Louis Weinert-Wilton

Der Skorpion


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hatten sich sofort verstanden und Gefallen aneinander gefunden. Und wenn die Idee und das erste Geld von Alice waren, so war die Einrichtung des Unternehmens hauptsächlich das Verdienst Bessies. Sie hatte mit ihrem hartnäckigen Feilschen um jeden Penny sämtliche Schreibmaschinenhändler und Papierlieferanten Londons zur Verzweiflung gebracht, und dem Verwalter des Hauses in Finch Lane hatte sie über sein Lokal so viele unschöne Dinge gesagt, daß der Mann schließlich heilfroh war, als sie es zu einem Spottpreis zu mieten geruhte.

      Dafür war Bessie Clayton sofort Teilhaberin mit vierzig Prozent vom Reingewinn geworden, und Alice hatte sie auch eingeladen, mit ihr zu wohnen. Bessie war mit großer Begeisterung darauf eingegangen und hätte es auch in dieser Hinsicht nicht besser treffen können. Mrs. Christina Toomer betreute ihre beiden Mieterinnen mit mütterlicher Besorgtheit und Alice sogar mit einer gewissen liebevollen Unterwürfigkeit. Bessie konnte das verstehen, denn auch sie tat für die Freundin, der sie soviel zu verdanken hatte, alles, was sie ihr an den Augen ablesen konnte, aber zuweilen schien es ihr, als ob für das Verhalten der Hauswirtin noch ganz besondere Gründe vorhanden wären. Es fiel jedoch darüber nie eine Andeutung, und Bessie war zu taktvoll, um danach zu forschen. Ebenso vermied sie es, Alice über deren persönliche Verhältnisse zu befragen, da sie auf ihren ersten derartigen Versuch bloß eine ganz allgemeine und sichtlich äußerst verlegene Antwort erhalten hatte. Anscheinend gab es da einen recht schmerzhaften Punkt, dem wohl auch das bedrückte Wesen der Freundin zuzuschreiben war.

      Nach Schluß der Börse und der Bankschalter wurde es auch in der Schreibstube still, und sobald die restliche Post aufgearbeitet war, pflegte Bessie die drei netten und fleißigen Tippfräuleins, die nun erst an ihren eigentlichen Beruf, das Studium verschiedener Wissenschaften, gingen, mit einem freundlichen »Good bye, Kinder« an der Tür zu verabschieden.

      Heute geschah das noch eine Viertelstunde früher als sonst, denn Alice Parker mußte wieder einmal den weiten Weg nach Kensington machen. Es war dies aus gewissen Gründen ein sehr unangenehmer Weg, und das junge Mädchen verriet an den Tagen, da er ihm bevorstand, immer eine auffallende Unruhe. Bessie kannte die Gründe hierfür, und während sie zu dem nahen Speisehause schritten, um rasch ein bescheidenes Lunch einzunehmen, kam sie diesmal mit besonderer Entschiedenheit darauf zu sprechen.

      »Wir werden nun mit diesem Mr. Ellis aber wirklich Schluß machen«, sagte sie. »Wenn der grobschnauzige Goldgräber, oder was er sonst war, nicht weiß, wie er sich gegen eine Dame zu benehmen hat, soll er sich seine Briefe selber tippen. Ich werde nicht länger dulden, daß du dich wegen einer Guinee solchen Dingen aussetzt. Du kommst ja immer ganz verstört zurück. Erkläre ihm also heute kurz und bündig, daß er sich für das nächste Mal nach jemand anderem umsehen soll. Im übrigen kann ich verstehen, daß der alte Buschmann augenblicklich besonders übler Laune ist. Der Schmuck, den man seiner Frau abgenommen hat, soll ja einige tausend Pfund wert gewesen sein. Hast du diese Mrs. Ellis überhaupt schon einmal gesehen? – Du weißt ja, was man sich von ihr erzählt …«

      Alice schüttelte bloß den Kopf, aber da sie mittlerweile das Speisehaus erreicht hatten, gab Bessie sich damit zufrieden und konzentrierte sich ausschließlich auf den Zweck, zu dem sie hergekommen waren. Erst nach dem Mahle wurde sie wieder gesprächig. Sie kam aber nicht auf das frühere Thema zurück, sondern schlug ein anderes an, das sie seit einer Woche ziemlich häufig, jedoch immer nur mit sachlicher Kühle berührte.

      »Dieser Mr. Allan« – das war der neue Mieter, der vor kurzem bei Mrs. Toomer eingezogen war – »scheint ja ein recht lockerer Vogel zu sein«, begann sie auch diesmal wieder so ganz obenhin. »Er ist keinen Abend zu Hause, und dann schläft er immer bis in den hellen Tag hinein. Es sieht ganz so aus, als ob er trotz seines Telefons keine ordentliche Beschäftigung hätte. Ich habe Mrs. Toomer schon danach gefragt, aber sie hat mir recht kurz erklärt, sie habe sich noch nicht darum gekümmert, und es gehe sie auch nichts an. – Das wundert mich, denn Mrs. Toomer ist doch sonst ziemlich mißtrauisch und hält darauf, genau zu wissen, wen sie im Hause hat.«

      Bessie trommelte mit den hübschen, kräftigen Fingern gereizt auf den Tisch, aber Alice zeigte für die Verhältnisse und das Treiben des neuen Hausgenossen nicht das geringste Interesse. Sie war dem jungen Manne zwar bereits einige Male begegnet, hatte jedoch seinen höflichen Gruß immer nur ganz flüchtig und mit der ihr eigenen scheuen Zurückhaltung erwidert. Die weit weniger scheue und zurückhaltende Bessie hingegen hatte schon wiederholt einen kleinen Plausch mit ihm gehalten, der allerdings stets nur dem seltsamen Hunde gegolten hatte, der mit besonderer Vorliebe getrocknete Fische fraß. Und um diesen Hund drehte sich offenbar auch jetzt ihre hauptsächlichste Sorge, denn nach einer kleinen Pause setzte sie mit verkniffenen Lippen fort:

      »Heute nacht ist der Herumtreiber überhaupt nicht nach Hause gekommen. Als wir morgens weggingen, hat der arme Hund drinnen noch immer auf der Schwelle gelegen und auf seinen saubern Herrn gewartet. Mir tut das verlassene Tier schrecklich leid, und ich werde Mr. Allan bei der nächsten Gelegenheit gehörig die Meinung sagen …«

      Eine Viertelstunde später verabschiedete sich Bessie von der Freundin mit einem Schwall von kräftigen Zusprüchen und fürsorglichen Ratschlägen und ging dann ihrem weiteren Tagewerk nach. Alice Parker beherrschte geläufig vier Weltsprachen, und so weit wollte Bessie es auch bringen. Außerdem besuchte sie noch einen Haushaltungskurs, einen Kurs für Säuglingspflege und eine Nähschule, denn man konnte ja nicht wissen, vor welche Aufgaben sie das Leben einmal noch stellen würde, und mit irgendeiner nützlichen Tätigkeit mußte man ja seine freie Zeit schließlich ausfüllen.

      2

      Mr. William Ellis machte sich nach dem zweiten Frühstück auf den Weg, um sich mit seinem Vertrauten und Teilhaber Iwan Karenowitsch in einer sehr dringlichen und heiklen Angelegenheit zu beraten. Er hatte heute einen Brief erhalten, dessen Inhalt höchst bedenklich lautete und einen raschen Entschluß forderte; und überhaupt sahen die Dinge so verdammt übel aus, daß man sich darüber wieder einmal gründlich aussprechen mußte.

      Mr. Iwan Karenowitsch führte auf seinen gediegenen Besuchskarten vor seinem Namen ganz bescheiden den Titel »Konsul«, und der Aufschlag seines vollendet sitzenden Fracks war bei größeren gesellschaftlichen Anlässen immer mit einer ansehnlichen Ordenskette geziert. Das erhöhte den vornehmen Eindruck, den der schlanke, kaum vierzigjährige Mann mit dem exotischen Gesicht machte, und man munkelte, daß der elegante Konsul auf die Herzen und die Tugend der Frauen geradezu verheerend wirkte.

      Diese Gefahr bestand bei seinem Freunde Ellis nicht, denn man konnte diesem weder äußere Vorzüge, noch ein gewinnendes Wesen nachsagen. Seine grobschlächtige Erscheinung erinnerte stark an einen Menschenaffen, und auch die plattgedrückte Nase, der breite wulstige Mund und die abstehenden fleischigen Ohren paßten ganz zu diesem Bild.

      Er hatte nicht weit zu gehen, denn Karenowitsch bewohnte in unmittelbarer Nähe ein kleines Haus, das den Vorteil ziemlicher Abgeschiedenheit hatte. Da der lebenslustige Junggeselle nach seinen vergnügten Nächten immer erst sehr spät aufzustehen pflegte, traf ihn Ellis noch im Morgenanzug und beim ersten Frühstück an.

      Der Konsul war über den Besuch weiter nicht überrascht, denn sein Teilhaber pflegte sich häufig bei ihm einzustellen, weil man hier völlig ungestört war. Auch als der Mann sofort ein Blatt Papier aus der Tasche zerrte und grimmig auf den Tisch klappte, machte dies auf den Konsul keinen sonderlichen Eindruck. Er strich sich in aller Ruhe noch ein geröstetes Brötchen, und erst, als er einen Bissen in den Mund geschoben und einige Schlucke Tee nachgespült hatte, nahm er das Briefblatt auf und faltete es ohne sonderliche Eile auseinander.

      Er las die wenigen Zeilen, ohne eine Miene zu verziehen, aber als er damit fertig war, standen seine dichten, schwarzen Brauen plötzlich hoch in der Stirn.

      »Wesley???« fragte er mit vorsichtig gedämpfter Stimme, und aus seinem Blick sprach außerordentliche Spannung.

      Ellis unterbrach seinen aufgeregten Marsch durch das Zimmer und ließ sich krachend in einen der Klubsessel fallen. »Was könnte es denn sonst sein?« krächzte er ebenso gedämpft zurück. »Der Bursche schreibt, daß er unterwegs zu dem Ding gekommen wäre – und er ist Seemann. Auch die Zeit könnte stimmen, denn wahrscheinlich ist er noch irgendwo herumgegondelt, bevor ihn der Teufel hierher gelotst