Elke Bulenda

Das 4. Buch George


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ging. Wenn er ein Tier, aus der sich windenden Menge herausholen sollte, gab er lediglich einen Schnalzton von sich, und das gewünschte Tier folgte ihm wie ein frommes Lamm.

      Alles lief bestens, bis er mit Quindo, dem einheimischen Arbeiter, die Tore der Farm abschließen wollte.

      »Willst du dich nicht von den Großen nochmals verabschieden? Morgen geht es ihnen ans Leder«, grinste Quindo, und in seinem dunklen Gesicht strahlten Zähne wie Suchscheinwerfer in der Finsternis.

      »Was? Morgen schon? Warum hat mich niemand davon unterrichtet?«, erkundigte sich Sandy.

      »Wir dachten, wir verschonen dich vor dieser Hiobsbotschaft, weil du sonst in deinem stillen Kämmerlein Krokodilstränen weinst«, tröstete ihn der Kollege. »Aber weil du mit ihnen so eine besondere Beziehung hegst, dachte ich, du solltest das wissen. Das ist doch nur fair, oder? Hör zu, mir gefällt das auch nicht, es ist sozusagen gegen meine Natur, uns Ureinwohnern sind die Krokodile heilig. Aber damit verdienen wir nun mal unser Geld. Schließlich habe ich eine Familie zu ernähren.Willst du nochmal rein?«

      Sandy verfiel augenblicklich in eine Schockstarre. Sein Blick schien Tür und Tor zu durchdringen. Dann kam er wieder zu sich und sah zu seinem Kollegen. »Nein, ich werde jetzt nach Hause gehen. Danke, Quindo, dass du so aufrichtig zu mir warst. Wir sehen uns morgen«, nickte er dem Eingeborenen zu und machte sich auf den Nachhauseweg.

      Quindo sah seinem Kollegen bekümmert hinterher, schüttelte den Kopf und murmelte: »Armer Kerl, das bricht ihm glatt das kalte Herz.«

      Danach zuckte er mit den Achseln und trollte sich.

      Mitternacht. Kein Beobachter ist zugegen, um das sich anbahnende Schauspiel zu betrachten. Folgendes: Ein Schlüssel wird im Schloss gedreht. Das Tor bleibt weit geöffnet. Ein Mann betritt das Gelände und verschafft sich Zugang zu den Gehegen. Auch hier kommt wieder der Schlüsselbund zum Einsatz. Unzählige Augen sind auf eine vertraute Person gerichtet. Diese gibt ihnen das Signal, ihm zu folgen. Unerwarteterweise geht alles mucksmäuschenstill vonstatten. Krallen kratzen leise über Holz und Fliesen. Unzählige Krokodilmütter nehmen die Fährte zu ihrer Brut auf. Bereitwillig werden Mäuler geöffnet, um Eier und die kleinsten Echsen, die nicht Schritt halten können, sicher in Empfang zu nehmen. Die stille Karawane bewegt sich fast lautlos durch das Gebäude. Nur ein Mann steht noch an einem wassergefüllten Becken. Er wirft seinen Hut hinein. Den wird er jetzt nicht mehr brauchen. Er ist offiziell gestorben. Zerrissen und nur noch aus halbverdauten Fleischfetzen bestehend, verteilt in unzähligen Mägen von aggressiven Krokodilen. Möge Sandy Bay in Frieden ruhen, denn er war echt kein übler Kerl.

      Der Mann tritt leise an die Spitze dieser seltsamen Prozession. Seine Augen scheinen von innen zu leuchten. Er kniet sich nieder, er reckt und streckt sich. Ehrfürchtige Blicke werden ihm zuteil, als sich seine Proportionen verändern. Er wird größer, seine Haut wird rissig und darunter schuppig; seine Gliedmaßen sind nun stämmiger. Fingernägel werden zu mächtigen Krallen. Hände und Füße mutieren zu großen, Fleisch zerreißenden Pranken. Er schält sich heraus, aus dem beengenden Mantel, menschlichen Fleisches, der ihn bisher umgab. Und aus seinem Rücken sprießen ledrige Schwingen. Der Drache wirkt wie ein König, stehend vor seinen Untertanen. Er wirft einen Blick auf sein Volk und gibt ihnen nickend das Zeichen für den Aufbruch ins gelobte Land. Wie eine ledrige Welle bewegen sich die Reptilien vorwärts. Nur der Comodowaran, Oskar, nimmt sich noch etwas Zeit, um vor dem Tor der Mokiki-Farm einen mächtig dampfenden Haufen zu hinterlassen. Leises, zischelndes Gekicher ertönt. Dann verebbte, die sich windende dunkle Welle, in den tiefen des Dschungels. Immer weiter der Freiheit entgegen; unzählige Leiber gleiten in Bäche, Flussläufe und Seen. Die Natur zeigt ihnen ihren angestammten Platz. Ein Leben in Freiheit, unbehelligt von der Gier und den Waffen der Menschen, fern des Profits. Das jahrtausendealte Gesetz des Stärkeren kommt wieder zum Einsatz: Fressen und gefressen werden. Als das letzte Reptil seinen Platz in der ökologischen Nische findet, schwingt sich der Drache in die Lüfte. Seine Mission ist noch nicht beendet. Es gibt noch viel zu tun. Packen wir es an!

      Es ist wohl nur zu verständlich für das, was sich am nächsten Tag in der Mokiki-Krokodilfarm abspielte. Die Polizei war vor Ort. Nicht nur, weil es einen großangelegten Diebstahl zu melden gab, sondern auch einen mehr als tragischen Todesfall. Nur, dass vom Toten nicht mehr allzu viel übriggeblieben war. Kopfschüttelnd und nahezu in Tränen aufgelöst, jammerte der Besitzer der Farm in sein feuchtes Taschentuch, während der Polizist mit stoischer Miene das Gesagte in sein Protokoll aufnahm.

      »Gar kein Zweifel! Ich hatte schon gleich so ein seltsames Gefühl bei diesem Burschen. Er blinzelte nie und war viel zu sehr vernarrt in die Tiere, als dass es einem normal erscheinen konnte. Haben Sie das?«, fragte Stevens und ballte die Hand zur Faust. Der Polizist nickte, und der Farmer fuhr fort. »Er hat mein Vertrauen aufs Übelste missbraucht! Ich habe heute mal etwas im Internet recherchiert und ein paar Telefonate getätigt. Die Farmen, die er als seine vorherigen Arbeitgeber nannte, sie kennen den Kerl gar nicht! Er hat seine Identität gefälscht. Prüfen Sie nach, ob jemand in der Psychiatrie diesen Typen vermisst!«

      »Es wurde schon alles in die Wege geleitet, Sir«, brummte der Officer und schob sich die Mütze etwas weiter aus dem Gesicht. Obwohl noch recht früh, herrschte schon wieder drückende Hitze.

      Stevens war immer noch aufgebracht. »Dieser Bursche hat mich ruiniert! Weg, alle Tiere sind weg! Selbst die Eier im Brutkasten sind verschwunden! Aber eins sage ich ihnen! Das, was mit ihm passiert ist, das geschieht ihm nur zu recht!« Stevens riss sich den verschwitzten Hut vom Kopf und warf ihn wütend zu Boden.

      »Sir, beruhigen Sie sich. Der Täter kann unmöglich allein für das Ereignis zuständig gewesen sein. Schließlich können die Eier nicht mit Beinen aus der Farm spazieren. Wir sind mit der Spurensicherung beschäftigt, und ich versichere Ihnen, wenn es Mittäter gibt, dann werden wir sie fassen. Sie werden dann zur Rechenschaft gezogen und ihre Existenz wird nicht den Bach runter gehen müssen«, beruhigte ihn der Officer und blickte auf den staubigen Hut.

      Doch wie sich im Laufe der Ermittlungen herausstellte, konnten keinerlei Wagenspuren, oder Fußabdrücke anderer Menschen festgestellt werden. Die Fingerabdrücke stammten nur von Sandy Bay und den Mitarbeitern der Farm. Die einzigen, vorhandenen und verwertbaren Abdrücke, waren die der flüchtigen Krokodile.

      Die Polizei sah es als zu mühsam an, für jedes entlaufene Krokodil eine Fahndung in Gang zu setzen. Zumal die Tiere nicht mit Marken gekennzeichnet waren und somit ihre Identität von einem freilebenden Exemplar nicht zu unterscheiden war.

      Bei der Überprüfung von Sandy Bays Konten wurde lediglich bemerkt, dass er den Betrag seines Lohnschecks bei der Bank in Goldmünzen, Krügerrand, umtauschte und dann an sich nahm. Trotz eines vorliegenden Verbrechens, traten die Ermittler auf der Stelle und der Fall wurde wenig später eingestellt. Die Mokiki-Krokodilfarm musste durch diese Folgen ihren Betrieb einstellen und Konkurs anmelden, was auf Zustimmung bei allen befreiten Krokodilen in Papua-Neuguinea und Umgebung traf. Nur einer glaubte nicht an Sandy Bays Tod. Nicht nachdem Quindo eine Krügerrand-Münze in seinem Briefkasten fand, der ihm gut über die Runden half, bis er einen neuen Job als Ranger in einem Naturschutzgebiet fand.

      *

      Es gibt kein problematisches Kind, es gibt nur problematische Eltern.

      (Alexander S. Neill)

      Nicht gerade darum bemüht leise zu sein, stiefelte ein kleiner, blondgelockter Junge in mein Schlafzimmer, kletterte auf mein Bett und hüpfte darauf herum, was mir nicht nur beinahe eine Hirnerschütterung einbrachte, sondern den Kater Joey auch noch dazu veranlasste, die Krallen auszufahren. Und er lag dabei auf meinem Bauch...

      Überhaupt frage ich mich, wieso er jedes Mal auf meinem Bauch lag, wenn ich erwachte. Egal wo ich ihn zuletzt ließ, beim Erwachen saß er grundsätzlich dort, wo ich ihn nicht haben wollte. Außer ich befand mich gerade im Ausland. Wäre ich nicht so müde und verkatert gewesen, hätte ich mich wahrscheinlich über den Besuch der beiden gefreut. Zumindest über den blonden Derwisch, der mein Bett erbeben ließ.

      »Papa? Warum liegen da überall trockene Blumen in deinem Bett?«

      »Was?«,