Ludwig Wolf

Unter den Bäumen des Himmels


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hatten. Übermächtig, willenlos hinrasend die stärksten und dicksten Schwänze erwartend, um sie in ihren Lusthöhlen zu vergraben und sie auszusaugen bis auf den letzen Tropfen. Die nächstbeste Frau wollte er solcherart in höchster egoistischer Brunft einfach bespringen, ihr seinen zügellosen Herren tiefer als jemals zuvor in die Vulva zu treiben, am Kelch ihrer Lust zu reiben bis er eimerweise Sperma in sie vergoss, alles das, bevor er röhrend und allein um die nächste Ecke, und endlich, in einem gesuchten Antiquariat verschwand, das Bestiarium eines alten Meisters zu finden. Genauer gesagt, das Bestiarium des Abdul Alhazred, jenes verrückten Arabers, der auch das berühmt berüchtigte Necronomicon geschrieben hatte, das Buch des Teufels und seiner höllischen Heerscharen. Ein gleich monströses wie gefährliches Werk, das jeden seiner Leser früher oder später in den Wahnsinn oder in noch schlimmeres trieb. Alhazreds Bestiarium war ein milderer Ableger, ein Buch, das die Dämonen und andere Wesen aus noch unentdeckten und unerforschten Teilen der Wüste illustrierte. Es zeigte ihre schrecklichen Körper, wenn sie sich manifestierten und beschrieb ihre abscheulichen Gewohnheiten bis hin zu ihrer bevorzugten Nahrung, die meist aus menschlichen Organen und Fleisch bestand. Ein Buch, das nur die grauenvolle Oberfläche zeigte, scheinbar aber keinerlei Magie besaß. Sofern man nicht durch Zufall oder allzu große Neugier einen Schritt zu weit ging. Dann gab es auch hier kein Zurück mehr.

      Die sichtlich genervte Kellnerin stieß indes zur Schläferzelle, meinte Annie Lennox wär doch was. Josef war inzwischen völlig klar, warum der Wirt Araber war; ebenso wie ihm klar war, dass sie sich tatsächlich immer so einfach verrieten wie im Film. Er meinte blöder als wie bloß ein falsches Bier zu servieren, konnte es wohl nicht laufen. Und schon war dem Wirt die ganze Aufmerksamkeit dieses einen, zufällig hereingeschneiten Gastes sicher. Und am Ende war ausgerechnet der Gast von der Staatssicherheit. Die fanden ihre Körner ja zumeist auch nur zufällig wie die blinden Hühner. Selbe Arbeitsweise. Pick, pick. Scharr, scharr. Aber jetzt Annie Lennox? Warum nicht RuPaul? Oder Donna Summer? Zu plakativ? Zuwenig musikalisch?

      „Entschuidigst, i muas oabeitn a no, i muas orechnan, die Hearn.“ (20)

      Sichtlich genervt sauste die Kellnerin wieder in die Gaststube, die beiden von der Schläferzelle sahen sich an wie zwei Schafe und meckerten sich auf Arabisch an.

      Langsam fragte Josef sich, ob er hier wirklich sicher saß, oder ob das Plastik schon unter der Jacke des einen auf ihn wartete. Eine Explosion in Kürze seinen Leib in herumfliegende Fleischfetzen und Innereien verwandeln würde, die an Wände, Pflastersteine und Gastgartenmöbel klatschen würden. Sein Geschlecht in einen Teller herrlich duftenden Salonbeuschels mit Serviettenknödel patschen würde. Die Dame dahinter würde soßenbeschmiert aufkreischen, während Josefs harte Knochenteile die Fensterscheiben der Cafes in der näheren Umgebung wie Geschosse zerschlagen würden, Emailbehältnisse von Einspännern, Melangen und kleinen Braunen zersplittern und Passanten lebensgefährlich treffen würden. Das Stakkato einzelner Zähne aus seinem weggesprengten Mund grübe sich wie eine dentine Maschinengewehrsalve in die Brust einer dunkelhaarig gut gelaunten Kellnerin, perforierte hellrote Löcher in ihre frisch blütenweiß sauber gestickte Servierschürze, was ihren Gesichtsausdruck überrascht wirken lassen würde, ehe sie in sich zusammensänke. Ein tödliches Zahnstakkato.

      Indes zog ein Engländer, ausgestattet mit dem Kopf einer vollreifen Pelati, einer sonnengereiften San Marzano, wirklich zum Platzen reif, mit seiner Frau, wahrscheinlich Frau, vorbei, erklärte ihr das „Marvellous von genau hier“ sehr enthusiastisch, sehr genau, und auch sehr anschaulich. „This, darling, this is truly marvellous! Look at the headstones! What gorgeous shiny headstones! A pavement all over!“

      Headstones? Hatte der Engländer nicht mehr alle Sinne beisammen? Kopfstein hieß doch cobble-stone im englischen wenn Josef sich richtig erinnerte. Der Englischunterricht war zu seinen Schulzeiten damals nicht gerade praxisnah gewesen, erschöpfte sich mehr in der profanen Liga von bananas, oranges, apples, tomatoes und so weiter, von vegetables und fruits. Egal. Wenn einen blankgescheuerte Pflastersteine derart aus der Fassung bringen konnten, dann hatte man ohnehin nicht mehr alle Tassen im Schrank. Oder alle Socken in der Kommode. Alle Kulis im Sekretär. Alle Gewürze am Bord. Oder alle Nudeln in Asien.

      Mittlerweile war die Kellnerin wieder zur Stelle, pries die EEls. Die EEls, ja die EEls, die wären auch gut, sagte sie. Josef sah auf sein halbvolles Glas Pisse und fragte sich, ob er davon schon so besoffen sein könnte. Eher nicht, dennoch vermochte er sich keinen Reim mehr auf die Geschehnisse am Nebentisch zu machen. Maximal wollte man sich als Pop-Agentur tarnen, wozu dann aber hektisch versuchen, sich Musikvideos runterzuladen? Noch dazu so dilettantisch? Irgendein Businessplan, ein mit Terminen vollgestopfter Organizer wäre doch authentischer gewesen. Er sah wie die Kellnerin sogar noch die Enter-Taste für den einen drückte, den Bildschirm für den anderen richtig hindrehte. Das war alles mehr Schläfer denn Zelle, geschweige denn Terror.

      Und dann sah er sie. Ihm blieb der Mund offen, und das perfekte Bild konnte so unbehelligt an ihm vorüberziehen, ohne festgehalten zu werden. Seine Kamera war weggepackt in der Tasche seiner Jacke, er griff schnell danach, bekam den Knopf nicht auf, wusste am Weiterziehen der traurigen Gestalt, dass er es nicht schaffen konnte. Verdammt! Was tun? Das Motiv des Jahrhunderts sausen lassen? Nein. Dazu fiel ihm noch etwas ein. Die Tasche auf, Kamerasack raus, auf, Kamera raus, Bier ansetzen, auf zwei Züge weg damit, die unverschämten drei fünfzig waren schon geparkt, und auf, und wo war sie jetzt, war sie links oder war sie rechts? Erst einmal geradeaus, da hinein, nein, da vorn, nein, hinten, ja, doch, da war noch ein Eck, obwohl, nein, doch vorn, aber die schräge Gasse da, ja das könnte sein, weiter, ja das hatte die Haltung, dieser dunkle Fleck dort, dieses nichts mehr, dieses abgeschlossen mit dem Leben haben, ja jeden Tag machte man trotzdem weiter, nur weil er so war, so kam, so zu sein hatte, der Tag; jeden Tag ohne Lust, mechanisch, nur weil es eben ein neuer Tag war, ein weiterer, den man durchzustehen hatte, ein weiterer, den man abhaken konnte. Ja das musste sie sein. Die Körperhaltung war eindeutig, die schwarze Kleidung, er vermeinte auch die Tasche auszumachen. Schneller schritt er aus, immer schneller, die Kamera im rechten Winkel haltend, im Voraus zoomend, ins Display schauend, ob es klappen könnte. Schließlich, an einer Abzweigung die elegant schräg abbog, erreichte er sie, schwitzte schon einigermaßen und drückte schnell zweimal, ab ohne bemerkt zu werden. Heftig atmend hielt er inne, sah sich die Fotos im Display an. Eins war verschwommen, zu verschwommen wahrscheinlich, eins schien brauchbar, man sah worum es ihm bei dem Foto ging. Ihre riesige schwarze Einkaufstasche, auf der in schlichten weißen, aber großen Lettern die Worte SUPER SHOPPER standen.

      So war das gewesen, an diesem Tag, im letzten Sommer in Wien.

      (18)

      Eine Situation

      (19)

      „Danke für die Asche, gnädige Frau.“

      (20)

      „Entschuldigt, ich muss arbeiten auch noch, ich muss abrechnen, die Herren.“

      6. THAILAND; Traum, der

       Suvarnabhumi

      Ankommen und da sein. Am Suvarnabhumi. In Bangkok. Oder vielmehr noch dreißig Kilometer davon entfernt. Von Bangkok. Ein Flughafen wie eine Spinne. Erbaut auf dem Kobrasumpf, auf dem Nong Ngu Hao, ein zischelndes Schlängeln im Metall. Heute goldenes Land. Land von Gold. Die Luft in der Fluggastbrücke war von dumpfer Hitze. Sie schmeckte nach Verbrennung und totem Sumpf. Förderbänder, die auf ein gemeinames Ziel zusteuerten, zuzusteuern schienen, unaufhörlich fuhren, fuhren in ihr Eigenstes. Fuhren tief hinein. Kein Mensch wusste das. Das Förderband verschwand unter den Füßen. Aber es verschwand nicht einfach. Es fuhr tief hinein in die Eingeweide des Flughafens, den Untergrund unbekannter Tiefen, wo sich die metallenen Bänder ineinander verschlangen und neue Rolltreppen und Förderbänder gebaren.

      Hitze in der Hose, wen wundert´s, in geilgrau langer Unterwäsche gestartet, bei Minus zehn Grad, lebensnotwendig, die zweite Haut aus hundert Prozent Baumwolle. Hier, obwohl klimatisiert, galt es, überflüssige Textilien so schnell wie möglich loszuwerden. Es war höchste Zeit, unangenehmes Dampfen an den Ober- und Unterschenkeln war bereits länger spürbar. Die Füße in den dicken Socken begannen zu jucken. Die Reproduktionen