Hans-Joachim Koehl

Sehnsucht nach Zärtlichkeit


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Lendenschurz hatten die meisten nichts am Körper. Auf den ersten Blick wollte mir keine recht gefallen. Alle waren zum Arbeiten viel zu dünn und schwach. Für sonstige Spielereien zog ich Fleisch den Knochen vor. So ließ ich meinen Söhnen den Vortritt. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich jeder zwei ausgesucht hatte.

      Was für mich übrig blieb, war eine sehr junge Frau, fast noch ein Kind, die vermutlich noch bei keinem Mann gelegen hatte und eine schöne, reife, ältere. An ihnen war nichts Besonderes was andere Weiber nicht hatten. Inzwischen waren sie gewaschen und die beiden mit einfachen Umhängen aus ganz feinem Rehleder ausgestattet, die an der Taille mit einer Holzschnalle gehalten wurden.

      Die ältere war grazil und etwas größer, wobei mir die junge etwas klein und untersetzt erschien. Ihre festen Brüste zeichneten sich unter dem dünnen Leder deutlich ab. Ihr Blick war gesenkt, doch sie machte nicht den Eindruck von Furcht. Ich spürte Neugierde und eine erotische Ausstrahlung ging von ihr aus. Die würde auf dem Lager erst Ruhe geben, wenn sie, schreiend vor Lust wie eine Katze, den Samen empfangen hatte. Neugierig schaute hingegen die ältere der beiden mich an. Die hochgesteckte, mit einem Holzkamm gehaltene Frisur, hatte ich bisher noch bei keiner Frau gesehen. Sie gab den Blick auf einen Giraffenhals frei. Ob sie sich winden würde, wenn ich diesen mit Küssen bedeckte? Von ihrer elastischen Figur war nicht mehr viel zu erkennen.

      In ihren großen schwarzen Augen konnte ich einen gewissen Spott erkennen, der mich wachsam werden ließ. Auch ihr Gang hatte etwas Wiegendes, Graziles. Ein gedrehtes Lederband war lose um das Gewand geschlungen. Diese Frau hatte etwas eigenartig Raubtierhaftes an sich.

      Was sollte ich machen? Es waren Männergedanken nach

      Zärtlichkeit und Begierde, die in mir hochstiegen.

      Doch nicht nur ich hatte anscheinend diese Gedanken, denn die Gespräche waren verstummt und die Männer sahen diese ältere Frau an.

      So etwas hatte uns noch gefehlt; die würde allen Männern nur noch den Kopf verdrehen und unser Friede wäre dahin.

      Ganz leise erklang eine sanfte Melodie. Ich hörte sie nicht über die Ohren, sie war einfach in meinem Kopf. Es war nicht zu erkennen woher sie kam und doch wusste ich, dass die Melodie von dieser Frau ausging.

      Haleb wendete den Blick von den Frauen ab und sah zu mir. Aha, auch er hörte die Melodie!

      In diesem Moment schaute ich dieser Frau direkt in die Augen. Sie erwiderte meinen Blick und verstand, dass ich sie hören konnte, ohne dass ein Ton gesprochen wurde. Ihre Augen weideten sich etwas, ihr Mund lächelte und die Melodie wurde lauter und sinnlicher. Sie drehte mir eine Seite ihrer Hüfte zu und machte einen Schritt nach vorne als wolle sie tanzen. Dann senkte sich ihr Blick.

      Ich wusste Bescheid: Sie war eine Magierin, hatte Verbindungen zu uns Lichtgestalten und war wahrscheinlich eine ihrer auserwählten Töchter.

      Die Erkenntnis des Sehens war ihr eigen und sie war gezeugt von Kain, dem Brudermörder. Durch ihren meditativen Gesang hatte sie sich verraten. Wie sollte sie wissen, dass Haleb und ich sehr gut verstanden? Erst bekam ich einen Schreck, doch dann überwog die Freude. Schon sehr lange hatte ich von den anderen nichts mehr gehört.

      Kains Töchter waren wunderschöne Weiber. Sie waren alle äußerst begehrenswert und liefen ohne Scheu den Männern nach. Jeder Mann wollte sie besitzen; doch sie gehörten nur sich selbst. Wenn ein Stärkerer auftauchte, gingen sie mit ihm. Zur täglichen Arbeit waren sie nicht zu verwenden, aber tanzen konnten sie. Kains Töchter hatten von Jubal, dem Sohn Lamechs gelernt die Flöte, Trommel und Zimbel zu spielen. Sie verbreiteten an den Feuern Spiel und Tanz, Gelächter und Wollust. Sie hatten nicht nur die Männer verführt, ihre innere Freude und Begierde begeisterte auch uns Wächter. Wir materialisierten uns und nahmen jede, die gefiel, freuten uns mit ihnen an dem erotischen Spiel. Es war das heiße, temperamentvolle Blut ihres Vaters. Ihr Schoß konnte nie genug bekommen. Ihre wollüstigen Schreie erfüllten das ganze Lager, steckten alle Männer und Frauen an.

      Die in Kains Töchter eingegangenen Geistwesen lehrten sie die Kräfte, die in den verschiedenen Pflanzen sind. Sie lernten Heilen und Gift mischen. Durch die Kunst gegorene Säfte als Rauschmittel herzustellen, waren sie in der Lage, alle in ihrer Rotte in einen Rauschzustand zu versetzen. Feierten sie Feste, dann war kein Jüngling, kein Mann und kein Weib mehr ohne Begierde.

      Je älter Kains Töchter wurden, desto mehr gelüstete es sie und ein Mann war ihnen nicht mehr genug, so trieben sie es mit mehreren gleichzeitig, ganz ohne Scham, und verführten die anderen, es ihnen gleichzutun.

      In solchen Lagern kannten die Väter ihre Söhne nicht und die Söhne wussten nichts von ihren Vätern. Es wurden wilde Menschen: Liebe, Güte und Erbarmen waren unbekannt. Sie lebten von Raubzügen, der Jagd und ihrer Wollust. So vermehrten sie sich schnell. Es wurden viele und nur die Jagd allein konnte nicht mehr alle ernähren so kehrte auch der Hunger ein.Daher hatten nur die kräftigsten Säuglinge eine Chance zu überleben.

      Für eine erfolgreiche Jagd riefen die Jäger ihre Schutzgeister an, meist waren sie in Form von geschnitzten Holzfiguren gehalten. Die Stärke und Gerissenheit der Tiere bei der Jagd wurde bewundert und verehrt. So hatte jede Sippe ihren eigenen zugehörigen Schutzgeist in Tierform. Aber auch außergewöhnliche Bäume oder Felsen wurden von uns als Wohnstätte benutzt. Die Menschen spürten die besondere Umgebungsaura, brachten Gaben dar und beteten an; wir genossen diese Verehrung.

      In einer tiefen, sich weit öffnenden Schlucht am Fuße des Berges Nisir sprudelt eine starke Quelle direkt aus dem Fels. Diese Quelle gilt als Heilquelle, die Leben spendendes Wasser hervorbringt. Immer wieder kamen Menschen und beteten die Quelle an. Wer sich an sieben Tagen den ganzen Körper wusch, wurde von Hautkrankheiten und Wunden geheilt. Das war kein großes Wunder, was die unseren da vollbrachten, gemessen daran, dass die Menschen sich selten wuschen. So nutzten wir den Ort, um uns anbeten zu lassen. Ihre Holzfiguren-Götter ließen die Geheilten als Dank zurück und einige von uns fuhren in diese Bilder hinein; wohnten in ihnen. Viele von uns wurden somit in diesen Figuren angebetet.

      Wegen seiner Stärke und Mutes war das Bild eines Stieres das beliebteste; er nahm es sogar mit einem Löwen auf; diese Figur nannten sie Baal.

      Zu Neumond wurden an der Quelle Befruchtungsorgien abgehalten und in ihrer Ektase verbrannten sie einen frisch geborenen Sohn als Opfer für ihren Gott Baal. Immer waren Kains Töchter dabei und heizten die Stimmung mit ihrem Flötenspiel, Trommeln, Gesang und wilden Tänzen an.

      Solch ein Weib hatte in einem Sippenlager großes Ansehen. Sie riß die Menschen in Tanz und Spiel mit sich. So erhielt sie Macht über die anderen Frauen und verstand es, die stärksten Männer zu umgarnen und für sich einzunehmen.

      Die Zeit hatte mich eingeholt. Ich befürchtete schon seit Langem, dass ich irgendwann so eine Wilde in meiner Stadt haben würde, und ausgerechnet mein Sohn schleppte sie mir nun an.

      In Gedanken versunken war ich ganz abwesend: Wir sind Gefangene der Erde. Hier vergeht die Zeit so unbegreiflich langsam und kommt doch so schnell zum Ende. Was jetzt zu mir hochgekrochen kam, war wieder die Angst … sie kam wie ein kalter Schauer vor dem Unvermeidlichen. Wo ist die Öffnung, wo der Schlüssel, um zu entkommen? Was wir auch immer versuchen, um wie früher zur gleichen Zeit an mehreren Orten zu sein, es ist nicht möglich! So sind wir doch immer Gefangene des Moments.

      Ich stand auf ging in das große Zelt, das ich extra zum Fest hatte aufbauen lassen und zog mich zurück. Keiner sollte meine Schwäche sehen. Schon einmal war ich in Tränen ausgebrochen. Ich wollte mich beherrschen und die Traurigkeit nicht zulassen, doch sie kam wie ein Gewitter über meinen Körper und die Tränen liefen unaufhörlich. Ich versuchte die Flut zu stoppen, doch ich verging in Selbstmitleid. Aber je mehr ich weinte, desto erleichtert fühlte ich mich.

      Nach einiger Zeit flossen die Tränen nur noch, um mich befreiter zu fühlen. Als dieses Gefühl kam, hörten die Tränen auf. Ich fühlte mich besser. Jederzeit würde ich wieder weinen, wenn nicht vorher diese Trostlosigkeit wäre.

      Ach, wären doch Tränen und Weinen aus Traurigkeit zweierlei! Dennoch hatte sich nichts verändert. Ich wurde sogar fröhlich, denn ich lernte den Menschen