Alina Schumann

Hörig


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beginnt.

      Beginnt sie vielleicht schon dort, wo Ruth Berlau , die lebenslange Freundin und Geliebte Bert Brechts, den Anfang der eigenen Abhängigkeit von den Schriftsteller vermutete ? In ihren Erinnerungen an das erste Treffen mit Brecht beschreibt sie ihn so:

      „Plötzlich hatte ich unversehens sein graues, seidenes Hemd in der Hand. Ich vergrub mein Gesicht darin. Es roch nach Erde. Mein herz schlug, und ich steckte das graue seidene Hemd unter meine Jacke...“

      Ruth Berlau legte zwar damals bestürzt und sehr beschämt das verschwitzte Hemd ihres späteren Geliebten zurück – für den Rest ihres Lebens aber empfand sie diese Szene als den Beginn ihrer leidvollen Beziehung zu Bert Brecht. Ein Fall von Hörigkeit auch dies.

      Kapitel 1

      Die Sehnsucht nach Lust und Erschrecken.

      „Ich will dich sofort nackt. Jedes Mal !“

      Die Stimme der Frau im strengen Schneiderkostüm ist rasiermesserscharf. Jegliche Gegenargumente ausschließend, befiehlt sie: totale Nacktheit, völlige Unterwerfung, gezügeltes Verlangen. Da ist kein Vorspiel, kein Nachspiel, eine Zärtlichkeit. Da sind nur der Befehl und die Gehorsamkeit.

      Zwei- oder dreimal in der Woche zitiert sie Peter A. (33)zu sich. Er kennt vorher weder den Tag noch die Stunde. Nur der Ort ist immer derselbe: eine Villa am Stadtrand von Nürnberg.

      Oft kommen diese Anrufe, wenn er mitten in einem Kundengespräch ist. Trotzdem gibt es für ihn keine Sekunde des Zögerns. Er bricht jede Verhandlung ab. Mit feuchten Händen und klopfendem Herzen fährt er zu ihr. Den Wagen parkt er in einer Seitenstraße, weit genug von ihrem Haus entfernt.

      Dort, in einer gediegenen Walmdachvilla, hinter bürgerlichen Raffgardinen, wartet sie – seine Domina. Ungeduld bereits durch die angelehnte Haustür signalisierend. Ihren telefonischen Anweisungen folgend, zieht sich Peter A. schon in der marmorgetäfelten Halle aus. Nackt, wie sie es verlangt.

      „Mir ist jedes Mal schwindelig vor Erregung. Eine Woge scheint meinen Verstand wegzuspülen. Nur manchmal, ganz zu Anfang dieses Verhältnisses, regte sich etwas wie Scham in mir!

      Er schämt sich vor ihren taxierenden Blicken. Vor der kalten Selbstverständlichkeit. Wie sie, in diesem untadeligen Schneiderkostüm, aufrecht in einem chintzbezogenen Sessel sitzend, ihn mustert. Streng, ohne Begehren. Bereit, ihn fallen zu lassen. Zurück zu stoßen in die Hölle seiner Begierden. In den Abgrund, aus dem nur e i n e Person ihn befreien kann. Wo nur sie die Lösungsworte kennt. Für seinen Kopf und seinen Körper. Für seine Seele und seine Sinne.

      „Oft, sagt er, „tat sie nichts weiter, als mich nackt vor sich knien zu lassen. Ich durfte nur ihren Fuß berühren. Selbst die Fußsohlen verweigerte sie mir!

      Peter A. verzehrt sich nach dieser Frau. Nach einer Person, die nicht jung , nicht schön und schon gar nicht liebevoll ist. Sie beherrscht ihn seit drei Jahren. Sie demütigt und erniedrigt ihn. Sie lässt ihn die Schattenseiten seiner Persönlichkeit erkennen. Aber sie beschert ihm auch Glücksmomente von nie erahnter Tiefe.

      Als ich ihn, ein Jahr nach Beendigung dieses Verhältnisses treffe und wissen will, was denn so Besonderes an dieser Frau gewesen ist, reagiert er nahezu hilflos.

      „Ich weiß es nicht, sagt er. „Da gibt es so viel Unerklärbares! Sie war damals Anfang Sechzig. Eine elegante Erscheinung. Zierlich, dunkelhaarig. Eine angesehene Ärztin. Ihr Mann, ein Wissenschaftler, hielt sich viel im Ausland auf.“

      Sie war, wie Peter widerwillig zugibt, eine Frau, an die ein Mann, wie er, normalerweise nicht herankommt. Sophie gehört zu einer Gesellschaftsschicht, wo kein Porsche eine nicht vorhandene Kinderstube wettmacht. Wo es selbstverständlich ist, ein Ferienhaus in der Toskana zu besitzen, drei Fremdsprachen zu beherrschen und wo niemand ein ‚Eclair’ für eine Jeansmarke hält.

      Zerstörerische Begierde

      Ich ahne natürlich, dass er mir auf meine Anzeige in einer Tageszeitung, nicht nur geantwortet hat, um mir seine Geschichte zu erzählen, sondern auch weil er auf der Suche nach einer neuen Domina ist. Sein Brief war sachlich und etwas hölzern gewesen.

      „Ich bin 33 Jahre alt,“ hatte er geschrieben, “selbstständiger Immobilienkaufmann, vermögend. Ich bin geschieden und Vater eines Sohnes. Meine Ehe ging wegen meiner Frauenbekanntschaften kaputt. Vor vier Jahren lernte ich eine Domina kennen. Ich wurde ihr hörig. Sie beendete dieses Verhältnis. Obwohl ich inzwischen ein junges Mädchen gefunden habe, das ich gern heiraten würde, komme ich von dieser Frau nicht los. Es belastet mich sehr!“

      Am Telefon wirkte er offen und sehr locker. Wir verabredeten uns bei ihm zu Hause.

      Seine Wohnung liegt in einer dieser postmodernen Wohnsiedlungen. Kaum Kinder, viele Singles, schnelle Autos. Zufällig stehen wir zur gleichen Zeit vor seiner Haustür. Er wirkt genauso gestylt und austauschbar wie seine Umgebung. Mittelgroß, schlank, kurz geschorener Kopf. Über dem Polohemd die teuere Lederjacke, eine Tennistasche unterm Arm.

      Der Anlass unseres Treffens scheint ihm plötzlich Schwierigkeiten zu bereiten. Seine Stimme ist etwas zu laut, sein Lachen völlig unmotiviert.

      Umständlich schließt er die Wohnungstür auf. Er deutet auf ein zweites Namensschild – das einer Frau – und lacht, wieder unangenehm laut.

      „Meine Freundin, sagt er. Und:

      „Sie ist nach unserem letzten Krach ausgezogen!“

      Als ich Bedauern erkennen lassen, wiegelt er ab.

      „Ist schon wieder in Butter. Ich hab alles geregelt!“

      Er sagt das so wie einer, der gewöhnt ist, die Dinge wieder einzurenken.

      Die Wohnung wirkt unbehaust. So, als würden hier nur Zwischenstopps gemacht: Kleidungswechsel, Post abholen, Schlafen.

      In der viel zu mächtigen Bücherwand im Wohnzimmer stehen Trivialliteratur und Bildbände aus dem Versandhandel. Daneben Nippes und das Fotos eines sehr jungen, unscheinbaren Mädchens.

      „Das ist sie,“ sagt er. Und als ich fragend schaue, fügt er hinzu:

      „Die Freundin. Mein Schatz. Vielleicht auch meine Rettung! Wie Sie wollen!“

      Er lotst mich in die Küche, dem anscheinend einzigen wirklich bewohnten Raum. Ich merke, wie die Fremdheit zwischen uns belastend wird. Ich sehe ihm an, wie er sich zu fragen scheint, weshalb er mir geschrieben hat, und spüre sein Zögern beinahe körperlich.

      Ich versuche seine Unsicherheit abzufangen, in dem ich ihm von den anderen Interviews erzähle. Von den Schwierigkeiten meiner bisherigen Gesprächspartner. Von deren Beweggründen mir auf meine Anzeige zu antworten und schließlich sich mir, der völlig Fremden zu öffnen.

      „Und warum,“ frage ich Peter A. dann, „haben Sie mir geschrieben? Waren Sie nur neugierig, wer sich hinter dieser Annonce versteckt?“

      Er schüttelt den Kopf.

      „Ich wollte endlich reden. Ich brauche dringend jemanden, von dem ich annehmen kann, dass er mich nicht verurteilt. Ganz gleich, wie schlimm meine Geschichte auch sein mag. Ich ersticke fast daran. Ich weiß nicht mehr, wie ich mit ihr weiterleben kann!“

      „Und mit einem Therapeuten können Sie nicht...“

      „Nein!“ Peter A. wird heftig. „Mit einem Mann kann ich schon überhaupt nicht reden. Und wie so mit einem Therapeuten? Bin ich denn Ihrer Meinung nach krank?“

      Was soll ich ihm sagen?

      Ist es krank, als 33jähriger attraktiver Mann an einer inzwischen 65jährigen Domina zu hängen? Ist es krank, sich zu wünschen beherrscht zu werden und sexuelle Befriedigung nur in Erniedrigung zu verspüren?

      Vielleicht ist es die Konsequenz dieser Leidenschaft, die ihn so fertig macht – diese Angst vor der Entdeckung, dieses ewige Versteckspiel, diese Lebenslüge.

      Als Peter A. spürt, dass es mehr geben muss „als dieses eintönige Familienleben,“ ist er 27 Jahre alt.