Nadja Hummes

Suomi on kaunis (Deutschland auch)


Скачать книгу

Formulierung! ‚Buchstaben setzen sich anders auf Papier als Farbe.‘ Great!“

      „Ich empfinde es so. Was ist mit der Formulierung?“

      „Schreib, Lenja. Schreib.“

      „Ja. Mache ich. Allerdings musst du mir dabei nicht unbedingt über die Schulter gucken“, murmele ich vor mich hin, unterbreche die Malerei für einen Moment, stehe auf und klappe das Laptop zu.

      Valtteri macht eine kurze Pause und schaut mich an. Seine typischen Denkfalten kräuseln sich auf seiner Stirn.

      „Aber jetzt mal zu dir, Valtteri: Wie geht es Anneline?“, erkundige ich mich, während ich die Malerei wieder aufnehme.

      „Das tut überhaupt nichts zur Sache!“, antwortet er übertrieben resolut.

      Ich muss lächeln. Er registriert es aus seinen Augenwinkeln.

      Valtteri reißt drei weitere Bögen Papier von dem DIN A2-Malblock herunter. Er mischt Farben, wischt sie unwirsch über die Blätter. Währenddessen bearbeite ich meine aufgetragenen Farben mit zwei Schwämmen, deren Poren und Struktur eine unterschiedliche Größe und Dichte aufweisen. Wir schweigen. Konzentriert starren wir mal grübelnd, mal murrend und mal grinsend auf unsere jeweiligen DIN A2-Bögen, greifen nach Farben, Pinseln, Zahnbürsten, Spachteln, Schwämmen und Tüchern und malen vor uns hin. Minuten verstreichen, dann hebt Valtteri seinen Blick, unterbricht seine Malerei und sieht mich an. Er guckt verlegen, ist unsicher.

      „Hach“, stöhnt er überfordert.

      Für einen kurzen Augenblick wirkt er wie ein hilfloser Schuljunge.

      Valtteri steht auf. Er stemmt sich die linke Hand in den Rücken, mit der rechten Hand kratzt er sich an seinem Kopf.

      „Hach je“, seufzt er vor sich hin.

      „Nur Mut.“

      „Jo“, erwidert Valtteri, während er sich umständlich durch seine schon etwas schütteren Haare fährt. „Jo, jo, joooo.“

      Er stapft in den Flur, greift nach seinem Mobiltelefon. Kurz darauf höre ich ihn wenige Sätze Finnisch sprechen. Kaum fünf Minuten später setzt er sich wieder zu mir und betrachtet eingehend die trocknende Farbe auf seinen Bildern.

      „Und?“

      „Wir sind für morgen Abend verabredet. Nach die Arbeit.“

      „Mensch, Valtteri, das ist doch super! Ich freue mich mit dir.“

      „Also… die Überlegung wäre… Ich komme hierhin, gehe duschen, ziehe mich um und fahre direkt wieder los. Dann kann ich dich morgen Abend nicht bewirten, Lenja. Wenn es dir nichts ausmacht?“

      Valtteri sieht mich fragend an.

      „Klar, kein Problem.“

      „Ja“, sagt Valtteri und ein vorsichtiges Lächeln huscht über sein Gesicht.

      So schnell dieses Lächeln gekommen ist, so schnell verschwindet es auch wieder. Jetzt bekommt sein Blick etwas Bittendes.

      „Ich hatte gedacht, vielleicht muss ich dir doch Gastgeber sein.“

      „Während du auf der Arbeit bist, bin ich doch auch alleine und du kein Gastgeber.“

      „Jo…“

      „Dich dahinter zu verstecken, – das hättest du wohl gerne. Nix da. Ich komme morgen Abend gut alleine zurecht.“

      Valtteri seufzt wieder, atmet durch und starrt mich dann hilfesuchend an. Er sieht irgendwie verloren aus.

      „Du, Lenja?“

      „Ja?“

      Ich warte ab. Es tut sich nichts. Er druckst herum, windet sich.

      „Na los“, ermutige ich ihn. „Was ist denn?“

      „Kannst du mir helfen mit die Kleidung? Ich bin ein wenig aus der Übung, mit der Umgang mit das Frauen.“

      *

      In der Wohnung ist es still. Verschlafen greife ich im Dunkeln nach meinem Mobiltelefon. Zwei Mal patscht meine Hand ins Leere, bevor ich endlich fündig werde. Kaum habe ich mein Handy in Betrieb genommen, leuchtet mir auch schon das Display entgegen: 9:35 Uhr. Was? Halb Zehn durch? Kann doch gar nicht sein.

      Kann doch sein. Ist so.

      Also habe ich endlich einmal wieder ausgeschlafen, – was sich auch sogleich bemerkbar macht. Ausgesprochen erholt stehe ich auf. Nach und nach schalte ich in der gesamten Wohnung das Licht ein. Überall dort, wo ich entlang komme. Durch das Wohnzimmer (meine Schlafstätte) – klick –, den Flur – klick –, in das Badezimmer (Toilettengang) – klick –, die Küche (Kaffeemaschine) – klick – und zuletzt in das Schlafzimmer (nach Valtteri gucken) – klick. Valtteri ist bereits auf der Arbeit. Kopfkissen und Bettdecke liegen ungeordnet im Schlafzimmer herum. Die Jalousie im Schlafzimmer hat er wohl schon hochgezogen – oder am Vorabend gar nicht erst herunter gelassen. Rollläden gibt es in Finnland scheinbar nicht. Jedenfalls nicht bei Valtteri.

      Draußen ist es stockduster. Quasi finsterste Nacht. Straßenlaternen und Autoscheinwerfer werfen in regelmäßigen Abständen die einzigen Lichtkegel in diese Finsternis. Im Haus gegenüber brennt Licht. Dadurch wird es zu einem deutlichen Blickfang inmitten dieser Dunkelheit: Eine Frau saugt ihr Wohnzimmer.

      Unwillkürlich trete ich in den Flur zurück und werfe von dort aus einen prüfenden Blick in Valtteris Badezimmer. Es ist der einzige Raum ohne Fenster. Notiz an mich selber: Sofern ich keine Lust darauf habe, mir von halb Syvärauma beim Umkleiden zuschauen zu lassen, empfiehlt es sich, auch aus diesem Anlass das Badezimmer aufzusuchen.

      Indessen gluckert die Kaffeemaschine vor sich hin. Der frische Kaffeegeruch strömt durch die Wohnung. Mmmmmmm.

      Nach einem sehr wohltuenden Morgenkaffee und einem etwas ungewohnten Frühstück ziehe ich die verbliebenen, jedoch ohnehin kaum vorhandenen Jalousien hoch und möchte die Wohnung durchlüften. Also drehe ich sämtliche Heizkörper auf ein Minimum herunter. Zwecklos. Eine Viertelstunde später ist deren Heizleistung noch immer unverändert. Auch die Lüftung in Bad und Küche, eine runde, in das Mauerwerk eingearbeitete Filteröffnung, lässt sich nicht regulieren.

      Nichtsdestoweniger, diese Wohnung braucht Sauerstoff.

      Das muss doch zu schaffen sein, denke ich mir und laufe jedes Zimmer ab. Verwundert stelle ich fest, dass die hiesigen Fensterscheiben sich nicht so ohne Weiteres öffnen lassen. Große, breite Fenster. Eine einzige riesige Scheibe pro Raum. Zweifach verglast. Ein Fensterglas innen, eine schmale Fensterbank dazwischen, dann das zweite Fensterglas, außen.

      Erst jetzt fallen mir die kleinen Holzskulpturen auf, die Valtteri auf der Fensterbank zwischen den Fensterscheiben platziert hat. Wie er das geschafft hat, entdecke ich beim besten Willen nicht. Genauer gesagt, wo der Öffnungsmechanismus, durch den man an den Zwischenraum der Glasscheiben gelangt, sich befindet.

      Diese kleinen Holzskulpturen sind wirklich sehenswert. Miniaturen, die einzelne Partien von Tieren und Pflanzen darstellen, absichtlich unvollständig ausgearbeitet. Ich hätte sie mir gerne genauer angesehen. Die sind ganz eindeutig von Valtteri. Das ist seine „Handschrift“.

      Neben der großen Fensterscheibe im Schlafzimmer fällt mir mit einem Mal eine sehr schmale längliche Holztür auf. Sie ist exakt auf die Höhe der Fensterscheibe zugeschnitten und mit einem Drehgriff ausgestattet, welcher einer Türklinke ähnelt. Vorsichtig probiere ich, den Griff in jede nur erdenkliche Stellung zu drehen, – bis die schmale Holztür sich öffnen lässt.

      Offen.

      Hinter der fensterhohen Holztür liegt eine interessante Konstruktion verborgen: In das Mauerwerk wurden Lamellen eingearbeitet. Davor wiederum wurde etwas angebracht, was einem stabilen Fliegenschutzgitter aus Metall ähnelt. Das also ist das Fenster zum Lüften.

      So