das Spiel, natürlich werden die beiden gleich heimfahren oder besser gesagt einen trinken gehen, so wie sie das täglich machen. Nach Dienstschluss einen Absacker zu sich nehmen, den Tag ausklingen lassen. Keiner aus dem Team würde das kritisieren, schließlich schieben ja alle einen großen Berg an Überstunden vor sich her.
Walter Broder geht noch kurz bei seinem Vorgesetzten dem Polizeipräsidenten vorbei um sich zu verabschieden, das wird von ihm erwartet, da er ja für drei Wochen in Urlaub geht. verabschiedet. Der Vorgesetzte hofft immer noch darauf, dass er sich entscheidet vorzeitig seine Pensionierung einzureichen. Jeder im Haus weiß, dass Hauptkommissar Walter Broder seit dem Verlust seines rechten Auges, gesundheitlich angeschlagen ist. Es war ein Feuergefecht, als ein winziger Splitter direkt in sein Auge flog.
Walter Broders Problem liegt darin, dass er in seiner Freizeit nichts mit sich anzufangen weiß. Am liebsten würde er gleich im Amtszimmer übernachten. Um sich dies zu ermöglichen, hat er in seinem Schreibtisch bereits eine Decke deponiert. Des Weiteren liegt dort noch das Reserve Rasierzeug, ein Kamm und immer ein frisches Handtuch. Walter Broder ist ein Arbeitstier, der Dienst bei der Mordkommission sein einziger Lebensinhalt. Der einzige Grund mal früher zu gehen ist, wenn er seinen besten Freund den Gerd Wildfang aus München trifft oder wenn ein Saunatermin mit Kollegen angesagt ist. Ein ehemaliger Kollege, der seinen Dienst vorzeitig quittierte, eröffnete mit seiner Frau vor vier Jahren eine kleine Pension nahe dem Salzburger Schloss. Das besondere an der Pension aber ist eine Sauna, die extra aus Finnland angekarrt wurde. Als sie dann endlich von einem fachmännischen Team montiert war, gab es eine Einweihungsfeier, die sich sehen lassen konnte. Vierzig Personen meldeten sich zum ersten Saunagang an. Bis dann jeder die Sauna genießen durfte, war es kurz vor fünf Uhr in der Früh. Aber dann war jeder mindestens einmal der Hitze ausgesetzt. Das abkühlende Bad im nahe gelegenen Schwimmbad war dann reine Formsache. Der kredenzte Enzian dagegen war ein Muss!
Walter Broder und Gerd Wildfang haben sich vor über zwanzig Jahren auf einem Kurs für Sicherheitstechnik in München kennen gelernt. Gerd Wildfang ist ein Polizeibeamter im Höheren Dienst. Er ist aber auch das exakte Gegenteil von Walter Broder. Gerd Wildfang legt großen Wert auf korrektes Aussehen. Sein Oberlippenbart ist immer gepflegt. Es gibt ein Gerücht, das besagt, dass Gerd Wildfang alle zwei Wochen einen Schönheitssalon aufsucht. Aber einen Beleg gibt es dafür natürlich nicht. Vielleicht ist es ja nur ein böses Gerücht. Aber eines steht fest, die Hemden von Gerd Wildfang sind immer frisch und fachmännisch gebügelt.
Zu keinem Zeitpunkt würde Oberkommissar Wildfang mit ungeputzten Schuhen in den Dienst kommen. Seine Jacketts sind von einem prominenten Schneider aus München, von Hand gefertigt. Der dazugehörige Schlapphut, ein echter Borsalino, stammt selbstverständlich aus Florenz. Ein sehr edles Stück um den ihn seine Kollegen alle beneiden. Broder meinte mal, „Kein Wildfang ohne seinen Borsalino.“ Sein Spitzname unter den Kollegen ist „Der Monaco“.
Walter Broder ist da eher das Gegenteil. Da kommt es schon mal vor, dass die Tasche an seiner Jacke, die er seit einigen Jahren fast täglich trägt, eingerissen ist. „Seine Jacke ist sein Firmenzeichen“, soll er mal gesagt haben. Es ist ein Sakko von der Stange, grün/braun gemustert. Als es noch neu war, hatte es einen grünen Schimmer von Eleganz. Aber das ist bereits etliche Jahre her. Walter Broder hatte vor etlichen Jahren in München zu tun, es ging um einen komplizierten Mordfall, der Grenzüberschreitend geklärt werden musste. So konnten sie ihr Wissen unter Beweis stellen.
Gerd Wildfang hat seinen Dienst bei der Einbruch- und Diebstahlsabteilung begonnen, aber nun ist er seit einigen Jahren bei der Sondereinheit Mord und Todschlag. Es gibt ein Abkommen zwischen den Dienststellen München und Salzburg, das die grenzüberschreitende Arbeit regelt. So bleibt es nicht aus, dass fast alle zwei Wochen ein dienstliches Treffen erforderlich ist. Wildfang meinte mal: „Diese Treffen sind die Highlights in unserem Leben.“
Walter Broder ist schon am Hauptportal des Präsidiums, da fällt ihm ein, dass er ja noch einen Koffer und einen kleinen Rucksack benötigt, schon wegen des Bergsteigens. Das mit dem Koffer schiebt er schon seit einiger Zeit vor sich her. Auch bei seiner letzten Reise bemerkte er, dass sein alter Koffer ziemlich ramponiert ist. Die Ecken schließen nicht mehr wirklich. Ein plötzlich einsetzender Regen würde eindringen, deshalb also der Entschluss einen Neuen anzuschaffen. Broder redet gern mit sich selbst, was seine Kollegen mit einem Lächeln abtun. So führt er gerade eine Diskussion, bei welchem Fachgeschäft er den neuen Koffer erwerben sollte. Da gäbe es zum einen den Kofferladen in der Vorstadt, hier kennt er die junge Verkäuferin. Zum anderen gibt es ein Kaufhaus im Zentrum, hier hätte er sicher eine größere Auswahl. Dann ist sein Entschluss gefallen, Susi hat er schon lange nicht mehr gesehen und so frischt er die Bekanntschaft wieder auf, so sein Gedanke.
Walter Broder geht mit samt seinem neuen Koffer auf seine Wohnungstüre zu und findet auf der Fußmatte einen Brief. „Aha, sicher eine Mieterhöhung“, brummelt er vor sich hin. Vor einer guten Woche traf er seinen Vermieter und der rief ihm zu: „In kürze kommt ein Schreiben mit einer Mieterhöhung. Aber für sie wird es erträglich sein!“
„Mal sehen, was er mit erträglich meint“, Walter Broder führt ein Selbstgespräch. Dann geht die Türe auf, die der seinen gegenüberliegt. „Ach sieh mal einer an, der Herr Broder geht wohl in Urlaub und dazu hat er sich einen neuen Koffer gekauft.“
Sein Gegenüber, das ist die „Dicke Berta“, wie er sie scherzhaft nennt. Berta hört das zwar nicht so gerne, aber Walter Broder darf das sagen. Schließlich kennen sie sich ja schon seit fast dreißig Jahren. Damals lebte Broders Frau noch. Es war eine gute Freundin von der dicken Berta. Sie gingen beide zusammen in die gleiche Klasse des Salzburger Gymnasiums und anschließend traten sie ihre Lehrstelle bei der Stadtverwaltung an. Hier lernte Broder dann seine „Kleine“, wie er sie immer nannte, kennen. Broders Frau war gerademal einsachtundfünfzig. Broder scherzte gerne, in dem er spöttelte, „Sie ist ideal für einen Kleinwagen!“ Die Dicke Berta meint, „Hast du etwa auch eine Mieterhöhung bekommen?“ „Sieht so aus, aber ich hab es noch nicht gelesen. Fällt sie denn mächtig aus?“
Berta meint, „Zwanzig Euro will er haben, als ob ihn das reich machen würde. Ach, dein Abendessen ist schon auf dem Tisch, also lass mich nicht so lange warten.“ Walter Broder schnappt sich noch ein Bier aus seinem Kühlschrank und eine Flasche Wein aus der Wachau, dann geht er nur über den schmalen Gang, die Eingangstüre steht bereits für ihn offen.
Es ist zu einem Ritual geworden, dass seine Nachbarin für ihn sorgt. Natürlich hat sie immer gehofft, dass er sie vielleicht mal heiraten würde, aber Walter Broder hat sich dazu zu keiner Zeit positiv geäußert. „Ach lass mal, in unserem Alter sollte man keine unnötigen Gefahren eingehen“, sagte er noch vor einer guten Woche zu Berta, als diese ihn auf eine eventuelle Heirat ansprach. Sie meinte im Scherz, „Es ist ja nur wegen der Rente!“ Nach dem Abendessen sitzen sie meist noch vor dem Fernseher, aber diesmal verabschiedet sich Walter Broder mit den Worten: „Du weißt ja, ab morgen beginnt der Urlaub am Chiemsee, ich muss noch Packen.“
„Du wirst doch nichts dagegen haben, wenn ich dich mal besuchen komme?“, fragt Berta mit listigem Blick. „Natürlich nicht, komm immer wann du Zeit hast, aber nimm bitte ein Zelt mit, da die Pension ausgebucht ist.“ „Du bist ein richtiges Ekel! Ich werde mir überlegen, ob ich weiter für dein Wohl sorgen werde“, frotzelt Berta. Natürlich hat sie keine andere Antwort erwartet. Schließlich lässt sie sich gerne von Walter aufziehen und gefallen lässt sie sich sowieso nichts. Walter kennt ihre kurzen, geschliffenen Antworten, die meist eine Drohung beinhalten.
In München sitzt Gerd Wildfang vor seinem abgegessenen Tisch und seine Lebensgefährtin Gerti meint, „Es wird Zeit, dass du mit dem packen anfängst.“
„Kommst du denn nicht mit“, fragt Wildfang erstaunt. „Ich komme nach, ich will noch meinen Bruder in Aschaffenburg besuchen.“ „Seit wann weißt du das denn? Gestern sprachst du noch davon, dass du gleich mitkommst. Aber mach es wie du willst.“ Verärgert und eingeschnappt geht Gerd Wildfang in sein Arbeitszimmer und blättert in der Post. Er macht das eigentlich nur, um sich abzulenken. Seit einigen Tagen spürt er, dass sein „Schätzchen“, irgendetwas auf dem Herzen hat. Vielleicht hat sie ja genug von ihm. Verstehen könnte er es ja. Sein Dienstplan in den letzten Wochen war eine einzige Katastrophe.