Ludwig Wolf

Unter den Bäumen des Himmels


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verhieß, versprach, und in den meisten Fällen auch hielt. Jedes Einzelne der Bilder strafte Europas Dünkel Lügen. Die Werke waren wunderbar. Hervorragend. Glaswände dazwischen offerierten Raucherparadiese, die man nicht betreten wollte. Man sah nur Gliedmaßen im Nebel. Wusste nicht, zu wem sie gehörten. Manchmal tauchte auch ein verschwommenes Gesicht hinter der Scheibe im Rauchgrau auf. Kurz. Moderne Poltergeistphänomene. Bewegungen erzeugten Wirbel im Grau. Ein Francis Bacon des modernen Lebens.

      Endlich tauchte das bekannte Piktogramm auf. Josef verließ das Förderband und bog rechts in die Herrentoilette ein. Die lange Reihe weißer Pissbecken in genormter Höhe wurde von einem längeren, erheblich tiefer gesetzten abgeschlossen. In Josefs Heimat, der letzten Operettenrepublik weltweit, gab es so etwas nicht. Zumindest hatte er noch nie zuvor ein tiefergelegtes Pissoir gesehen. Eine Formel eins Geschichte? Der Sinn des Ganzen war ihm nicht klar. Ein Sportpissbecken? Dafür war es wieder zu schmal und ohne Spoiler. Egal. Erst mal in eine Kabine. Dankenswerterweise ohne Münzschloss, also für jedermanns Notdurft offen. Zuhause konnte so was schon mal in die Hose gehen. Ohne Wechselgeld. Am Geisterbahnhof. Während die computergenerierte Tussi zum hundertsten Mal die Verspätung irgendeines Intercitys um eine geschlagene Stunde annoncierte, hatte er sich in die Hose geschissen. Vor der Clotür, aber ohne Kleingeld halt. Fructoseintoleranz. Überfallsartiger Dünnschiss. Ohne Ankündigung. Das war wirklich scheisse gewesen. Gott sei Dank lange her. Josef schloss die Tür, hing den Rucksack an den Haken. In der komisch lang geformten Kackschüssel stand das Wasser beinah bis zum Rand, was erst einmal das Schließen des Toilettendeckels dringend anriet. Dann rasch die Jacke ausziehen, der Schweiß stand Josef mittlerweile schon auf der Stirn, tropfte von den Brauen. Er öffnete den Rucksack, holte seine orangefarbenen Kunststoffclogs heraus. Raus aus dem überhitzten Goretex Schuhwerk und sofort die Hosen runter. Die baumwollene Leibwäsche gleich hinterher. Der Wäschehügel auf der Closchüssel wuchs. Josef wechselte zu einem frischen, zu einem vor allem dünnen Slip, ließ Unterhemd und Socken weg, stopfte die überflüssige Wäsche in den Rucksack, zog den Beutel zu und klemmte die Jacke unter die Klappe. Nachdem alles Gebrauchte sicher verstaut und alles Frische angezogen war, konnte auch der Toilettendeckel wieder geöffnet werden, ohne dass die Gefahr bestand, dass etwas von seinen Sachen in die Schüssel fiel. Josef ergriff die Gelegenheit und nutzte das Ding bestimmungsgemäß. Er zuckte kurz zusammen, weil sein langer Schwanz mit dem Kopf ins Wasser tauchte, stöhnte aber bald zufrieden und erleichtert, erschrak aber darob, weil er vergessen hatte, dass er hier nicht zuhause war. Tonales public kacking also. Was sollte es schon? Niemand sah was da jetzt im Wasser schwamm. Außer Josef selber. Er drückte den Spülknopf, worauf die ganze Schüssel mit einem mächtigen Brausen abgesaugt wurde. Josef erschrak noch einmal. Jetzt wusste wohl jeder draußen an den Pissoirs, dass er, Josef, hier geschissen hatte. In Bangkok. Am Flughafen. Er mochte so etwas nicht. Josef beschloss, noch ein Weilchen zu warten, bevor er die Tür öffnete und hinausging. Eigentlich war das vollkommen lächerlich, da die Wahrscheinlichkeit, dass ihn ausgerechnet hier, auf diesem einen Clo im Flughafen von Bangkok, jemand erkennen sollte, ähnlich groß war, wie die Chance auf einen Sechser im Scheiß-Eurolotto. Josef schulterte also den Rucksack, stellte erstaunt fest, dass die Closchüssel schon wieder randvoll mit sauberstem Wasser war, und öffnete mutig die Tür. Ein schwarzer Businessman stand an der Pisswand, neben ihm ein kleiner Asiate. Augenblicklich wusste Josef, wofür das tiefergelegte Pissbecken gut war. Für den Nachwuchs, so dieser ein Sohn, und dem Topf gerade erst entwachsen war. Rasch bog Josef wieder hinaus in den langen Gang voller thailändischer Kunst und pflegeleichter Plastikblumen und stellte sich wieder aufs Transportband. Rechts. Rechts stehen, links gehen. Josef genoss die Fahrt, rollte gemütlich der Immigrationsfront entgegen. Dort gab es mehrere Schalter. An jedem blickte einem eine kleine, runde Kamera entgegen. An manchen, an den besetzten, auch ein Beamter. Josef wählte eine kurze Schlange. Das hatte genau denselben Effekt wie an der Supermarktkasse zuhause. Nur hatte der Homeboy da vorne nicht nur vergessen, sein Einreiseformular im Flugzeug auszufüllen, nein er hatte es überhaupt vergessen. Irgendwo. Die Hose hing ihm unter dem Arsch und die Sonnenblende seiner Baseballkappe im Genick und Josef war froh, dass nur die Kamera und nicht er das Gesicht des hippen Hoppers sah, ansehen musste. Die Wartezeit wurde dadurch jedenfalls unverhältnismäßig verlängert. Bis ausgedeutscht war, um was es ging, bis ein Formular da war, und bis der hoppe Hipper Daten aus seiner Bauchtasche zutage förderte, weil sie ihm im Kopf nicht geläufig waren, das dauerte eben. Der Beamte wies ihn beim Ausfüllen auch immer wieder darauf hin, dass er mit den Füßen in den roten Markierungen stehen bleiben musste. Das passierte sehr lautstark und von heftigen Bewegungen des Zollbeamten untermauert. Durchaus hielt man es für möglich, dass der Beamte jeden Augenblick eine Pistole ziehen könnte, um dem Uneinsichtigen zu zeigen, wo es hier langging. Das Stehen in den roten Markierungen, das Vorbeugen bis zum Schalter, das zwang dem Körper einen unnatürlichen, rechten Winkel auf. Wie abgehackt der Körper, quasi knapp ober dem schwabbeligen Hip-Hop-Hintern einfach Zack! Und ab. Und weil der Hosenbund unter diesem Hintern hing, zog das die Shorts soweit hinunter, dass man entweder den Anfang oder das Ende der Ritze sehen konnte. Das war Ansichtssache. Und das wollte man gar nicht. Da waren Pickel drum rum. Auf dem weißen Schwabbelarsch. Rote. Mit schwarzen und gelben Punkten in der Mitte. Manche schon aufgekratzt schorfig. Josef hoffte, dass das, modisch betrachtet, ähnlich stilsicher gekleidete Mädel hinter dem Hopper, nicht zu ihm gehörte, oder zumindest nicht den gleichen Intelligenzquotienten mit ihm teilte, also im Kopf etwas klarer war. Sie war es. Stellte sich hin und schwupp, war durch. Erleichtert trat Josef in die roten Folienfüße vor dem Schalter und reichte dem Beamten Formular und Pass. Der schaute kurz, stempelte und klammerte das Formular in den Pass den er ihm wieder aushändigte.

      „Transfer?“

      „Transfer?“

      Josef wusste nicht was gemeint war.

      „You stay in Bangkok?“

      „No.“

      „Transfer. First just the left side and then right.“

      Der Beamte deutete nach hinten. Für Josef sah das verkehrt aus, wenn er zwischen den provisorischen Stellwänden hindurch spähte, er sagte aber nichts. Das war auch gut so, denn das „then right“ leitete ihn haargenau zur unvermeidlichen Gepäck- und Körperkontrolle. Danach wurde dann scharf links abgebogen, und man war wieder auf Kurs. In einer Shopping Mall, in der es alles gab, was Josef überhaupt nicht gebrauchen konnte. Und noch mehr.

      Der Mann bellte wie ein Hund und rotierte auf dem elektrischen Putzbuggy inklusive Wischmopp durch die Shoppinghalle. Er hatte eine Glatze und Speckfalten im Genick. Das sah weniger nach Stier denn nach Schweinchen aus. Er steckte in beigen Shorts und einem hellblau linierten Kurzarmhemd. Die Ärmel waren kürzer als die Schweißflecken darunter. „Ich schieße auf euch alle! Ich scheiß euch gleich auf den Putz! Scheiße!“ Das Vokabular war echt beschissen. Der Mann litt entweder an einer speziellen Form von Jetlag, oder er hatte den Bordservice trockengelegt. Mit unabsehbaren Folgen. Ziellos cruiste er zwischen den Shops herum, den Mopp ritterlich vorgestreckt wie eine Lanze. Hektisch drehte er am Lenkrad herum, vollführte viel zu scharfe Kurven, kippte beinah um dabei. Er bumpte herum wie in einem Autoscooter, touchierte einen Stand mit Sweeties, fuhr retour und bumpte gegen Duty Free. Bump bump. „Scheiße auf euch alle!“ Und die Security machte Jump jump. Der Putzbuggy verformte sich tatsächlich zu einem Autoscooter, einem blauen Autoscooter mit schwarzer Gummimanschette und silbrigem Kühlergrill. Ein Putzkübel klapperte quer über den Platz. Eine Frau kreischte und zog ihren Nachwuchs aus der Gefahrenzone. Das Mädchen, gefangen in einem rosagepunktet aufgetüllten Kleidchen, plärrte sofort los. Und Bump! Dahinter wurde der Securitymann, schwingenden Mopps, direkt in ein Süßwarengeschäft hineingeschossen. Geradewegs an Josef vorbei. Drinnen gingen einige Bonbongläser geräuschvoll zu Boden, gefüllte Seidenkracher hüpften aus der Tür an Josef vorbei. Seit einer Ewigkeit waren ihm diese Köstlichkeiten nicht mehr untergekommen. Flink griff er nach ein paar dieser kühl knackigen Knuspererlebnisse, die zu seinen Füßen herumkollerten. Er wusste, dass sie mit Kakao und Haselnussmasse gefüllt waren. Rasch steckte er sie ein. Niemand bemerkte es. Alle Aufmerksamkeit galt dem durchgedrehten Scooterfahrer.

      „Wuff! Ha, Schisser!“ Blech verformte sich knirschend weiter, wuchs nach oben. Es schloss den Körper des Mannes irgendwie ein, verwuchs mit ihm und drückte ihn, zylindrisch sich verjüngend, in die Höhe. „Wuff!“ Übergroße gelbe Knöpfe ploppten