Ludwig Wolf

Unter den Bäumen des Himmels


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alt. Sie konnten noch stehen bleiben. Also noch stehen bleiben. Gut aussehen. Gesicht zieren. Dürfen. Und seine Scham konnte warten. Der Schwanz und die Eier waren noch glatt genug. Und der Schamhügel noch nicht zu ausgefranst. Weißes Haar war auch noch keines zu sehen. Er hatte erst vor kurzem alle ausgerissen, derer er habhaft werden konnte. Weiße Schamhaare waren so etwas wie der Vorbote von Impotenz für ihn. Die mussten weg. Josef stieg wieder in die Boxer und zog die langen beigen Arbeitshosen an. Sie sahen nicht wie klassische Arbeitshosen aus und Josef fand, dass sie sich zum Reisen sehr gut eigneten. Sie hatten viele Taschen in denen sich alles Nützliche verstauen ließ und verfügten über eine Menge an Reiß- und Klettverschlüssen die das Nützliche sicher einschlossen. Das gelbe T-Shirt dazu war viel zu groß aber sehr angenehm bei dieser tropischen Hitze und es trug den Schriftzug ACTIVE OUTDOOR. Halb ausgewaschen. Und das gefiel ihm besonders. Das war so ein bisschen nicht ernst gemeintes Understatement. Die Buchstaben waren groß. Aber weil sie teils schlecht lesbar waren, musste man schon zweimal hinschauen. Und das verstärkte dann den Effekt.

      Die Tür schliff hinter ihm mehr ins Schloss als sie in dieses fiel und Josef musste, geblendet, sofort zur Sonnenbrille greifen. Freilich war er noch auf Frühstück aus, die Sonne ihrerseits war aber bereits dabei ihren Zenit zu überschreiten. Ihre Strahlen hatten hier eine knöcherne und vor allem spürbare Härte. Man empfand ihr Auftreffen auf der Haut, konnte es spüren. Es stach. X-rays of the sun. Naturröntgenstrahlen. Die beiden Mosquitos in Josefs Zimmer hockten wieder an der Wand hinter dem Rucksack. Ihre haarigen Leiber waren prall von seinem Blut, die Bäuche fette rote Kugeln. Der Atem hob und senkte ihre Leiber gleichmäßig, dehnte die einzelnen Segmente. Sie waren größer geworden.

      Josef beschritt; in Richtung Rezeption und Restaurant, jenen leichten Bogen Gehwegs, der ihn am gestrigen Abend zu seinem Zimmer geführt hatte; nun in umgekehrter Richtung. Mitten durch die gepflegte Anlage. Punktgenau gepflanzte Palmen umrahmten mit ihren grünen Wedeln den Himmel oben. Manche Stämme von großblättrigen Philodendren umwuchert. Blühende Frangipanisträucher und orange Paradiesvogelblumen breiteten ihre Pracht über dem kurz gehaltenen Rasen unten aus. An der hinteren Terrassenkante stand ein Cashewnussbaum. Ein paar der gelben Früchte, die Birnen ähnelten, lagen leicht aufgeplatzt auf der Betonoberfläche. Der leicht säuerlich frische Geruch erinnerte an Zitrusfrüchte. Kleine schwarze Ameisen tranken ihren Saft. Josef setzte sich in den offenen aber überdachten Restaurantbereich. Der süße Duft der Tempelbäume zog leicht herüber. Josef war allein im Restaurant. Von seinem Tisch konnte er rechts vorne die Rezeption einsehen, die unbesetzt war. Josef bestellte sich ein kontinentales Frühstück, das hörte sich gut an. Was ankam war aber dann eher etwas Schmales denn etwas Kontinentales. Ein Marmelade- und ein Butterpäckchen wie zuhause im Krankenhaus kredenzt, aber nicht von der Edelmarke. Zwei dünnste Scheiben Toastbrot von länglich hellbraunen Flecken gesprenkelt, die wohl einen gewissen Gehalt an Cerealien vorgeben sollten. Ungefragt schmolz eine Menge Eis im Orangenjuice, der Kaffee war einfach … Jagg! … Dennoch brauchte Josef unbedingt eine weitere Tasse der lauen Brühe. Linkerhand, scharf am Billardtisch vorbeigeschaut, sprang ein dort stehendes Fisch-Spa in Josefs interessiertes Auge. Gerade als Josef in seinen zweiten marmeladebeschmierten Toast biss, steckten zwei leibige Herren und eine vollschlanke Frau mit blond auftoupierter Mähne ihre bloßen Füße ins Wasser. Bleich hockten sie am Rand des Beckens und ließen sich ihre noch bleicheren Füße buchstäblich von den unscheinbaren Fischen, die in dem flachen Aquarium herumschwammen, ablutschen. Die Gattung Garra rufa, die diesen Wellnessjob ohne Bezahlung leistete, besaß nämlich keine Zähne. Tatsächlich sah es also nur so aus, als ob die kleinen Fische den Gästen die kranken Hautteile von Füßen und Zehen knabbern würden. In Wirklichkeit wurde hier kräftig gesaugt und gelutscht. Josef blieb der Mund offen. Eine Zeitlang. Der Toast brach mittendurch, ließ sich nicht mehr greifen und plumpste aufs Teller. Josef schüttelte der Anblick der allesamt grauslich weißen Haxen etwas. Sie wirkten wie aufgedunsene Leichenteile in der Anatomie. Warum war hier keiner braun? Alle Touristen schienen hier noch bleicher zu sein als zuhause. Und Fische die an fremden Füßen herumknabberten? Wahllos? Sich die kranke oder tote Haut von Fischen abfressen lassen? Nicht gerade sein Ding. Was, wenn doch einer Zähne hatte, plötzlich zubiss? Wer konnte das schon sicher wissen? Josef klappte die Toasthälften zusammen und verzehrte sie weniger des Genusses als der Notwendigkeit wegen. Zwischen den braungrünen Fischleibern sah er ein paar undefinierbare weiße Flecken herumwirbeln. Sie schienen eher bewegt zu werden als dass sie sich selber bewegten. Manche wurden hochgerissen, sanken dann wieder ab. Vereinzelt trafen sie ein bleiches Bein, kollerten zeitlupenhaft an diesem zum Grund, wo sie bald wieder herumgewirbelt wurden. Während Josef den letzten Toastbissen schluckte, wurde ihm klar, dass es die bereits toten Fische waren, deren weißes Fleisch bis auf die Gräten von den eigenen Artgenossen abgelutscht wurde. Die dralle Blonde lächelte ihn an. In ihren fettigen Mundwinkeln hing glänzender Speichel. Bildete er sich das nur ein, oder wollte sie etwas von ihm? Josef sah noch einmal hin. Ja sie wollte. Josef bezahlte und ging. Rasch. Vielleicht etwas zu rasch. Hinter ihm wurde gekichert.

      Der Rest des Tages war sinnlos verwartete Zeit. Zeit, die Josef eigentlich nicht hatte. Aber nichts auf dieser Insel gefiel ihm eigentlich, alles sah so gleich und auf Touristen zugeschnitten aus, dass es ihn gar nicht mehr wunderte, warum diese alle den Eindruck von weißen fetten Maden hinterließen. Schließlich taten sie alle nichts anderes als genau das zu fressen, was ihnen vorgesetzt wurde um am Ende ihres Urlaubs mit leeren Taschen die Heimreise antreten zu können. Zuhause wurde dieser ganze Urlaubsbrei dann wieder ausgeschissen und war innerhalb einer Woche wieder vergessen. Der Job verlangte einem alles ab.

      Die Geschäfte sahen alle gleich aus. Flach, viel Glas, kühl ausgefliest. Überall das gleiche Zeug in den Regalen. Manchmal gab es Preisunterschiede. Das war aber schon alles. Josef hatte in einer Pizzeria versucht das Nährstoffdefizit des Frühstücks auszugleichen. Das gelang zwar, doch war der Käse so heiß, dass er ihm Zahnfleisch und Zunge verbrannte, und Josef von der Pizza nicht mehr viel schmecken konnte. Vielleicht war das auch besser so gewesen. Auf seiner kurzen Runde durch den Ort hatte er auch einige von diesen Bars gesehen, denen Thailand seinen schlechten Ruf verdankte. Jene Bars mit den Edelstahlstangen um die Tresen. Aber niemand räkelte sich untertags daran. Er war dann noch etwas am Pool gelegen, hatte gelesen und zwei drei erfrischende Biere getrunken. Hatte sich vorgenommen, sich nichts mehr vorzunehmen. Nur mehr zu leben. Nicht mehr warten auf etwas. Nur mehr. Nicht. Dann hatte er sich erfrischend kalt abgebraust und ausgehfertig ausstaffiert. Dabei das laute Schnaufen der Mosquitos hinter seinem Rucksack nicht bemerkt. Ihre Leiber blähten sich ruhig und regelmäßig.

      Endlich kroch die Dämmerung in die Palmenköpfe. Und die Dämmerung war kurz hier, weil die Sonne dabei jedes Mal im Meer ertrinken musste. Josef schloss ab. Heute war Vollmond. Ein Angestellter kippte einen Kübel Desinfektionsmittel in den kleinen nierenförmigen Pool. Full Moon am achtundzwanzigsten Februar. Er verteilte das Zeug mit den Händen im Wasser. Full Moon am Hat Rin, an dem Partystrand. An diesem Strand traf sich die ganze Welt. Zum Ausgehen, zum Rausgehen, zum Aus-sich-herausgehen. Man traf sich um sein Innerstes zu entäußern, um es völlig zu entblößen, einen emotionalen Showdown zu bieten, gleichsam mit dem großen Rudel mit-zu-vibrieren, alle Muskeln und Sehnen schweißtreibend in Bewegung zu setzen. Dabei sich immer mehr zu erhitzen, sich endorphin in pulsierende Trancen zu takten. Hat Rin.

      Und das alles gerade knapp vierzehn Tage nach Beginn des Jahres des Tigers. Nicht irgendeines Tigers. Nein, des Metall-Tigers. Das musste einfach reinhauen! Voll reinhauen! Metall war nicht Luft. Es war nicht Erde, war nicht Feuer. Es war Metall und das war vor allem hart. Unnachgiebig hart.

      Josef ging hinunter zum Strand um sich in einem der hinteren Restaurants mit einem scharfen Nudeltopf auf die lange Nacht vorzubereiten. Den Grundstein zu legen für die Feier seines Lebens. Für die Feier des Lebens. Er wollte nicht umsonst gewartet haben.

      Der Teller Phad Thai kam heiß dampfend an. Reisbandnudeln mit Hühnerfleisch, Gemüse und Bohnensprossen. Mit Ananasstücken und Knoblauch-Ingwer-Tamarinden-Erdnuss-Mischung. Mit Chilischoten extra. Seinen Chilischoten extra. Fruchtig rote Ringe, denen jede Milde fern lag. Herrlich garniert mit schlanken Streifen purpurner Bananenblüte. Dazu ein eiskaltes Elephantenbier. Das Leben war wunderbar. Sogar die Magic Mushrooms kamen hier veredelt an. Eine Nachspeise surprise sozusagen. Ein prachtvoll gelbes Omelett, perfekt eingeschlagen, voller knusprig brauner Aromabänder an der Oberfläche, umhüllte