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in der hinter einer Kasse ein großer Schwarzafrikaner saß. Er war offenbar der Boss, eine korpulente, respekteinflößende Gestalt mit breiten Schultern und einem massiven Widderkopf, der sich langsam in meine Richtung wandte. Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, dass die Männer von der Straße in den Laden gekommen waren, um zu sehen, was sich nun ereignen würde. Einer der Männer, ein Jugendlicher mit einer blond gefärbten Irokesenfrisur rückte nahe an mich heran und schaute mir ins Gesicht. Ein anderer fixierte mit unverhohlener Neugierde meine Kameratasche.

      Der Boss erhob sich und trat an mich heran. Er war einen Kopf größer als ich und wahrscheinlich doppelt so schwer. Er hatte unbestreitbar das Sagen in diesem Laden.

      „Whatyoudoingheeere?“ fragte er mit einer Stimme, so tief, als käme sie aus einem unsichtbaren Keller.

      Ich machte ein so harmloses Gesicht, wie es mir nur möglich war und antwortete: „I need a haircut“.

      Einen Augenblick stutzte der Inhaber, als könne er nicht glauben, was er soeben gehört hatte. Dann schüttelte er den Kopf, trat an mich heran und griff mir mit beiden Händen an die Schultern. Seine Hände waren wie Pranken, und ich spürte die Kraft, die in ihnen steckte, als er mich einfach umdrehte und durch die Eingangstüre wieder nach draußen schob. Dort blieb er neben mir stehen, sein großes Gesicht dem meinen so nahe, dass ich die Poren auf seiner Haut erkennen konnte. Eine Hand noch immer auf meiner Schulter, wies er mit der anderen in die Richtung, aus der ich gekommen war und sagte mit Nachdruck: „Run Man, run as fast as you can!“

      Der Inhaber ließ mich los, hob den Kopf und sagte etwas zu den Umstehenden, was ich nicht verstand. Zum ersten Mal hörte ich die Klickgeräusche der Xhosa Sprache, die ich später noch so oft hören würde, ohne sie jemals verstehen zu können. Die Männer nickten zustimmend, einige, die mich anblickten, schüttelten missbilligend den Kopf. Hinter der Glasscheibe sah ich die drei jungen Friseusen, die mich wie einen Totgeweihten anstarrten. War ich denn wirklich in einer derartigen Gefahr?

      Ich nickte dem Boss zu und entfernte mich von der Gruppe, zuerst bewusst langsam, um meinen Abgang nicht ganz ohne Würde zu gestalten, dann etwas schneller, ehe ich wieder in einen leichten Trab verfiel. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass mir auf einen Wink des Inhabers zwei Männer folgten.

      Obwohl mir zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich klar war, in welcher Situation ich mich befand, begann ich schneller zu laufen. Auch meine beiden Verfolger erhöhten ihre Geschwindigkeit, kamen mir aber nicht näher. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite erkannte ich nun vier Männer in einem dunklen Häusereingang, ein Auto stand vor einer grünen Ampel und fuhr nicht weiter. Ich schlug einen Bogen, um dem Wagen auszuweichen, meine Verfolger machten das gleiche. Nun beschleunigte ich noch mehr und rannte wie von Furien gejagt die letzten hundert Meter zum Hotel. Als ich den Eingangsbereich des Marison Hotels erreicht hatte, blieben meine Verfolger stehen. Sie warteten, bis ich die Eingangshalle betreten hatte, drehten sich dann um, und gingen, die Hände in den Taschen vergraben, gemächlich nebeneinander zurück.

      Auch wenn ich meine Leichtfertigkeit aus dem Abstand der Jahre noch immer nicht ganz verstehen kann, wurde dieses weit zurückliegende nächtliche Erlebnis für mich zur halb kuriosen, halb makabren Ouvertüre meiner späteren afrikanischen Reisen. Dreierlei habe ich daraus gelernt:

      (1) Die Darstellung Südafrikas, wie sie sich in vielen Büchern, Zeitungen und einem großen Teil der öffentlich-rechtlichen Medien darstellt, ist gelinde gesagt, geschönt, um nicht zu sagen, krass falsch. Kennzeichnend dafür war die idiotische Empfehlung meines Reiseführers die Straßenfriseure von Johannesburg zu besuchen, wobei ich aber der Gerechtigkeit halber sagen muss, dass es sich um bei dem Lonely Planet Guide um eine sehr alte Ausgabe handelte. In den Neuauflagen ist man in dieser Hinsicht erheblich vorsichtiger geworden. Natürlich war vor meiner Abreise in Deutschland darüber berichtet worden, dass nach dem Machtwechsel am Kap die Kriminalität in den südafrikanischen Städten explodiert sei. Es hatte aber auch ganz andere, positivere Nachrichten gegeben. Ihr Tenor war, dass Südafrika einen neuen Anlauf wage, dass der neue Präsident Nelson Mandela das Land versöhnen und in eine friedlichere Zukunft führen würde. Ja, man solle Südafrika gerade jetzt besuchen und Zeuge einer epochalen Umwälzung werden, wie sie die Welt noch nicht gesehen habe. Weil mir solche Nachrichten viel besser gefielen, als die düsteren Unkenrufe, hatte ich sie schließlich geglaubt und war in meiner Arglosigkeit in die Johannesburger Nacht hinausgegangen.

      All das ist lange her, trotzdem hat sich die geschönte Berichterstattung über Südafrika bei den meinungsführenden Medien kaum geändert. Auch wenn sich die Sicherheitslage in den großen Städten immer weiter verschlechtert, widerstrebt es vielen Redakteuren offenbar noch immer, die Schattenseiten des neuen Südafrikas ungeschminkt darzustellen.

      (2)Heute weiß ich, dass in dem Jahr, in dem ich Südafrika zum ersten Mal besuchte, die öffentliche Ordnung auf der Kippe stand. Die Knute der Apartheid war überwunden, Millionen Menschen waren dabei, die Townships und Homelands zu verlassen, um in die Städte zu strömen, allen voran nach Johannesburg. Dort staunten sie über den Reichtum der Weißen und forderten ihren Anteil, wenn nötig, mit Gewalt - wobei paradoxerweise die Gewalt dann vor allem ihresgleichen traf. Ein innergesellschaftlicher Bürgerkrieg zwischen den schwarzafrikanischen Ethnien der Zulus und Xhosas, zwischen Arm und Reich, Stadt und Land drohte das gerade erst frei gewordene Land zu zerreißen. Dieser latente Konflikt dauert an und hat zusammen mit der „normalen“ Kriminalität in der Zeit zwischen 1994 bis 2006 weit über hunderttausend (!) Todesopfer gefordert. Ganz zu schweigen von den Vergewaltigungsopfern, namentlich unter schwarzen Frauen, die nach Millionen zählen.

      Allerdings trifft diese Massengewalt die Menschen in ganz unterschiedlicher Weise. Wer sich als Weißer nur am Tage durch die Zentren der großen Städte bewegt und die Nacht ebenso meidet wie die Vorstädte, bleibt meistens verschont. Das gilt in noch höherem Ausmaß für Touristen, die sich in den Städten kaum aufhalten und vorwiegend die Nationalparks besuchen.

      Mein Ausflug auf die nächtlichen Straßen von Johannesburg war also eine ahnungslose Grenzübertretung gewesen, ich war ohne Not von einer Zone relativer Sicherheit in den Naturzustand gewechselt, von dessen Gefährlichkeit ich noch nichts ahnte.

      (3) Glimpflich war es in der Nacht von Johannesburg wahrscheinlich nur abgelaufen, weil mich der Inhaber des Friseursalons beschützt hatte. Ich bin mittlerweile überzeugt davon, dass die beiden Männer, die mich verfolgten, mir zu meiner Sicherheit hinterhergeschickt worden waren. Obwohl es vor allem die schwarzafrikanische Bevölkerungsmehrheit ist, die unter der überbordenden Kriminalität am meisten leidet, sind es oft gerade die Schwarzafrikaner, die ahnungslose Weiße bei der Hand nehmen und auf den richtigen Weg weisen, wenn sie sich wie die Lämmer in einem Wolfsrudel verirren. Ähnliches habe ich später immer wieder erlebt. Auch wenn ich es nicht ganz verstehe, kommt es mir so vor, als betrachtete die Mehrheit der Schwarzafrikaner trotz ihrer eigenen Not die Weißen als eine besondere, zarte Spezies, die man nach dem Verlust ihrer Vorrechte vor einem Geschick behüten müsse, dem sie nicht gewachsen sind. Nelson Mandela selbst hat diese Merkwürdigkeit in seiner Autobiografie „Der lange Weg zur Freiheit“ am Beispiel einer weißen Bettlerin beschrieben, die ihn unverständlicherweise mehr rührte als ein schwarzer Bettler.

      Sollen diese Zustände den Reisenden abhalten, Südafrika zu besuchen?

      Nein, dreimal nein.

      Denn die Sicherheitslage für Touristen ist noch immer vertretbar - wenn sie sich vor Eskapaden hüten und bestimmte Sicherheitsvorschriften beachten. Außerdem sind die Verhältnisse in den einzelnen Landesteilen unterschiedlich - in der Kapprovinz sind die Zustände besser als in der Transkei, in Pretoria besser als in Durban. Und am allerbesten, weil kaum von Kriminalität betroffen, sind die Nationalparks, in denen man vor den Menschen sicher ist und sich nur vor wilden Tieren hüten muss.

      Wer sich wirklich für die sozialen Zustände in Südafrika interessiert, dem empfehle ich einen geführten Besuch in einem Township im Umkreis von Kapstadt oder Johannesburg. Dabei handelt es sich nicht um den Besuch eines „Menschenzoos“, wie es oft abwertend heißt, sondern um einen schockierenden Intensivkurs zum Verständnis einer afrikanischen Wirklichkeit, die dem Touristen ansonsten fast immer verborgen bleibt (vgl. S. 189ff.).

      Wer eine Vorstellung