Katie Volckx

Erkläre mir das Leben


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zu viel im Kühlschrank. Sie war ja der Meinung, ich hätte besser daran getan, mich zu schonen und mich von ihr verwöhnen zu lassen. Schlussendlich war es ja nur für eine Nacht. Und ich fühlte mich topfit. Also hatte ich sie darum gebeten, eine fertige Roulade für mich im Kühlschrank aufzubewahren, bis ich wieder heim kam. Sie befand die Idee für gut, wenn auch nur schweren Herzens.

      Seit die erhebliche Distanz von mehr als hundert Kilometern Mama und Papa trennte, klammerte Mama sich an mich und meine Gesellschaft. Das Irritierende daran war ja, dass sie ihre Zeit für sich in aller Regel genoss und für irgendwelche geheimnisvollen Aktivitäten nutzte. Erst seit Neustem schien sie allein nicht klarzukommen. Genau genommen seit Schulbeginn.

      Tante Effi und ich behandelten zurzeit genau dieses Thema, während sie auf der Couch an einem rosarot gemuschelten Pulli strickte und ich einen Döner meines Lieblingsimbisses verdrückte.

      »Überrascht dich das wirklich so dolle?«, fragte Tante Effi ganz von den Socken. »Zeit ihres Lebens war immer jemand um sie herum. Da machte ihre freie Zeit auch noch Sinn. Doch jetzt hat sie zu viel davon. Dein Vater ist kaum noch zu Hause und du brichst immer mehr aus und gehst deine eigenen Wege.«

      »Und nun fühlt sie sich unbrauchbar?«, überlegte ich.

      »Klar. Und genau deshalb habe ich ihr immer und immer wieder gepredigt, sie solle sich einen Job suchen, solle dringend etwas für sich tun. Sie ist viel zu abhängig.«

      »Meinst du, ich sollte sie mal darauf ansprechen?«

      »Versuch dein Glück.« Tante Effi hob kurz den Blick, um zu überprüfen, wie weit ich mit meinem Döner war. »Ich hätte auch gern einen gehabt.«

      Ich hörte kurz auf zu kauen. »Allen Ernstes?« Denn es wäre mir neu, dass sie Imbissfraß gern hatte.

      »Ohne Quatsch«, schwor sie feierlich.

      »Aber ...«

      Sie unterbrach mich schon im Ansatz meines Satzes: »Ja, ja, wohl wahr, ich war immer ein Gegner von so was, bin eher für Kartoffeln mit Mischgemüse und einen saftigen Braten und zeige mich wenig aufgeschlossen für alles Moderne.« Sie zog sich selbst ins Lächerliche, indem sie laut gackerte. »Aber neulich hatte ich die Gelegenheit, in den Döner einer Freundin zu beißen, und der war saulecker.«

      Nun lachte auch ich. Ich konnte mir Tante Effi auf keinen Fall mit einem Döner vorstellen. Sie war einundsechzig, sehr großmütterlich mit ihrem weißen, schütteren Haar und einer altmodischen, bunt gemusterten Kittelschürze. Auch ihr sehr faltiges Gesicht und ihre knochigen Finger an stark pigmentierten Händen ließen sie viel älter wirken als sie war.

      »Bevor ich mich mit den Jungs treffe, besorge ich dir eben auch einen Döner, einverstanden?«

      Tante Effi lächelte zufrieden und widmete sich wieder ihrer Strickerei. »Vor einigen Tagen bin ich Luisa im Supermarkt begegnet.«

      »Und?«, reagierte ich ungerührt und verputzte den letzten Bissen meines Döners.

      »Sie hat nach dir gefragt und war ganz verwundert, dass du weggezogen bist.«

      »Aha.«

      Tante Effi sah wieder auf und musterte mich fragend über ihre Brille. »Sag mal, langweile ich dich irgendwie?«

      »Keineswegs.«

      »Aber?«

      Mein Blick ruhte auf ihren Händen. »Worauf willst du hinaus? Luisa und ich sind seit einer halben Ewigkeit kein Paar mehr. Gewöhn dich allmählich daran.«

      »Ach herrje, wo denkst du hin?« Tante Effi war sichtlich entsetzt. »Ich wollte darauf hinaus, dass sie eine dicke Kugel vor sich herträgt. Der Entbindungstermin ist in zwei Wochen.«

      Das war allerdings ein starkes Stück. War sie denn nicht fest entschlossen gewesen, Jura zu studieren? Mit einem Kind würde sich das sicher ziemlich schwierig gestalten. »Wer ist der Vater?« Keine Ahnung, warum ich das wissen wollte. Spielte das eine Rolle? Ich war doch sowieso nicht mehr auf dem Laufenden. Schon über ein Jahr war es her, als ich sie das letztes Mal gesehen und mit ihr gesprochen hatte. Und das Aufeinandertreffen war nicht gerade das, was man ideal nannte.

      »Ihr letzter Freund. Kevin.«

      »Auch der ist schon Schnee von gestern? Alle Achtung!« Ihr Männerverschleiß seit unserer Trennung vor zweieinhalb Jahren war kaum noch zu toppen. »Und hat sie schon einen Ersatzdaddy gefunden?«

      Tante Effi verging das Lächeln. »Cedric, nimm dich zusammen!«

      »Entschuldige.«

      »Sie ist allein. Vielleicht solltest du sie mal anrufen. Ich glaube, sie kann jemanden wie dich gut gebrauchen.«

      Ich musste mich wohl verhört haben. »Bitte?«

      »Ich musste feststellen, dass sie in etwas … nun ja, gesellschaftsschädliche Verhältnisse geraten ist, lebt noch dazu von Stütze. Stell dir das mal vor, mit achtzehn schon. Und nun habe ich mir gedacht, wenn sie dich sieht ... wenn sie sieht, was aus dir geworden ist, meine ich, könnte es sie anspornen und wieder auf ihren rechten Weg bringen.«

      Falsch gedacht! Luisa war Geschichte. Und das sollte auch so bleiben. Sie hatte mich nicht mehr gewollt, weil sich ihre Ansprüche an Jungen geändert hatten. Und als sie mich nicht nur als Junge, sondern auch als Mensch abgelehnt hatte, hatte sie damit auch eine Freundschaft verspielt.

      »Bei Gelegenheit«, log ich aus Anstand zu Tante Effi. Ich wollte sie nichts darüber wissen lassen, was ich wirklich für Luisa empfand, wie strapaziös der Kampf mit dem Verlust ihrer Liebe gewesen war und wie mörderisch groß auch jetzt noch meine Enttäuschung darüber war. Tante Effi war zu alt für Feindseligkeit, war geradezu angeekelt von jeder Art von Negativgefühlen. In ihr herrschte hauptsächlich traute Harmonie und purer Frieden. Sie würde meine Haltung also nie und nimmer verstehen.

      7

      Auch Basti war ein Freund aus Kindertagen. Laut der Aussage unserer Mütter waren wir ein Herz und eine Seele, schlicht wie siamesische Zwillinge. Wir waren nicht auseinanderzudenken.

      Als er mich aus der Entfernung wahrnahm, rief er zur Begrüßung meinen Namen und: »Willkommen zurück in der Zivilisation.«

      »Ich genieße es, solange ich kann«, erwiderte ich lachend. Dann fielen wir uns in die Arme und klopften einander hart auf den Rücken. Je härter, desto schmerzhafter, aber je mehr es schmerzte, desto größer war die Freude des Wiedersehens. »Wo hast du die anderen gelassen?« Die anderen waren Aaron, Constantin, Samu und Tim. Sie machten unsere Clique komplett. Zusammen waren wir ein lustiger Haufen, der sich dem Spaß des Lebens widmete und sich von jeder Art von Bockmist distanzierte. Wir waren bestimmt keine Musterknaben und gingen nicht an jedem Sonntag zum Beten in die Kirche, aber wir waren auch keine brutale Gang aus gemeingefährlichen Gesetzesbrechern, die mit Gangstaaa-Rap-Arien, diversen Kampfgeräten und vernichtenden Blicken die uns entgegenkommenden Passanten zu einem Gehwegwechsel zwangen. Wir waren bloß die lieben, blassen Jungs von nebenan – der Traum aller Schwiegermütter, dessen schwerste Vergehen daraus bestanden, dass sie in Lachen ausbrachen, wenn jemand ulkig zu Fall kam oder sich vor dem ersten Mal ihr sexuelles Wissen durch Pornos angeeignet hatten oder mit vierzehn um Monde zu spät von einer Party nach Hause gekommen waren.

      »Die anderen warten in Quickborn auf uns.«

      »In Quickborn? Was läuft da?«

      »Ich habe dir doch vorhin am Telefon gesagt, du sollst dich überraschen lassen. Also warte es ab und steig ein.« Mit dem Kinn deutete Basti auf einen kleinen, weißen, dreitürigen Peugeot, der am Straßenrand parkte. Ehe ich mir wie ein Esel vorkommen konnte, lief er um den Wagen herum, öffnete die Fahrertür und setzte sich hinein.

      Es handelte sich also um keinen Witz!

      Erst dann wagte ich, mich auf der Beifahrerseite niederzulassen und fragte: »Seit wann hast du einen Führerschein? Ich meine, du hast doch einen, oder?«

      »Klar doch«, lachte er, startete den Motor und verließ die Parklücke