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Heike Bicher-Seidel
Lebendkontrolle
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Nina
„Hallo Christian. Tut mir leid, dass ich schon wieder so spät bin. Gibt es heute Abend etwas Besonderes?“, sagte ich, als ich abgehetzt das verglaste Dienstzimmer des Wachpersonals betrat, das von den Häftlingen der Justizvollzugsanstalt Saarlouis gern als Aquarium bezeichnet wurde. Die meisten Gefangenen in der Abteilung für männliche Ersttäter verbüßten kürzere Haftstrafen. Vermögensdelikte wie Diebstahl oder Betrug und Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz waren häufige Gründe für ihre Verurteilungen.
Ich befestigte den Schlüssel und das Haustelefon am Gürtel meiner blauen Uniform und setzte mich zu meinem Kollegen. Christian Rau saß vor den fünf Monitoren, die die leeren Gemeinschaftsräume und Flure zeigten. Auf dem mittleren Bildschirm zappte er von einer Kamera zur nächsten.
„Hat Tom mit uns Dienst?“, wollte ich wissen.
„Tellmann macht keine Nachtschichten.“
„Muss ja auch Vorteile haben, wenn man der Chef und der Herr der Dienstpläne ist.“ Schade, dass Tom nicht mit uns Dienst hatte, ich arbeitete gern mit ihm.
„Ein Häftling ist heute aus dem Krankenhaus zurückgekommen. Suizidversuch. Wir werden die nächsten Nächte regelmäßig nachsehen, ob mit ihm alles in Ordnung ist.“ Christian sah besorgt aus, als er im Wachbuch weiterblätterte.
„Wer ist der Gefangene?“, fragte ich. Die morgendliche Lebendkontrolle war Routine, Kontrollen bei suizidgefährdeten Häftlingen fand ich dagegen bedrückend. Je nach Risikoeinschätzung wurde teilweise im Viertelstundentakt nach dem Rechten gesehen.
„Julian Kanter, Zelle sieben. Du kennst ihn noch nicht, er war vier Wochen weg. Willst du seine Akte sehen?“
„Ist er gefährlich?“
„Nein. Er wurde wegen eines Verkehrsdeliktes verurteilt. Nichts Besonderes.“
„Wie häufig sollen wir nachsehen?“
Er wandte sich wieder dem Monitor zu.
„Ich denke, jede Stunde reicht. Warum gehst du nicht rüber und machst die erste Kontrolle? Es ist erst halb elf, er ist sicher noch wach. Kanter ist nicht der gesprächigste Typ, aber vielleicht redet er ja mit dir.“
Als ich den Gang zur Zelle sieben hinunter ging, hörte ich das leise Summen, mit dem sich die Kamera an der Decke bewegte. Christian ließ mich nicht aus den Augen, was ich einerseits nett fand, mich andererseits aber ärgerte. Auch wenn ich erst seit zwei Wochen hier arbeitete und dies die erste