Nadja Hummes

Suomi on kaunis (Deutschland auch)


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Abend. Seit etwa einer Stunde bin ich wieder in Valtteris Wohnung. Mein Laptop wartet geduldig auf meine Eingabe.

      Ich stehe auf, gehe in die Küche, setze eine Kanne Kaffee auf und suche nach Tassen. Im Hängeschrank über der Spüle werde ich endlich fündig. Ach, hier also wird das frisch gespülte Geschirr abgestellt. Offensichtlich gehört ein Hängeschrank, welcher ausschließlich aus drei Abtropf­gittern besteht, zur finnischen Standard-Küchen­einrichtung. Abtropfgeschirr abstellen, Schranktüren zu, optisch aufgeräumt, fertig. Das trocknet von alleine. Klasse. Lustig. Sehr praktisch.

      Ein Klicken der beiden Wohnungstüren. Der Schlüssel wird herum gedreht. Valtteri ist zurück.

      „Hei, Lenja. Oh, es riecht nach frischem Kaffee!“

      „Ja. Fast fertig. Möchtest du eine Tasse?“

      „Gerne! Ich komme heim und der Kaffee ist fertig. Das hat 'was“, scherzt Valtteri. „Und wir machen keine Zeitver­schwendung, Lenja. Lass uns der Kaffee im Wohnzimmer trinken. Ich muss an die Farben.“

      „Klingt gut!“

      Begeistert eile ich in sein Wohnzimmer, zwei Kaffeetassen gekonnt in meinen Händen balancierend.

      „Bist du schon lange hier?“, fragt Valtteri beiläufig, während er Farben und Papier aus den Regalen zerrt. Der Fußboden wird zur Arbeitsfläche.

      „Nö. Erst seit etwa einer Stunde. Warum?“

      „Weil dein Laptop an ist.“

      „Ach so, ja.“

      „Aber der Bildschirm ist leer“, stellt er fest und hockt sich im Schneidersitz auf den Boden.

      Herrlich. So was von unkompliziert, der Mann. Valtteri ist Feingeist, Bodenständiger, Spielkind, Erwachsener, super Intelligenzquotient und Lebensfreude in einer Person. Und kein bisschen narzisstischer Profilneurotiker. Genial. Ich setze mich zu ihm. Er strahlt mich an.

      „So, Lenja. Und jetzt machen wir Kunst. Und es wird wunderschön sein.“

      „Aha? Und woher weißt du das?“

      „Weil du bist voll auf meine Wellenlänge.“

      „Ouha.“

      Ich werde rot. Nach alledem, was ich gerade eben über diesen Menschen gedacht habe, bleibt mir auch gar nichts anderes übrig.

      „Nein, nein, nein, du musst dir nicht rot werden. Was ich sage, ist wahr.“

      Wortlos nippe ich an meinem Kaffee. Valtteri gießt Abtönfarbe auf ein DIN A2-Blatt.

      „Welche Farben nimmst du, Lenja?“

      „Tja, … weiß nicht.“

      Unschlüssig schaue ich mich um. Zögernd greife ich nach einem Satz undefinierbarer Tuben.

      „Erzähl mir, Lenja“, sagt Valtteri, während er mit einem Schwamm die Abtönfarbe auf das Papier verteilt.

      „Was soll ich dir denn erzählen?“

      „Warum der Bildschirm von dein Laptop leer ist. Warum er noch nicht voll ist von dein Schreiben. Warum du mit das Malen zögerst. Wie dir in deine neue Wohnung ist. Und in der neue Wohnort.“

      „Uff. Na, du bist gut.“

      Sanft lasse ich etwas von dem Inhalt einer Farbtube durch ein Sieb auf ein Blatt Papier sprenkeln, während ich es hin und her bewege, als würde ich Puderzucker über eine Waffel verteilen. Er folgt den Bewegungen meiner Hände mit seinen Augen.

      „Was ist mit der leere Laptop, Lenja?“

      „Ach, na ja“, zucke ich mit den Achseln. „Ideen habe ich. Etliche.“

      „So what's the problem?“

      „Ach Valtteri“, seufze ich. „Das liegt daran, wie zur Zeit mit der Schreiberei und Literatur umgegangen wird. Es gibt zu viele ‚Man soll‘ und ‚Man muss‘. Man muss innerhalb einer vorgegebenen Zeitspanne abliefern. Das lässt einem Buch kaum Raum zu wachsen, sich zu entwickeln. Man soll das schreiben, was sich gerade verkaufen lässt. Teeniebücher mit hippen Themen, Bloggertipps oder Weltschmerzdramen. Erotische Romane mit einem Schuss Lovestory. Schnell konsumierbaren und platten Science-Fiction-, Horror- oder Comedykram. Popcorn für's Gehirn. Billig produzierte Blockbuster in Buchstabenformat. Das geht nicht mit meiner Empfindung über das eigentliche Wesen des Schreibens einher. Echt nicht. Man muss zu allem eine Meinung haben. Und am Besten noch Künstlerklischees bedienen. Ich finde, auch ein relativ normales und bodenständiges Leben kann interessant und wunderschön sein. Und ich finde es wichtig, auch die Freiheit zu haben, zu etwas mal keine Meinung haben zu dürfen. Es ist dem Zuschauer, Leser, Konsument or whoever durchaus zumutbar, so etwas zwischendurch mal aushalten zu können. Und, by the way, wo wir schon einmal gerade dabei sind: Wenn diverse Leute mich als langweilig empfinden, weil ich nach meinem oft sehr angefüllten Tagewerk lieber rechtschaffen auf der Couch entspanne anstatt die neuesten Rezepte der Molekularküche auszuprobieren oder in irgendeinem Rauschzustand wirre Gedanken zu äußern, dann bitteschön. Dann bin ich nach deren Auffassung eben langweilig. Dann sollen sie sich Autoren oder Künstlern zuwenden, die ihr Publikum wöchentlich mit irgendwelchen Skandalen, Exzessen, Selbstfindungs­prozessen oder Einblicken in ihr aktuelles Liebesleben „updaten“. Letzten Endes ist es sowieso der Konsument, der Leser, der Fernsehzuschauer, der Internetuser, der danach geht, was er als ansprechend empfindet. Geschmäcker sind halt unterschiedlich. So what? Man soll unterhalten. Hallo?! Ich schreibe meine Sachen so, wie sie mir in den Sinn kommen. Wenn ich meine Gedanken ständig darum kreisen ließe, ob das, was ich schreibe, denn unterhaltsam 'rüberkommt oder nicht, dann würde mich das in meiner Schreiberei total blockieren. Man mussauf Poetry Slams gehen. Muss man? Wozu? Um sich Ideen klauen zu lassen? Um noch mehr abzuklopfen, welcher Drive beim Publikum gerade gut zieht? Um sich durch dieses Abchecken von Publikumsgunst, Konkurrenz, aktuellen Hypes und Verkaufsmaschen selber noch bekloppter im Kopf zu machen oder von anderen machen zu lassen? Jaja, ich weiß, die offizielle Version lautet ‚Um sich zu präsentieren‘. Man muss auf sämtlichen Social-Media-Plattformen tagtäglich aktiv sein. Und wenn schon nicht täglich, dann aber mindestens ein bis zwei Mal wöchentlich. Ja klar, es gibt ja auch noch nicht genug Leute, die online posten, ob sie aktuell Nudeln kochen, ihre Haare waschen oder WC-Papier einkaufen. Man muss im Gespräch bleiben. Man muss sich interessant machen. Man muss, man soll, man muss, man soll.

      „Ich verstehe dich sehr, sehr gut, Lenja. Ich weiß genau, wovon du sprichst. Aber lass dir das Schreiben nicht verleiden. Das Schreiben liegt in deine Natur, Lenja. Wie so vieles andere auch. Und dass du bist eine Künstlerin, liegt auch in deine Natur. Ui, du warst grad so was von Künstlerin. Ob nun Klischee oder kein Klischee.“

      „Wie jetzt? Was meinst du?“

      „Deine flammende Rede für wie du die Schreiberei im Kern erkennst. Wie du sie fühlst, siehst und umsetzt.“

      „Ist das dein Ernst?“

      „Yes! Du bist so was von Künstlerin. Diese Empörung. Dieser Scharfsinn. Dieses feeling. Du hast nicht gebraucht zu überlegen für die Worte. Das kam alles direkt, wämm-wämm-wämm. Schüttest du manchmal Farbeimer auf eine weiße Leinwand?“

      „Ach Valtteri. Wie du weißt, habe ich nicht so viel Platz. Ich habe kein Atelier oder so. Das ist einfach nicht drin. Zur Zeit kann ich mir gerade mal eine kostengünstige Mietwohnung leisten. Du weißt doch, weswegen ich umgezogen bin. Unter anderem. Aber... naja... manchmal. Im Frühling und Sommer zum Beispiel. Wenn draußen die bunten Knospen sprießen und das Gras saftig grün wird. Wenn man sehen und riechen kann, wie überall das Leben erwacht. Das finde ich toll. Dann habe ich manchmal Lust, Farbeimer auf eine weiße Leinwand zu schütten. Manchmal lasse ich die Farben aber auch sachte fließen oder ich verteile sie großflächig oder ich male Linien und Formen oder setze nur einzelne Akzente. Manchmal lasse ich ein Bild auch eine Weile liegen, bis ich es wieder hervorhole und daran weiterarbeite. Ich mache das halt so nach Gefühl.“