Alina Schumann

Hörig


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Christiane neu ein. Es kann nicht teuer genug sein. Während er auffällig wie ein Papagei herumstolziert, legt er bei ihr Wert auf Eleganz. Er stilisiert sie so sehr zur ‚höheren Tochter’, dass beide durch ihr gegensätzliches Äußeres Aufsehen erregen. Ihm scheint das einen zusätzlichen Kick zu geben.

      „Klasse“, sagt er voller Besitzerstolz. “ Ist eben angeboren. Die kann man nicht mit Kohle kaufen!“

      Stundenlang kann er sich Christianes Familienstorys anhören.

      „Am liebsten waren ihm Geschichten über meine Oma. Die hatte ein großes Saatgut und einen Adelstitel. Das hat ihn unwahrscheinlich angemacht.“

      Von seiner eigenen Familie spricht Kevin selten.

      „Da gibt’s nichts zu erzählen“, wehrt er ab.“ Ich komme aus der Gosse. Meine Mutter war eine arme Sau. Mein Vater ein widerlicher Alkoholiker. Geschwister hab ich keine.“

      Christianes Leben hat sich total verändert. Zur Akademie geht sie selten. Meistens ist sie morgens viel zu müde. Die Nächte mit Kevin sind lang.

      „Du bist mein Talisman“, sagt er.

      Vor seinen Freunden gibt er an mit ihr. ‚Meine Gräfin’ nennt er sie. Anfangs stört das Christiane sehr. Es ist ihr peinlich, aber sie gewöhnt sich daran.

      Inzwischen ist sie völlig auf ihn fixiert. Findet gut, was ihm gefällt. Verurteilt, was er nicht mag. Ihre eigenen Freunde sieht sie kaum noch. Zu langweilig und bürgerlich erscheinen sie ihr. Wie viel aufregender sind dagegen die Leute um Kevin.

      Christiane begleitet Kevin jetzt auf seinen Reisen. Meistens nach Marbella, ein paar Mal nach London. Bei diesen Gelegenheiten dringt Kevin darauf, dass sie sich besonders elegant kleidet. Oft verlangt er, dass sie getrennt von ihm fliegt. First Class , selbstverständlich. Sie wundert sich, fragt aber nicht nach. Tut einfach, was er möchte. Manchmal versteckt sie kleine Päckchen in ihren Koffern.

      „Devisen“, sagt Kevin. „Dich durchsucht doch niemand!“

      Auch ihr Reisegepäck hat Kevin ausgesucht. Es sieht besonders edel aus. Vor jeder Reise überprüft er es.

      „Es darf nie beschädigt wirken“, sagt er. Einmal fragt Christiane im Scherz:

      „Bin ich etwa dein Kurier?“

      Da werden Kevins Wolfsaugen zu Schlitzen.

      „Sag das nie wieder!“ droht er.

      Ihre Familie sieht Christiane in diesen Jahren sehr selten. Sie hat gelernt, zu Hause perfekt zu lügen. Zwar erzählt sie von ihrem Freund. Aber in ihren Berichten ist er ein spanischer Maler, der ihr bei der eigenen künstlerischen Entwicklung hilft. Auf der Kunstakademie, schwindelt sie, könne sie nichts mehr lernen. Jetzt brauche sie Praxis.

      „Wenn ich heute an diese Zeit zurückdenke“, sagt Christiane.

      “Dann scheint es mir als habe ich nur den Kopf in den Sand gesteckt. Als wollte ich mir meine Illusionen auf keinen Fall zerstören lassen. Kein einziges Mal bin ich aus diesem Traum aufgewacht!“

      Der Sex mit ihrem Freund ist für sie immer wichtiger.

      Sex als Druckmittel

      „Ich war süchtig nach seinem Körper. Keinen Tag ohne ihn glaubte ich ertragen zu können!“

      Für Kevin allerdings scheint sich der Reiz Christianes langsam abzunutzen. In Hamburg lädt er plötzlich zwei Araber ins heimische Bett ein.

      „Ich war entsetzt, wollte aber nicht spießig wirken“, sagt Christiane.

      Sie macht mit, weil sie spürt wie sehr Kevin solche Situationen erregen.

      „Ich brauche neuen Kitzel. Ich will dich dabei sehen, wenn du andere Männer befriedigst!“ begründet Kevin diese sich häufig wiederholende Triolen.

      Christiane widert die Geilheit und Lust der anderen Männer an.

      „Ich fühlte mich erniedrig!“ sagt sie heute. Um überhaupt mitmachen zu können, zieht sie sich vorher eine Linie Koks rein.

      Als Kevins Wünsche immer unmäßiger werden, will sie mit ihm brechen. Sie verkriecht sich in ihrem Studenten-Appartement. Drei Tage später ist sie wieder bei ihm.

      „Er hat geweint und versprochen, dass alles anders wird“. sagt sie.

      Doch der alte Kreislauf beginnt nach Wochen erneut: Partys, Reisen, Sex. Anfangs sind sie im Bett allein.

      „Es war so schön wie früher“, schwärmt Christiane. „Ich war glücklich!“

      Doch Kevin will mehr. Bald sind die Sex-Spielchen zu dritt, viert oder fünft wieder an der Reihe. Christiane kann diese Nächte nur noch mit Koks ertragen. Manchmal, wenn ihr Kopf klar ist, fragt sie sich, was sie bei Kevin hält. Ihr Studium hat sie abgebrochen. Zukunftspläne macht sie seit langem nicht mehr. Sie lebt in den Tag hinein und von seinem Geld.

      „Ich ließ mich aushalten“, stellt sie nüchtern fest. „Ich war jemand, der keinerlei Rechte hatte. Von dem Kerl abhängig, mit dem ich zusammen war.“

      Christiane will ausbrechen. Zuerst versucht sie mit Kevin darüber zu reden. Sie möchte ihr Studium fortsetzen. Eine Ausbildung machen. Kevin lacht sie aus.

      „Du hast doch alles“, sagt er verständnislos. „Wenn du eigenes Geld willst, richte ich dir ein Konto ein!“

      Ein anderes Leben – aber welches?

      Mit dem Wort ‚Zukunft’ kann er nichts anfangen.

      „Woher soll ich wissen, was morgen ist, ich bin nicht der Typ, der heiratet und Kinder hat. Das muss dir doch klar sein!“

      Christiane wagt nicht ihm zu sagen, dass es ihr darum überhaupt nicht geht. Dass es diese Art von Leben ist, was sie nicht mehr erträgt.

      Einerseits hat sie Angst ihn zu verlieren. Andererseits versucht sie ihn zu verlassen. Er holt sie jedes Ml zurück. Einmal gelingt es ihr, sich für zwei Wochen bei einer Freundin zu verstecken. Sie leidet, weil sie ihn vermisst. Aber diesmal will sie durchhalten. Zwingt sich, ihn nicht anzurufen, wenn ihre Sehnsucht zu groß wird.

      „Wenn ich es schaffe, ihn einen Monat nicht zu sehen, dann bin ich über dem Berg! hofft sie.

      Als sie hort, dass er krank ist, eilt sie sofort zu ihm. Sie bleibt. Kevin geht es tatsächlich nicht gut. Er hat einen Leberschaden. Und zum ersten Mal, scheint er finanzielle Probleme zu haben.

      „Du musst mir helfen“, beschwört er sie. „Mach ein paar Fahrten für mich. Du weißt schon. Nichts Schlimmes. Devisen transportieren!“

      Christiane fliegt nach Marbella, London und Lima. Sie weiß nicht genau, was in ihren Koffern versteckt ist. In den vorbestellten Hotels wird sie stets erwartet. Die Koffer werden ausgetauscht. Christiane fliegt mit einem identischen Exemplar zurück. Wie immer bei diesen Trips bucht sie First Class, ist hochelegant gekleidet. Eine junge, reiche Frau auf Reisen. Als sie aus Lima zurückkommt wird sie zum ersten Mal aus der Schlange heraus gewinkt.

      „Was suchen Sie denn“? frag sie den Zöllner am Frankfurter Flughafen.

      „Rauschgift“, antwortet er.

      „Bei mir? „fragt Christiane ungläubig und hat dieses mädchenhafte, unschuldige Lächeln. Es verfehlt seine Wirkung nicht. Ich Koffer bleibt ungefilzt.

      In Hamburg will sie von Kevin wissen, was sie transportiert hat. Ihr Freund macht Ausflüchte. Als sie insistiert, sagt er schließlich:

      „Meistens Kokain. Manchmal Heroin!“

      Christiane hatte es geahnt. Sie weiß, dass sie benutzt wird und sie weiß auch, dass sie aussteigen muss. Sofort, bevor es wirklich zu spät ist. Aber, sie ist längst abhängig von Kokain. Sie braucht ihre Dosis. Und die bekommt sie von Kevin. Ohne ihn läuft in ihrem Leben nichts mehr.

      „Hilf mir heraus“, bittet sie Kevin.“ Ich muss weg von dem Zeug. Lass mich jetzt nicht im Stich!“

      Kevin