Heike Bicher-Seidel

Lebendkontrolle


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das eine Anweisung oder eine Frage?“

      „Es ist eine Frage“, antwortete ich und betete, dass er ja sagte. Ich sah ihm an, dass er mit sich rang und erwartete eine Abfuhr.

      „Ich denke, ich kann da noch einen zusätzlichen Auftrag in meinem Terminkalender unterbringen.“

      Mir war klar, dass mein breites Grinsen völlig unpassend und unprofessionell war, aber ich konnte es nicht unterdrücken und wollte es auch nicht. Vielleicht tat es ihm ja gut, dass sich jemand freute, mit ihm zusammenzuarbeiten und in ihm nicht nur den Häftling aus Zelle sieben sah. Er schaute mich mit einem nachdenklichen halben Lächeln an und ich war froh, dass ich seine Gedanken in diesem Moment nicht lesen konnte. Er machte sich mit Sicherheit über die übereifrige Neue lustig.

      Als unsere Tassen geleert waren, stand ich auf.

      „Sie sollten schlafen gehen, Sie sehen müde aus und ich brauche am Montag einen ausgeruhten Bibliothekskollegen.“

      „Sie halten mich doch die ganze Zeit vom Schlafen ab“, antwortete er in spielerischem Ton.

      „Ich spreche mit dem Kollegen Rau, vielleicht können wir die Kontrollintervalle ja etwas verlängern, dann bekommen Sie mehr Schlaf. Und wenn es Ihnen recht ist, klopfe ich nicht an, dann wecke ich Sie nicht jedes Mal auf.“ Er nickte und sah mir nach, als ich die Zelle verließ und wieder abschloss.

      Christian war überrascht über das lange Gespräch mit Kanter und war damit einverstanden, dass ich nur noch zweimal in dieser Nacht eine Kontrolle durchführte. Er war jedoch nicht einverstanden, dass ich ihn dabei nicht aufwecken wollte, da dann nicht sicher festgestellt werden konnte, dass er tatsächlich lebte.

      Als ich gegen drei Uhr in der Frühe die Zelle sieben wieder öffnete, lag Kanter in seinem Bett auf der Seite, ein Arm ruhte auf der Decke. Er schlief und nicht mal das knarrende Schloss hatte ihn geweckt. Ich schlich leise in den Raum und ging vor dem Bett in die Hocke. Im Dämmerlicht erkannte ich nicht, ob er atmete, also fühlte ich seinen Puls am Handgelenk. Der war ruhig und kräftig, alles in Ordnung.

      Ohne eine sonstige Bewegung schlug er plötzlich die Augen auf und sah mich an.

      „Schlafen Sie weiter, das war die letzte Kontrolle für heute“, flüsterte ich und merkte erst jetzt, dass ich noch immer sein Handgelenk festhielt. Schnell zog ich die Hand zurück, lächelte verlegen und machte, dass ich raus kam. Als ich die Tür abschloss, fluchte ich innerlich. Warum hatte ich das nur gemacht? Erst drängte ich ihm mitten in der Nacht einen Kaffee und ein Gespräch auf und dann betatschte ich ihn auch noch, während er schlief. Unprofessionell, aufdringlich, nervend. Wenigstens hatte er jetzt zwei Tage Zeit, um sich von mir zu erholen.

      Kapitel 2

       Nina

      „Verdammt!“, fluchte ich und stolperte zur Wohnungstür, „wehe, das ist nicht wichtig“. Es war erst 11.00 Uhr und nach der gestrigen Nachtschicht war ich noch lange nicht ausgeschlafen.

      „Ja“, blaffte ich in die Gegensprechanlage.

      „Ich bin‘s, Marc.“ Völlig perplex brauchte ich einen Augenblick, um mich zu sammeln. Was machte mein Ex vor meiner Tür?

      Vor drei Wochen war ich aus unserer Wohnung in Essen ausgezogen, aber die Beziehung hatte bereits Monate vorher schon nur noch pro forma bestanden. Mehr als Hallo und Tschüss hatten wir uns nicht mehr zu sagen gehabt, deshalb war die Funkstille seit meinem Auszug auch keine Überraschung für mich gewesen, hatte aber dennoch nicht weniger wehgetan.

      Acht gemeinsame Jahre und Marc hatte mich einfach kommentarlos gehenlassen. Kein Versuch, mich zum Bleiben zu überreden, keine Liebesbeteuerungen. Dass er mit meinem Auszug nicht einverstanden war, hatte ich nur daran gemerkt, dass er mir nicht beim Packen half und ich meine wenigen Habseligkeiten allein schleppen durfte. Erst als es erneut klingelte, drückte ich den Türöffner der Haustür und öffnete die Wohnungstür.

      „Hallo Kätzchen, ich dachte schon, du lässt mich nicht rein.“ Marc spazierte mit dem ihm eigenen Selbstbewusstsein an mir vorbei und wartete, bis ich die Wohnungstür hinter ihm schloss.

      „Was...“, machst du hier, sollte eigentlich folgen, aber er schnitt mir das Wort ab, indem er mich in seine Arme zog und mir einen Kuss auf die Lippen drückte.

      „Ich hab dich vermisst“, sagte er.

      Automatisch schlang ich meine Arme um Marcs Taille und legte den Kopf an seine Schulter. Die Umarmung fühlte sich gut an.

      Erst jetzt wurde mir bewusst, wie einsam ich mich in den vergangenen Wochen gefühlt hatte.

      Ich hatte nicht nur ihn in Essen zurückgelassen, sondern auch jeden Kontakt zu unseren Freunden abgebrochen und Verwandte hatte ich nicht mehr. Er roch angenehm nach Marc und Zuhause. Trotz der Enttäuschung über sein ignorantes Verhalten nach dem Unfalltod meiner Eltern vor drei Jahren, hatten wir auch gute Zeiten gehabt. Wenn er jetzt, nur für mich, 350 Kilometer fuhr, war er vielleicht doch bereit, an unserer Beziehung zu arbeiten und meine Entscheidungen zu akzeptieren oder wenigstens Kompromisse zu suchen. Fernbeziehungen waren schwierig, aber eine langsame Wiederannäherung war möglicherweise genau das, was wir brauchten.

      Ich lehnte mich in Marcs Arm zurück, um ihn anzusehen. Seine blonden Haare waren wie immer akkurat geschnitten, die blauen Augen strahlten mich an und seine Lippen umspielte ein wissendes Lächeln.

      „Du hast mich auch vermisst.“

      Ich nickte und lächelte vorsichtig zurück.

      „Mein dickköpfiges Kätzchen, warum hast du mich nicht einfach angerufen, als du es endlich eingesehen hast.“ Er strich meine vom Schlaf zerzausten Haare zurück und mir wurde bewusst, dass ich nur mein altes Schlafshirt trug.

      „Sorry, für den Aufzug. Ich hatte Nachtschicht und bin noch nicht richtig wach.“

      „Das macht doch nichts. So verschlafen bist du besonders niedlich.“ Sein nächster Kuss war fordernder und ließ mich alles andere als kalt. Seine Hände strichen über meinen Rücken bis zum Po und er drückte mich an sich. Ein angenehmer Schauer durchlief mich, als ich Marcs Erregung fühlte. Ohne darüber nachzudenken klammerte ich mich an ihn. Er hob mich mühelos hoch und ich schlang die Beine um ihn.

      „Schlafzimmer?“, murmelte Marc an meinen Lippen. Ich wies ihm die Richtung und er trug mich zum zerwühlten Bett. Als er mein Shirt abgestreift hatte, betrachtete er mich einen Augenblick.

      „Du bist dünn geworden. Liebeskummer?“

      Ich sah ihn unwillig an, er lächelte.

      „Nicht böse sein. Steht dir gut, wirklich. Ich fand deine Pölsterchen sexy, aber jetzt. Wow!“

      „Marc, ich weiß nicht, ob das hier eine gute Idee ist.“

      Er legte sich neben mich und küsste mich zärtlich.

      „Das hier ist die beste Idee, die wir seit Monaten hatten. Ich liebe dich und du liebst mich. Warum quälst du uns beide. Lass es geschehen, du willst es doch auch.“

      Seine sanfte Stimme, unterbrochen von liebevollen Küssen und streichelnden Berührungen, lullte mich ein. Marcs Nähe fühlte sich so vertraut an und Sex war nie unser Problem gewesen. Also ließ ich los, ließ mich trösten von seiner Zärtlichkeit und aus meinem einsamen neuen Leben davontragen. Als er meinen schwindenden Widerstand spürte, streifte er seine Kleidung ab.

      „Kätzchen, ich bin so froh, dass du es endlich eingesehen hast und ich jetzt nicht mehr ohne dich leben muss.“ Sein Körper war warm, ich fühlte das Spiel der durch zahlreiche Besuche im Fitnessstudio definierten Muskeln unter meinen Händen und in diesem Moment wollte ich ihn genauso wie er mich.

      „Du hast mir so gefehlt“, flüsterte er, als er sich hingebungsvoll meinen Brüsten widmete. Ich kicherte, weil es kitzelte und er grinste diabolisch. Seine Hände wanderten an meinem Körper nach unten und