nicht mehr zur Sprache bringen kann, erscheint ihm irgendwann, nach möglicherweise sehr langer Zeit ein ähnlicher Traum. Der Bauer drischt wieder Korn, aber die Bäuerin lobt ihn für seinen Fleiß im Traum. Hier setzt die wertvolle Aufgabe des Traums und der Traumdeutung ein, die uns bei allem hilft, was uns beschäftigt und ein Leben lang begleitet: der Träumende hat die Erlebnisse seiner Kindheit verarbeitet. Nur durch diesen Zusatz, dass etwas Gutes im Traum geschieht, als die Bäuerin ihren Mann für seinen Fleiß würdigt, kommt die geleistete Arbeit an dem Trauma zum Abschluss. Der Mann hatte sich vielleicht schon vorher oft Gedanken darüber gemacht, dass er seinen Eltern verzeihen könnte und doch blieb noch ein Gefühl an Wut und Hass übrig. Wenn ihm jedoch der Abschlußtraum mit seiner positiven Note erscheint, kann er sicher sein, dass er seinen Eltern bis in die tiefsten Schichten seines Selbst verzeihen konnte. Von jetzt an wird er in der Lage sein, sein Leben unbehelligt fortzusetzen.

      Ein lebendiges Beispiel für einen Abschlußtraum und die Arbeit an den Traumata, die Menschen zu bewältigen haben, liefert die folgende Geschichte. Eine Frau war das Opfer einer Vergewaltigung. Im Alter von 27 Jahren wurde sie