Louis Weinert-Wilton

Der Skorpion


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behielt man jedoch auch dieses und die Hehlerwelt schärfstens im Auge, während man in aller Stille nach einer etwas konkreteren Spur forschte.

      Es war dies eine sehr mühevolle und heikle Arbeit, die für die Ungeduld der erregten Öffentlichkeit viel zuviel Zeit in Anspruch nahm.

      Ein unangenehmer neuer Chefkonstabler

      Knapp vor diesen bewegten Tagen hatte sich auf dem wichtigsten Posten des Yard ein Wechsel vollzogen. Der bisherige Leiter des Criminal Investigation Department hatte sich mit einem schweren Gallenleiden und einem hohen Orden in sein stilles Landhaus in Essex zurückgezogen, und an seine Stelle war Oberst Merewether, ein Außenseiter, berufen worden. Der neue Chefkonstabler kam aus dem Kolonialdienst, und man wußte in London von ihm nur, daß er während der letzten zwei Jahrzehnte in verschiedenen gefährlichen Winkeln des Empires mit eiserner Faust aufgeräumt hatte.

      Und schon in den ersten Wochen seiner Amtsführung ergab sich, daß der gedrungene Mann mit dem eisgrauen Kopf und dem verwitterten und verkniffenen knochigen Gesicht auch kein sonderlich angenehmer Vorgesetzter war; nicht wegen seiner kurz angebundenen soldatischen Art, der man ja in diesem Dienste öfter begegnete, sondern wegen einer andern Eigenheit: Oberst Merewether hatte ein Schweigen, das die rapportierenden Beamten Blut schwitzen ließ, und ein Lächeln, dessen derjenige, dem es galt, nicht froh werden konnte.

      Dieses Schweigen und dieses Lächeln lernten in Kürze alle seine Leute kennen, und nur einer der jüngsten, der Assistent Guy Denby, zeigte sich davon nicht im mindesten beeindruckt. Aber dieser sehr vorteilhaft aussehende Gentleman mit dem schrecklich gelangweilten Gesicht und der ebenso gelangweilten Sprechweise fiel überhaupt in allem aus dem Rahmen des ernsten Backsteinbaues auf dem Victoria Embankment. Er war immer mit einem dandyhaften Einschlag gekleidet, hatte das selbstbewußte Wesen eines großen Herrn, und aus seinem Privatleben wurden Dinge getuschelt, die zu einem Manne vom Yard nicht recht passen wollten. Er entstammte jedoch einer sehr angesehenen Familie und hatte einflußreiche Beziehungen, die es einigermaßen verwunderlich scheinen ließen, daß er gerade auf den Polizeidienst verfallen war. Aber hierfür hatte Denby einem besonders Interessierten einmal eine sehr offenherzige Erklärung gegeben: »Eh, mein Lieber«, hatte er mit einem Achselzucken geäußert: »wenn ich das verwünschte nötige Kleingeld hätte, wäre ich natürlich lieber Botschafter Seiner Großbritannischen Majestät an irgendeinem Hofe geworden, aber Chef Commissioner of the Metropolitan Police ist schließlich auch ein ganz hübscher Titel und ein recht angenehmer Posten.«

      Nach dem fünften der rätselhaften Schmuckdiebstähle beorderte Oberst Merewether wieder einmal Inspektor Sharp zu sich, der die Nachforschungen leitete. Sharp galt als einer der tüchtigsten Leute des Yard, war jedoch wegen seiner Verschlossenheit und seines neidischen Wesens wenig beliebt.

      »Nun???« fragte der Chefkonstabler, und das Schweigen, das diesem einen Worte folgte, wirkte wie eine Saugpumpe.

      Aber der Inspektor, ein Mann in den Vierzigern, gelb, dürr und düster wie ein Fakir, konnte nur krampfhaft mit den Achseln zucken. »Es hat sich auch diesmal kein neuer Anhaltspunkt ergeben, Sir«, brachte er endlich hohl hervor. »Und die Gäste sind alle völlig einwandfrei …«

      Das Lächeln brachte ihn zum Verstummen, aber der Oberst hatte schon wieder eine andere Frage.

      »Wie ist das mit dem Manne in Soho?«

      Inspektor Sharp atmete auf, denn diesmal konnte er eine weniger knappe Auskunft geben. »Natürlich haben wir diesen Roger Meraine ebenfalls unter Überwachung gestellt«, erklärte er eifrig. »Es ist immerhin möglich, daß er bei der Sache die Hände mit im Spiele hat. Er steckt ja mit dem vielen ausländischen Gesindel, das sich in Soho verkrochen hat, unter einer Decke und hat auch zu unseren übelsten Leuten in Whitechapel und Deptford Beziehungen. Und wenn Hogde und seine Kreise mit der Juwelengeschichte auch direkt nichts zu tun haben mögen, so ist ihnen wahrscheinlich wenigstens einiges darüber bekannt. Es dürfte in London in den letzten fünf Jahren überhaupt kaum ein größeres Verbrechen verübt worden sein, von dem dieser Mann nicht mehr oder weniger gewußt hätte. – Aber man kann leider nie an ihn heran …«

      »Man kann nicht an ihn heran – so …« wiederholte Oberst Merewether und lächelte wiederum in seiner wenig angenehmen Art. »Womit haben Sie sich übrigens zuletzt beschäftigt, bevor der nette Rummel zur Feier meines Amtsantritts losgegangen ist?«

      »Mit den laufenden Fällen, Sir«, stotterte Sharp und schwitzte vor Unbehagen. »Es war aber nichts Besonderes los. – Das heißt, ich habe mich auch für die Kapstädter Sache interessiert. Es werden dort seit längerer Zeit rohe Diamanten gestohlen und außer Land geschmuggelt, und die Kapstädter Polizei vermutet, daß die Steine über London oder Paris nach Antwerpen gehen …«

      Diesmal lächelte der Chefkonstabler geradezu beängstigend. »Nun, und sind Sie auf etwas gekommen?«

      »Bis jetzt nicht, Sir …«

      »Schade. Eben heute ist wieder ein Kabel eingelangt, daß die Prämie auf zehntausend Pfund erhöht wird. – So etwas ist bei unseren Juwelendiebstählen allerdings nicht zu holen – höchstens eine vorzeitige Pensionierung …«

      Zu dieser fatalen Bemerkung machte der liebenswürdige Oberst Merewether eine gnädig entlassende Handbewegung, und Inspektor Sharp stolperte auf etwas unsicheren Beinen zur Tür. An der Schwelle wurde er aber noch einmal zurückgehalten.

      »Wie ich aus den Akten ersehen habe, haben wir noch einen andern offenen Fall«, sagte der Chefkonstabler. »Die Geschichte mit dem Bankier Hayward …«

      Der Inspektor mußte nach dem Schreck, den ihm die Andeutung von vorhin eingejagt hatte, seine Stimme erst wieder in die Gewalt bekommen. »Diese Sache ist wohl als erledigt zu betrachten, Sir«, erklärte er noch um einen Ton hohler als sonst. »Es sind seither bereits vier Monate verstrichen, und der Mann ist offenbar schon irgendwo drüben in Sicherheit. Wahrscheinlich in Bolivien, das nicht ausliefert. Er hatte ja sehr umsichtige Vorbereitungen für seine Flucht getroffen. Schon daß er die sechzigtausend Pfund an einem Samstag behob, hat ihm einen Vorsprung von achtundvierzig Stunden verschafft. – Und er hat vermutlich auch seine Tochter mitgenommen, denn das Mädchen ist fast zur selben Zeit aus einem Schweizer Pensionat spurlos verschwunden. Wenigstens spricht für diese Annahme die Abschrift einer Depesche, die sich in der Akte befindet.«

      »So«, sagte Oberst Merewether und lächelte zum größten Unbehagen des Inspektors noch einmal, »das ist was anderes …«

      Mrs. Toomer erhält einen neuen Mieter

      Mrs. Christina Toomer bewohnte ein kleines Haus bei Leadenhall Market in der City und vermietete je zwei freundliche Stuben im Erdgeschoß und im Oberstock an Leute, die dieser Ehre und dieses Vertrauens würdig waren. Bei Mrs. Toomer wohnen zu dürfen, bedeutete auch wirklich eine Auszeichnung, denn die stattliche Frau war die Witwe eines Sergeanten der erlesenen Whitehall Division des uniformierten Polizeikorps und genoß als solche weit über den Bezirk hinaus großes Ansehen. Dazu trugen allerdings auch ihre persönlichen Eigenschaften bei, denn Mrs. Toomer hätte nicht bloß durch ihre gebieterische Erscheinung, sondern auch durch ihre Tatkraft und ihre strengen Ansichten über Recht und Ordnung selbst einen vorbildlichen Sergeanten abgegeben.

      In der letzten Zeit hatte sich in ihrem Hause ein gründlicher Parteienwechsel vollzogen, denn zunächst hatte Mrs. Toomer die Mieterin von oben unter dem Vorwande, daß sie längeren Besuch von Verwandten bekäme, von heute auf morgen vor die Türe gesetzt, und gleich darauf hatte die säuerliche Lehrerin vom Erdgeschoß eine Anstellung in einem anderen Bezirk erhalten. In den Oberstock waren dann tatsächlich zwei junge Mädchen eingezogen, die eben in Finch Lane eine Schreibstube eröffnet hatten. Sie waren beide auffallend hübsch, aber sonst der denkbar größte Gegensatz: Alice Parker schlank und graziös, tiefbrünett, mit sehr feinen, regelmäßigen Zügen und schwermütig blickenden dunklen Augen – Bessie Clayton, eine heranreifende Walküre mit der Frische und Sonne der elterlichen Farm im reizvollen Gesicht und in dem goldig schimmernden Haar. Und wie äußerlich, waren die beiden Mädchen auch in ihrem Wesen grundverschieden: Die eine von fast an Scheu grenzender Zurückhaltung, die andere von ziemlich lauter Lebhaftigkeit, immer