Ludwig Wolf

Unter den Bäumen des Himmels


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unerwünschte aber doch nicht unhäufige Fall eingetreten sein? Das Gepäck irgendwo, nur nicht hier? Es wurde von Wien aus durchgecheckt. Irgendwo in den Gedärmen vom BKK hängen geblieben? An einer einzigen blöden Schnalle, einem unvorsichtigen Gurt? Dann So long good time. Hello sad time. Endlich kam der Rucksack an. Zur Sicherheit noch ein schneller Blick auf das Namensschild, dann jagte Josef zum Ausgang. Der Transferbus stand noch da, den Fahrer beeindruckte Josefs Eile nicht.

      „Booking sheet?“

      Natürlich. Josef suchte hektisch in seinen Papieren herum, sah die Fähre schon auf Nimmerwiedersehen davonbrausen.

      „Hier, ah, here. Okay? Please.“

      Es war okay. Der Thai stopfte den Rucksack hinten rein und Josef in die Mitte des Busses. Das verliebte Pärchen von vorhin saß bereits, daneben ein fülliger Herr, der ziemlich amerikanisch aussah. Er trug eines dieser Hawaihemden, die knallrot weiße Version mit diesen ornamental übergroßen Hibiskusblüten drin und einen Strohhut auf dem Kopf. Der Bus fuhr los. Josef atmete auf. Zehn nach fünf. Blieben noch genau zwanzig Minuten. Das war nur bei wenig Verkehr zu schaffen, und danach sah es nicht gerade aus. Ein Laster, der Holzverschlag randvoll mit Durians, dieselte an ihnen vorbei, jede Menge Vespas schwirrten wie die Bienen um ihn rum. Vor ihnen Limousinen und Pickups, kleine Autos schien man hier nicht zu schätzen. Der Kleinbus musste anhalten. Die Hitze ließ die Auspuffgase an den Hecks der Autos flimmern. Ein schwüles Wabern von dünnen, schwarzen Rändern umflort. Josef bemerkte erst jetzt, dass er klatschnass vom eigenen Schweiß war. Und noch etwas bemerkte er. Ein kräftiges Krabbeln am Rücken. Unter dem T-Shirt, knapp über dem Hosenbund bewegte sich etwas sehr bestimmt und heftig. Er erschrak und fasste nach hinten. Eigentlich dumm, weil jedes Insekt dann sofort zustechen würde. Sobald man es bedrängte. Josef hatte Glück. Es war ein sehr großer Käfer, der sich entschlossen mit den Widerhaken seiner schwarzglänzenden Beine an Josefs Haut festhielt. Ein kräftiger Bursche, der wild mit den Beinen ruderte, nachdem ihn Josef von seiner Haut abgelöst hatte. Er sah ganz hübsch aus, länglich oval gestreckt mit braun orange glänzenden Deckflügeln und blauschwarzem Bauch. Die schwarzen langen Fühler pendelten auf und ab. Der Käfer schaffte es sich aus Josefs Griff zu befreien und fiel auf die Gummimatte. Das Hawaihemd packte den Krabbler und beförderte ihn nach draußen, kurz bevor der Bus wieder losfuhr. Hoffentlich überlebte der Käfer diese Behandlung, geriet nicht unter die Räder. Nach mehreren Stop and Goes kam der Bus dann doch noch in ein gleichmäßiges Tempo und sie erreichten den Pier gerade noch, wurden in beispielloser Hektik durchgeschleust und auf den Catamaran gepfercht. Die Fähre war mit Menschen total angefüllt, ein Berg von Rucksäcken der Passagiere nach Koh Tao stapelte sich unter Deck, ein weiterer Haufen oben, vorn an Deck, versammelte alles an Gepäck, das wie Josef nach Koh Pah Ngan wollte. Im Gedränge, dem chaotisch anmutenden Gebrüll auf Thai und dem völlig sinnlosen Versuch seinen Rucksack nicht aus den Augen zu verlieren, entschwanden die drei Kurzzeitbegleiter sehr rasch aus Josefs Blickfeld. Unruhe erfasste ihn. Eben erst auf dem Flughafen seiner Habseligkeiten wieder habhaft geworden, waren sie nun schon wieder in einer unüberschaubaren Menge von Gepäckstücken untergegangen. Keinerlei Kontrolle möglich. Ein Seil flog an Josef vorbei, ein Thai fing es auf, schimpfte etwas zu Josef herüber. Wahrscheinlich stand er im Weg. Das Seil wurde verstaut. Josef gab es auf, seinen Rucksack sichern zu wollen. Er würde schon wieder rechtzeitig zum Vorschein kommen. Die Fähre fuhr los. So wurde wenigstens die Luft etwas kühler. Zumindest wirkte das im Fahrtwind so.

      7. Koh Pah Ngan

      Am Hafen von Tong Salah dann ein noch größeres Chaos als beim Einsteigen auf Samui. Der Pier lag hoch und die Leute wühlten rücksichtslos den Rucksackberg auseinander. Auf der Suche nach dem jeweils ihren flogen andere zum Teil meterweit. Gefährlich nahe Richtung Reling. Josef schnappte sofort zu, als er nur etwas Blaues erkennen konnte und hatte Glück. Er schulterte den großen Rucksack, hing sich den kleinen vorn über den Bauch und stieg auf den Pier. Endlich hatte er den Boden unter den Füßen, den er sich vorgestellt hatte! Graue, abgetretene Bohlen, fleckig, zum Teil mit hellblauer Farbe gestrichen. Auch mit einigem an weißer, schwarzgepunkteter Vogelscheiße und gefährlich weichen Kaugummiresten konnte der Pier aufwarten. Menschenmassen, Mopedgeknatter, die Hitze war urplötzlich wieder da, und die Mosquitos ergriffen ihre Chance. Die durchgeschwitzte Menschenmenge war ein Festschmaus. Aber Josef war endlich in Koh Pah Ngan angekommen, dem eigentlichen Anfangspunkt seiner Reise, und es war wunderbar. Hier erst sollte seine Abschiedstour richtig beginnen, und er hatte auch genaue Vorstellungen davon, wie das passieren sollte. Schließlich hatte er ja nicht unbegrenzt Zeit zur Verfügung. Zu den Dingen, von denen er bisher nur gehört, aber nie die Gelegenheit gehabt hatte, sie auch auszuprobieren, gehörten unter anderem Magic Mushrooms. Und damit wollte er seine Entdeckungsreise beginnen. Mit Stil. Wenn diese Dinger hier nicht aufzutreiben waren, wo sonst? Mit Drogen hatte Josef nichts am Hut, vielmehr hasste er all diese Potheads und Junkies, die glaubten etwas Besonderes zu sein, weil sie sich diese oder jene Droge in die Blutbahn packten. Da konntest du genauso gut fresssüchtig oder Alkoholiker sein. Bekam man sein Hirn auch ganz schön klein damit. Oder mit der Multimediakiste. Josefs Interesse galt hier mehr der natürlichen Droge, quasi dem herbalen Aspekt des aus sich selbst gewachsenen und dessen sinngemäßer, quasi offizineller Anwendung. Cocablätter ständen da auch ganz oben auf seiner Liste, waren aber leider auf einem anderen Kontinent beheimatet. Nicht so Hed keequai. Wenn die hier nicht wuchsen, dann wohl nirgends. Im Moment allerdings schien es, als ob der bestellte Pickupservice nicht da wäre. Er hätte Josef zum Resort bringen sollen. Das letzte Glied in der Kette, das ihn ohne weitere Mühe und problemlos, weil fernreisegeschlaucht, gleichsam direkt ans gebuchte Bett bringen sollte, versagte. Ab dann hatte Josef alles offengelassen, war der weitere Reiseverlauf eine einzige große entspannte Weite ohne vorbestellt reservierte, vorgefertigt fad absehbare Erlebnisse. Die Reise sollte sich nur nach seinen jeweils aktuellen Bedürfnissen richten. Das letzte Glied erwies sich nun also als das schwächste. Wie so oft. War gebrochen oder gar nicht erst angeschweißt worden. Im Reisebüro nicht angeklickt.

      Es begann bereits zu dämmern, und er stand immer noch unter dem verlotterten Vordach der verschachtelten Ansammlung von prä- oder, richtungsabhängig, postmarinen Buden, Cafes, und Ticketschaltern neben einem Getränkeautomaten und wartete. Zwei Biere später hatte Josef sich soweit gesammelt, dass er imstande war, einen Ticketschalter anzusteuern und die darin sitzende Thai zu bitten, ihm ein Taxi zu seinem Resort zu besorgen. Das nahm eine gute Viertelstunde in Anspruch. Das hier gesprochene Englisch klang sehr anders und der Wortschatz enthielt auch nur die allernötigsten touristischen Vokabeln. Zudem schien das Resort; die Coco Loco Raunch, nein Coco Loco Ranch; nicht gerade das bekannteste zu sein. Nachdem das Taxi erfolgreich bestellt war, Josef erfahren hatte, dass es in etwa einer halben Stunde da sein würde, bedanke er sich höflich, war nun wirklich völlig erledigt und beschloss, sich die Wartezeit mit einem Leo zu vertreiben. Keine gute Idee, denn das Bier mit dem hübsch goldenen Etikett war geschmackloser als warme Pisse. Ein süßer Nachgeschmack machte es noch schlimmer.

      Am Abend dann, nachdem Josef eingecheckt hatte, nicht mehr die Kraft gehabt hatte, angemessen gegen sein Vergessenwerden zu protestieren, begleitete ihn die Empfangsdame zu seinem Zimmer. Im Erdgeschoß gelegen, in einem weiten Bogen erreichbar, so, dass man am Ende eigentlich wieder vorn an der Straßenseite angekommen war, bot es wenig Platz. Josef stellte den Rucksack in das Eck gleich hinter der Tür. Er ließ sich noch zwei kalte Bier und eine Pizza aufs Zimmer bringen und verzehrte diese, frisch geduscht und nackt, vor der Spiegelkommode. Danach schlief er augenblicklich ein. Zwei Mosquitos wetzten ihre Stechrüssel.

      Exact um sieben Uhr dreiundvierzig morgens ratterten verschiedene Feuerwerke los. Josef sah die Uhrzeit deutlich am Display des billigen Radioweckers auf dem Nachttisch. Die Vier flackerte unruhig. Kinder brannten gefundene Restbestände vom Neujahrsfeuerwerk ab. Lange Schnüre, an denen die roten Knallfrösche spiralig aufgefädelt, mit großem Getöse ihr funkensprühendes Ende fanden. Josef kratzte sich die zerstochenen Arme. Zwei fette Mosquitos strichen sich hinter seinem Rucksack das Blut von den Rüsseln. Sein Mund war trocken, sein Kopf lief noch auf stand by. Eine Rakete explodierte. Josef dämmerte wieder hinüber. Die flackernde Vier wurde zur Fünf. Zog zugleich eine stabile Null nach sich. Hinter den blau geblümten Vorhängen wurde die Sonne immer stärker, schickte ihren diffusen Schein ins Zimmer. Die Knallerei hatte aufgehört, aber