Alina Schumann

Hörig


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Verhältnis mit Sophie schwebt wie ein Damoklesschwert über ihm. Die Angst vor dem Spott seiner Freunde. Und davor, als pervers abgestempelt zu werden. Diese Angst verfolgt Peter A. bis in seine Träume.

      Doch dann scheint sich alles zu lösen. Sophie teilt ihm ohne jede Emotion mit, dass sie in eine andere Stadt ziehen werde.

      „Zuerst geriet ich in Panik.“ sagt Peter A. “Doch dann dachte ich: jetzt habe ich endlich wieder die Chance normal zu leben.“

      Eine neue feste Beziehung scheint die Rettung zu sein.

      Eine, die ihn nicht beunruhigen muss. Mit einer Frau, die er dominieren kann. Wo er König und nicht Sklave ist.

      Das Mädchen, das er sich aussucht ist 22 Jahre alt. Streng katholisch, unberührt und aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Eine, die zu ihm aufschaut. Jene unscheinbare Blonde aus dem Bilderrahmen im Bücherbord.

      „Ich liebe sie,“ sagt Peter A. „wir wollen heiraten. Ich möchte noch ein paar Kinder!“

      Zu eindringlich, zu bemüht spricht er über dieses Mädchen. Darüber, wie froh er ist, sie gefunden zu haben. Wie aufrichtig sie sei, wie naiv.

      „Und im Bett?“

      Er zögert. Dann sagt er:

      „Ach das wird schon!“

      „Kein Gedanke mehr an Sophie B.?“

      “Doch immer dann, wenn ich mit meiner Freundin im Bett liege. Dann stell ich mir die vergangenen Situationen vor. Aber es gelingt mir sehr selten. Außerdem...“

      „Ja?“

      „Außerdem schlafe ich nur einmal im Monat mit meiner Freundin. Sie nimmt aus religiösen Gründen die Pille nicht. Sie hat auch beim Verkehr Schmerzen. Eigentlich hat sie auch nie richtig Lust. Ich merke, dass sie es nur meinetwegen tut!“

      Und plötzlich bricht es aus ihm heraus.

      „Herrgott,“ sagt er, „ ich halte das nicht mehr aus. Ich habe gehofft, von meinen Fantasien befreit zu sein, wenn diese Frau weg ist. Aber mir geht es schlechter als zu vor!“

      Und er erzählt, wie ihm Sophie Geld geschickt hat mit dem Befehl, zu einer Domina zu gehen. Wie er dieses Geld angenommen hat und die Dame, deren Adresse ihm seine Herrin mit lieferte, aufsuchte. Wie er plötzlich Angst bekam. Wie das Folterwerkzeug dieser Professionellen ihn erschreckte.

      „Ich bin vor mir selbst geflohen,“ sagt er, „aber meine Fantasien haben mir keine Ruhe gelassen. Ich habe mich nach dieser Art Sex verzehrt. Ich weiß jetzt, dass ich es brauche. Ich brauche die Bestrafung, die Erniedrigung, um Lust zu empfinden.“

      Monatelang gibt er Anzeigen in einschlägigen Magazinen auf. Dann hat er eine Frau gefunden. Der Gedanke an dieses Abenteuer lässt ihn erschaudern.

      „Sie war einfach nur ordinär. Sie hat Worte benutzt, die mich nicht angemacht haben. Hat die Fesseln zu streng angezogen, hat die Peitsche völlig unsensibel geschwungen. Es war furchtbar.“

      Eine zweite behandelte ihn wie einen Schulbuben.

      „Wie einen achtjährigen Grundschüler,“ sagt er. „Nicht einmal meine Mutter hat so mit mir gesprochen damals...“

      „Was war damals?“

      „Nein, nein, ich hab’ keinen Mutterkomplex, wenn Sie das meinen.“

      Rituale bizarr und prägend

      Peter A. war ein uneheliches Kind. Er lebte mit der Mutter und der Großmutter in einer Wohnung.

      „Wir waren sehr arm,“ sagt er.“ Meine Mutter hat als Verkäuferin bei den Amis gearbeitet. Mit 800 Mark mussten wir auskommen. Aber es war schön!“

      „Wer hat Sie aufgeklärt?”

      „Die Freunde und die Leute auf der Straße. Nein, meine Mutter war überhaupt nicht prüde. Ich habe sie schon als kleiner Bub nackt gesehen. Sie hat auch heute noch eine prima Figur.“

      Mit zwölf zog er mit der Mutter aus der engen großmütterlichen Wohnung aus.

      „Wir konnten uns endlich eine eigene kleine Wohnung leisten. Es war herrlich. Nur meine Mutter und ich. Ich hab im Wohnzimmer geschlafen.

      Wenn die Mutter ihre Männer mitbrachte, versuchte der Bub nicht zu Hause zu sein. Für Verletzungen sei ihr Verhältnis viel zu innig und zu offen gewesen.

      “Meine Mutter hat mir ja auch gar nichts verheimlicht. Sie hat mir im Gegenteil haarklein erzählt, wie’s mit den Kerlen war.“

      Mit 14 wusste Peter, dass seine Mutter Männer mit Haaren auf der Brust und an den Armen am liebsten hatte. Sie erzählte ihm auch, welcher ihrer Freunde es besonders gut konnte. Welcher einen Orgasmus bekam, wenn er sie nur von weitem sah.

      „Meine Mutter ist eine sehr herzliche Frau. Sie hat oft mit mir gekuschelt und mich in den Arm genommen. Zum Spaß hab’ ich mich immer dagegen gewehrt. Dann hat sie mich bestraft. Es war so ein Spiel, das ich sehr gern hatte.“

       Es gab viele Spiele und Rituale zwischen den beiden. Meistens war die Mutter die Bestimmende, die Unnachgiebige.

      Sie inszenierte strenge, rituelle Spiele, die ihn lustvoll erregten. Heiß auf kalt. Ein Wechselbad der Gefühle. Wenn nach dem jähen Schrecken das befreiende Lachen kam, fühlte sich der Bub ganz besonders gut.

      Die Offenheit in der die Mutter ihn an ihren sexuellen Abenteuern teilhaben lässt, verstärkt bei den Knaben die Vorstellung, dass es nur die älteren, dominanten Frauen sind, bei denen man diese wunderbare Lust empfinden kann.

      „Ich wusste natürlich, dass sie nur ganz junge Männer mochte. Und dass die sich auch sehr viel von ihr gefallen lassen mussten.“

       Er bekam auch mit, dass es stets seine Mutter war, die den Sex diktierte. Die, wie er sagt „sich von keinem dieser Männer etwas anschaffen ließ.“

      Und die, ihre Erfahrungen an den Sohn weitergab.

      „Sie hat mir erzählt, dass sie es gern französisch hat. Und mich gefragt, ob ich das denn auch gern täte.“

      Einmal habe er der Mutter im Vertrauen gesagt, dass er eigentlich auf ältere Frauen stehe. Und ob sie das schlimm finde.

      „Wieso denn,“ habe seine Mutter geantwortet. “Du siehst ja an mir, dass die auch noch ganz flott sind. Außerdem lernt ein junger Mann bei einer älteren Frau fürs Leben!“

      Als mich Peter A. zur U-Bahn bringt, wieder ganz der starke Typ mit Porsche und Ray-Ban-Sonnenbrille, wirkt er erleichtert.

      „Nehmen Sie mir wenigstens endlich ab, dass ich keinen Mutterkomplex habe?“ fragte er.

      Wochen später treffe ich ihn in einem Cafe der Münchner Innenstadt. Er will nochmals dringend mit mir reden.

      Ich habe den Eindruck er verwechselt mich mit einem Therapeuten. Als ich ihm das sage, wird er unwirsch.

      „Eigentlich ist es doch ein Kompliment,“ raunzt er mich an. “Wenn ich lieber mit einer Journalistin als mit einem Arzt spreche!“

      Dann fügt er etwas freundlicher hinzu:

      „Sie haben bei mir genau den Punkt getroffen. Ich habe Vertrauen zu Ihnen. Ich weiß auch, dass ich Hilfe brauche. Ich muss endlich mein Leben in den Griff bekommen! Ich will doch nur Ihren Rat.“

      Vergeblich versuche ich mich aus dieser Umklammerung zu befreien. Meine Argumente lässt er nicht gelten.

      „Nach unserem Gespräch war mir klar, dass ich eigentlich eine ältere Frau brauche. Eine, die mindestens zwanzig Jahre mehr Erfahrung hat. Eine, die mir sagt, wo’s lang geht. Die aber diskret ist und über unser Sexleben nicht redet. Außerdem müsste ihre Liebe so unverrückbar sein, wie die Liebe meiner Mutter.“

      Ob er jemals mit seiner Mutter über die damaligen Rituale und wie sehr sie ihn geprägt haben, gesprochen hat, will ich wissen.

      „Nein