Alina Schumann

Hörig


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die eisernen Regeln des Patriarchats. Der Vater, Oberregierungsdirektor im Senat der Hansestadt, war ein strenger und lustfeindlicher Mann. Sein Lebensmotto: Disziplin und Ordnung.

      Als kleines Mädchen hat Christiane sehr um die Gunst ihres Vaters gebuhlt. Sie brachte ihm die Hausschuhe, stopfte ihm die Pfeife und saß zu seinen Füßen, wenn er die Sportschau sah. Schon bevor er es ausgesprochen hatte, wusste sie, wann er ein neues Bier oder die Zeitung wollte. Einmal sagte er lachend:

      „Du bist meine kleine Sklavin! Wenn nur alle Frauen so wären wie Du!“ Das fand sie wunderbar.

      Dieser Satz, des geliebten Vaters brannte sich in ihrem Unterbewusstsein ein. Kleine Sklavinnen wurden geliebt!

      Mit der Mutter kam sie nicht so gut zurecht. Sie erschien ihr als Konkurrentin. Meistens war sie es auch, die die Zweisamkeit Vater-Tochter störte. Außerdem:

      „Mami bevorzugte meine beiden Brüder, mich ließ sie meistens links liegen.“

      Als Christiane in die Pubertät kam änderte sich auch ihr Verhältnis zum umworbenen Vater. Er konnte plötzlich wenig mit diesem kratzbürstigen, aufsässigen Mädchen anfangen. Zwar gab es immer wieder mal Momente der Nähe mit ihm. „Aber irgendetwas hatte sich total verändert!“

      Die kleine Sklavin war auf dem Weg einen eigenen Kopf zu haben.

      Christiane fühlte sich, ohne die vertrauten Rituale mit ihrem Vater einsam und isoliert. Plötzlich spürte sie die Enge ihres Elternhauses.

      Sie begann sich zur Wehr zu setzen, wurde unpünktlich, schwänzte die Schule und ‚trieb sich in schlechter Gesellschaft’ herum. Im Grunde

      Im Grunde, waren all diese Eskapaden nur der Versuch wieder die volle Aufmerksamkeit ihres Vaters zu erlangen. Doch der Draht zu ihm schien völlig angebrochen. Er kam mit diesem aufmüpfigen, pubertierenden Mädchen nicht zurecht. Das heimische Barometer stand dauernd auf Sturm.

      „Ich konnte ihnen überhaupt nichts mehr recht machen“ erzählt Christiane.

      Ihren Vater empfand sie jetzt als grauenvollen Spießer. Seine Lebensphilosophie von ‚law and order’ verachtete sie. In ihrer Mutter sah Christiane nur noch die schwache, ewig nachgebende und sich unterordnende Frau.

      Wie die Mutter wollte sie nicht werden

      Überhaupt fand sie die Vorstellungen, die ihre Eltern von ihrer Zukunft hatten, als schrecklich.

      „Meinen Eltern ging es nur darum, dass ich einen Mann aus einer guten Familie abbekäme. Damit ich ein anständiges Leben, in einem anständigen Haus, mit anständigen Kindern führen könnte. Das kotzte mich an!“

      Nach dem Abitur machte Christiane die Aufnahmeprüfung zur Kunstakademie. Für ihre Eltern war diese Entscheidung gleich bedeutend mit einer Kriegserklärung.

      Neben dem Studium jobbte Christiane in einer Diskothek. Sie wollte Geld sparen um so schnell wie möglich von zu Hause ausziehen zu können.

      „Mein Vater hat nur verächtlich von meinem Studium gesprochen. Meinen Job bezeichnete er als Animierjob. Er tat so, als wäre ich eine Nutte auf St. Pauli!“

      In der Diskothek lernt sie Kevin kennen. Einen Mann Mitte Vierzig, dem das Geld sehr locker sitzt. Meistens kommt er in Begleitung, immer spät in der Nacht. Die Mädchen sind schrill und tief dekolletiert, die Männer Halbseide.

      „So mit goldenen Kettchen und der diamantbesetzten Rolex!“

      Christiane, das Mädchen aus dem gehobenen Bürgertum, hat noch nie solche Leute getroffen. Sie sind laut, ordinär und ohne den geringsten Anflug von guten Manieren. Das fasziniert sie.

      Als Kevin sie zu einem Glas Champagner einlädt, lehnt sie nicht ab. Sie ist neugierig. Aber Kevin hat nicht vor mit ihr Konversation zu machen. Er reicht ihr das Glas und vergisst sie im gleichen Augenblick.

      „Ich war beleidigt. Er behandelte mich wie eines seiner Flittchen.“

      Trotzdem geht ihr dieser Mann nicht aus dem Kopf. Er ist schon äußerlich ein Typ, wie sie ihn noch nie getroffen hat. Groß, dunkel, mit streichholzkurzem Haar, einem breiten Kreuz und einer schmalen Taille. Seine hellen Augen haben stets einen wachen, lauernden Ausdruck. Wolfsaugen, denkt sie. Am wenigsten passen seine Hände zu ihm. Es sind lange schmale Pianistenhände.

      Christiane denkt sehr oft an ihn. Einmal versucht sie, ihn aus dem Gedächtnis zu zeichnen. Nur die Hände gelingen ihr. Sie überlegt, ob sie ihm die Skizzen zeigen soll.

      „Nein“, entscheidet sie dann. “Das wäre zu aufdringlich.“

      Eines Abends fragt Kevin sie nach ihrem Vornamen. Als sie ihn sagt, lacht er.

      „Das passt zu dir“, sagt er. „So anständig und bieder!“

      Cristiane ist tief gekränkt. Sie beschließt ihn nicht mehr zu beachten. Trotzdem nimmt sie ein paar Wochen später seine Einladung zu einer Party an.

      Es ist ein wildes Fest. Der Koks steht in großen silbernen Schalen offen herum. Der Champagner scheint aus Fässern zu fließen. Als eines der Mädchen zu strippen beginnt, will Christiane gehen.

      „Hab dich nicht so, du Betschwester!“ fährt Kevin sie an. Und sie bleibt. Für Christiane ist jener Abend der Beginn einer jahrelangen Abhängigkeit und Unterdrückung.

      In dieser Nacht schläft sie mit Kevin. Er muss sich seiner Sache sicher gewesen sein, denn er hatte im Hotel eine Suite bestellt.

      Für Christiane ist es, als habe sie durch ihn den Sex neu entdeckt. So aufregend, so zärtlich, so einfallsreich und ohne Tabus hat sie die Liebe noch nie erlebt. Als sie im Morgengrauen nach Hause geht „Wusste ich, dass ein neuer Abschnitt meines Lebens begonnen hat“.

      Am Abend fiebert sie Kevins Erscheinen entgegen. Er kommt nicht. Sie ist enttäuscht. Als er sich am Tag darauf nicht zeigt, fragt sie seine Freunde nach ihm.

      „Der ist verreist“, hieß es da lapidar. „Wann und ob er überhaupt wiederkommt – keine Ahnung!“

      Christiane fühlt sich elend. Hat diese Nacht für Kevin gar nichts bedeutet? Ist sie ihm so gleichgültig, dass er ohne ein Wort verschwindet? Er verhält sich völlig anders als ihre bisherigen Lover. Aber das ist es auch, was Christiane so sehr anzieht.

      Nach einer Woche ist er wieder da. Sie hat Herzklopfen. Freut sich. Er beachtet sie kaum.

      „Hallo Kleine“, sagt er nur und lacht ihr flüchtig zu. Stunden später fragt er:

      „Hast du morgen Zeit? Ich mach bei mir zu Hause ein Fest!“

      Die Party bei Kevin unterscheidet sich nicht von der ersten. Wieder gibt es Berge von Koks, wird der Champagner in Strömen ausgeschenkt. Christiane fühlt sich wie der Kuckuck im falschen Nest.

      Knastbrüder und Ganoven

      Diese Leute haben eine seltsame Anziehung für sie. Kevins Bemerkung, dass hier hundert Jahre Knast versammelt wären, macht sie noch neugieriger. Sie schaut sich in Kevins Wohnung um.

      ‚Eine merkwürdige Behausung’, denkt sie. Kein persönlicher Gegenstand liegt herum. Die Möbel sind teuer und sehen aus, als habe sie ein Innenarchitekt arrangiert. Nirgends kann sie Bücher entdecken.

      Sie probiert zum ersten Mal Koks. Der Sex mit Kevin ist dadurch noch aufregender. Als sie am nächsten Vormittag nach Hause kommt, weiß sie, dass es Ärger geben wird. Ohnehin ist sie längst entschlossen auszuziehen. Zwei Wochen später findet sie ein kleines Appartement in der Nähe der Akademie.

      Mit Kevin trifft sie sich inzwischen regelmäßig. Sie ist noch immer fasziniert von ihm. Von diesem Mann, von dem sie nichts weiß. Er handle mit Immobilien, sagt er. Große Projekte, international. Christiane spürt, dass dies nicht die Wahrheit ist. Dass er ausweicht. Dass er nicht über seine Geschäfte sprechen will.

      „Es war mir auch egal“, sagt sie. “Ich wollte mit ihm zusammen sein, Um jeden Preis!“

      Kevin ist ein Typ, der keine Widersprüche duldet. Als