und verwandelte sich folgerichtig in ein Museum.
Ob man die Gebrauchsgegenstände, Dokumente, Zeichnungen und Karten, die das Museum präsentierte, wirklich gesehen haben musste, wollte ich nicht beurteilen. Beeindruckend aber war die Anlage als solche, der Hof, das Tor, die niedrigen Wälle, auf denen das Gras der Geschichtslosigkeit wuchs - ein Memento mori der Vergänglichkeit, um die eine Millionenstadt herumgewachsen war.
Nur wenige Gehminuten vom Castle of Good Hope entfernt befand sich die zweite Keimzelle der Stadt, "The Company´s Garden". Es handelte sich um jenen Ort, an dem sich die Holländer zuerst mit dem Anbau von Gurken, Tomaten, Karotten und Spinat versucht hatten, um die holländischen Seeleute auf der Durchreise mit einer gesunden Kost zu versorgen. Nur mit dem Weinanbau hatte es in "The Company´s Garden" nicht klappen wollen. Was die Vögel von den Trauben übriggelassen hatten, soll derart nach Essig geschmeckt haben, dass die Matrosen den Kapstädter Fusel in den Indischen Ozean kippten. Erst mit der Ankunft der Hugenotten am Ende des Siebzehnten Jahrhunderts sollte die Etablierung des Weinanbaus in Constantia, Stellenbosch und Franshoek gelingen.
Heute war „The Company´s Garden“ der Botanische Garten der Stadt, ein weiträumiger Erholungspark, in dem sich die Capetonians, ob schwarz oder weiß, an Springbrunnen, schattigen Bänken und einem Querschnitt der südafrikanischen Vegetation erfreuen könnten – wenn sie nur Zeit hätten und darauf achten würden, vor Einbruch der Dunkelheit das Weite zu suchen.
Die Skulpturen, die die Parkwege und kleinen Plätze säumten, wirkten in ihrer Beliebigkeit wie eine Bekräftigung dafür, dass die Entstehungsgeschichte Kapstadts langsam im Halbdunkel der historischen Vergesslichkeit verschwand. Nur für das Standbild des Briten Cecil Rhodes galt das nicht. Stolz, überlebensgroß und gerade stand das Abbild des in Wahrheit kränklichen Mannes auf einem Podest im Botanischen Garten und wies mit dem rechten Arm nach Norden. Vom „Kap bis Kairo“ sollte sich das Britische Empire erstrecken, und zur Verwirklichung dieses Zieles war Cecil Rhodes jedes Mittel recht gewesen. Als zeitweiliger Premierminister der britischen Kapprovinz und Miteigentümer des Diamantenmonopolisten de Beers war er zum Todfeind der freien Burenstaaten geworden, die den Briten durch ihre bloße Existenz am Ende des 19. Jahrhunderts die Ausdehnung nach Norden versperrten. An der Vorbereitung des Großen Burenkrieges und der Unterwerfung der Matabele und Shona im heutigen Simbabwe war er ebenso beteiligt gewesen wie an der Ausbeutung der schwarzafrikanischen Arbeiterschaft in den Diamantenminen. Dass sein Denkmal überhaupt noch im Botanischen Garten von Kapstadt stand, war Nelson Mandela zu verdanken, der verkündet hatte, man müsse auch von den Fehlern großer Männer lernen.
Hundert Jahre nach Cecil Rhodes Tod war die Zeit über ihn hinweggegangen. Die nach ihm benannten Kolonien Nord- und Südrhodesien waren als Sambia und Simbabwe längst eigene Staaten geworden. Und auch in Kapstadt war vom berühmt-berüchtigten Premierministers der Kapprovinz nichts weiter geblieben als eine rege Population graubrauner Eichhörnchen, die Rhodes von Europa nach Kapstadt gebracht hatte und die sich heute von den Touristen in "The Garden" durchfüttern ließen.
Während meiner Spaziergänge durch den Botanischen Garten lag eine eigenartige Leere über dem Park Zeitweise kam es mir so vor, als befände ich mich wie schon im Castle of Good Hope in einem verwunschenen Garten, in einem Stück eigener Wirklichkeit, das mit dem realen Leben der Menschen dieser Stadt nichts mehr zu tun hatte. Ich hörte das Knacken der Zweige, das Rascheln im Gras, Vogelgezwitscher in den Bäumen, vermischt mit dem entfernten Rauschen der Stadt. Dann wurde ich müde, legte mich auf die Wiese und schlief ein.
Ich erwachte, als ein Kind versuchte, mir die meine Kameratasche unter dem Kopf wegzuziehen. Ich hatte mir die Schlaufe vorsichtshalber um den Hals gewunden, so dass der Versuch misslang. Trotzdem dauerte es einige Sekunden, ehe ich begriff, was geschah. Der Junge, ein mageres Bürschchen mit kurzer Hose und zerrissenem Shirt, war genauso erschrocken wie ich, als ich die Augen öffnete. Sofort ließ er den Gurt los und verschwand wie der Blitz im Unterholz. Warum hatte er mich nicht nach etwas Geld gefragt, ich hätte es ihm freiwillig gegeben.
Als ich ins Hotel zurückkam, entnahm ich den Schlagzeilen der ausliegenden Tageszeitungen, dass am Signal Hill zwei Überfälle stattgefunden hatten. Eine Touristengruppe war von einer Horde Jugendlicher umzingelt und gezwungen worden, ihre Wertsachen herauszurücken. In der Nähe des Western Boulevards war ein Anwohner bei einem Einbruch erschossen worden.
Beim Abendessen im Hotelrestaurant trug niemand eine Kappe. Ich kam mit einem deutschen Geschäftsmann ins Gespräch, der sich im Auftrag einer Baufirma in Kapstadt aufhielt. Er stellte ich als Wilfried vor, war leger gekleidet und verfügte über einen gesegneten Appetit. Er aß eine Suppe, ein Straußensteak mit Beilage samt Nachtisch und trank eine ganze Flasche Chardonnay, ehe er die nächste Flasche Wein bestellte und mich zu einem Glas einlud.
Er fragte mich nach meinen Reiseplänen, hörte aber kaum zu und begann seinerseits von seinen Reisen zu erzählen. Wie es aussah, saß ich mit einem Afrikakenner am Tisch, der geschäftlich sehr weit herumgekommen war. Wilfried war ein Freund des „schwarzen Kontinents“, aber mit der Richtung, die dieser Kontinent nahm, nicht einverstanden. Das galt sowohl für die allgemeine Entwicklung, die der afrikanische Süden eingeschlagen hatte, wie auch für die konkreten Missgeschicke die Wilfried widerfahren waren. Der Taxifahrer hatte ihn übers Ohr gehauen, ein herbeigerufener Polizist hatte sich als unkooperativ erwiesen, und außerdem war ihm sein Hotelzimmer viel zu laut.
„Früher war Kapstadt einmal der Himmel auf Erden gewesen“, beschloss er seine anekdotischen Klagen. „Ich habe zeitweise sogar überlegt, nach Südafrika auszuwandern.“
Ich erzählte, dass mein älterer Bruder in den Sechzigern einige Jahre in Südafrika gelebt und immer nur von dem Land geschwärmt habe.
„Ja, in den Sechzigern“, antwortete Wilfried und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Da herrschten hier für einen Weißen paradiesische Zustände“. Er machte eine Pause und blickte mich prüfend an, ob ich begriffe, was er sagte. „Aber das ist vorbei. Hier gehen bald die Lichter aus“, fuhr er fort. „Freunde von mir, die im Norden von Kapstadt ein kleines Haus gekauft haben, sind bereits sechsmal ausgeraubt worden. Nun wollen sie es verkaufen und zurück nach Deutschland. Nur, es kauft keiner zu vernünftigen Preisen. Sie werden darauf sitzen bleiben.“
„Und es ist keine Besserung in Sicht?“ fragte ich.
„Nein“, erwiderte Wilfried. „Ganz im Gegenteil. Jetzt ist das Drogenproblem von Johannesburg nach Kapstadt übergeschwappt. Die meisten Jugendlichen sind doch süchtig und machen alles, um an Geld für Drogen zu kommen. Da man aber die eigenen Leute in den Townships nicht mehr ausrauben kann, weil sie einfach nichts haben, unternehmen die Jugendlichen nun Raubzüge in die Innenstadt.“
Ich dachte, an den Kleinen, der meine Fototasche hatte stehlen wollen. Ob der auch schon ein Drogenproblem hatte? fragte ich mich.
„Wollen sie noch etwas Wein?“ fragte Wilfried.
Ich lehnte dankend ab.
***
Die nächsten Tage in Kapstadt ließ ich mich treiben, nicht unbedingt in die Vorstädte, aber durch die Straßen des Zentrums, über die Märkte und Plätze bis hin zur Waterfront. Im Botanischen Garten hielt ich Ausschau nach dem kleinen Dieb, sah ihn aber nicht wieder. Ganz allein stand ich vor der neoklassizistischen Fassade des Parlamentsgebäudes. Kapstadt war eine der beiden Hauptstädte Südafrikas und Sitz des Parlaments. Die andere Hauptstadt Pretoria im Norden war der Sitz der Regierung. Die obersten Gerichte saßen übrigens weder in Kapstadt noch in Pretoria sondern in Bloomfountain und Johannesburg.
Überall in der Innenstadt waren Plakate geklebt worden, auf denen eine Politik der Harmonie propagiert wurde, eine Art Zusammenklang von Erster und Dritter Welt als sogenannte „Regenbogennation“, die mir aber vorkam wie eine schadhafte Tünche, die jeden Tag durch den bloßen Augenschein widerlegt wurde. Ich besuchte den Busbahnhof von Kapstadt und sah fast nur Schwarzafrikaner. Die wenigen Weißen, denen ich auf den Rampen begegnete, wirkten abgerissen und erschöpft. Auf dem Greenmarket Square trank ich einen Kaffee und beobachtete Passanten, die apathisch auf den Bänken saßen und in die Luft starrten. Mehrfach wurde ich angebettelt, aber auch in Ruhe gelassen,