von Stellenbosch die Townships von Kapstadt befanden.
Das touristische und wirtschaftliche Herz von Stellenbosch schlug in der Dorpstraat. Hier präsentierten Dutzende von Winzern und Kooperative die Produkte, um die sich alles in Stellenbosch drehte: Chardonnay, Pinotage, Sauvignon Blanc, Shiraz, Cabernet Sauvignon und Merlot, die sogenannten „Big Six“ des südafrikanischen Weines, die als Rebsorten den weitaus größten Teil des südafrikanischen Weinexportes ausmachen.
Ich nahm ein Zimmer in einem kleinen Hotel in der Innenstadt, nicht billig aber sauber und ruhig, geführt von einer älteren Dame, die mich wie einen verirrten Wanderer aufnahm und mir zur Begrüßung eine Flasche Wein aufs Zimmer bringen ließ. Es war ein runder, vollmundiger Chardonnay mit einem samtenen Abgang und einer zarten Pfirsisch-Note, der mir so gut schmeckte, dass auf das erste Glas sogleich das zweite folgte und es nicht lange dauerte, bis die Flasche leer war. Danach spürte ich eine mächtige Woge der Müdigkeit in mir aufsteigen, verbunden mit einem allumfassenden Einverständnis mit der Welt, das ich als Grundgefühl mehr als alles andere liebe. Ich legte mich aufs Bett und schlief ein.
Am nächsten Morgen spazierte ich nach dem Frühstück durch die Stadt. Heute war der Eindruck der Unwirklichkeit möglicherweise noch stärker. Befand ich mich wirklich in Afrika oder in einer Kunststadt, einem fake, das man mit seinen bunt angemalten Häuserfassaden nach Afrika verpflanzt hatte. Wie ich im „Village Museum“ auf der Ryenefeld Straat aber lernen konnte, stimmte das nicht. Stellenbosch war die Heimat von Weißafrikanern, die schon seit Jahrhunderten am Kap ansässig waren und hier als Sprösslinge des Niederländischen, Niederdeutschen und Französischen ein Stück Europa weitab von ihrem Mutterkontinent errichtet hatten.
Die Geschichte dieser Weißafrikaner wurde in den großen restaurierten Hollandhäusern lebendig. Mit ihren dicken Wänden, offenen Kaminen, wuchtigen Balkenkonstruktionen und schweren Möbeln wirkten sie wie Symbole für die Beharrlichkeit des weißen Menschenschlags am Kap. Schon der zweite Gouverneur der Kapprovinz, der Holländer Simon van der Stel, hatte mit der Ausweitung der Kapkolonie und der Erkundung der Umgebung begonnen. Nicht einmal einhundert Kilometer östlich der Tafelbucht war er auf ein fruchtbares Tal gestoßen, in dem er Gemüse, Obst und Wein anbauen ließ und eine Stadt mit seinem Namen gründete – eben Stellenbosch, die zweitälteste Stadt des afrikanischen Südens. Die ersten Reben von Stellenbosch aber gediehen so schlecht, dass sie sogar von den räuberischen Affen verschmäht wurden, die sich jede Nacht über die Felder der Kolonisten hermachten. Erst die Einwanderung hugenottischer Winzer sollte den südafrikanischen Weinanbau professionalisieren, wenn auch niemand in den altvorderen tagen damit gerechnet hätte, dass südafrikanische Spitzenweine im 21. Jahrhundert Preise auf den Weinmessen der Welt gewinnen würden.
Im Sellenryk Weinmuseum an der Dorpstraat kam ich mit einem Angestellten des Weinmuseums ins Gespräch. Er hieß nicht nur Piet sondern sah auch noch aus wie ein waschechter Holländer mit flachsblonden Haaren, Sommersprossen und tiefliegenden schmalen Augen, die schon jede Menge guter und schlechter Weinernten gesehen hatten. Er erklärte mir geduldig die Funktion der alten Weinpressen, die verschiedenen Phasen der Flaschengärung und am Ende auch das Geheimnis des südafrikanischen Weins. „Der südafrikanische Wein ist so gut, weil er es nicht einfach hat“, begann er. Denn im Unterschied etwa zu den kalifornischen Weinen, die wegen des notorischen Wassermangels einer permanenten Tropfenbewässerung unterlägen und deswegen ihren Feuchtigkeitsbedarf jederzeit decken können, würde die südafrikanischen Spitzenweine prinzipiell nicht künstlich bewässert. Wenn der Regen einmal ausbliebe, müssten die Reben eben sehen, wie sie damit fertig würden. Die südafrikanischen Rebsorten erlebten also während ihrer Reifung viel mehr „Stress“ als andere Weine, so dass ihr Geschmack intensiver und individueller würde. Das Klima fordere den Wein, und das sei gut für ihn beendete er seine Darlegung. Ein wenig Stress schadet eben nicht, fügte er hinzu. „Weder beim Wein noch beim Menschen.“ Das leuchtete mir ein und ich erwarb zwei Chardonnay für die Weiterreise.
Nur eine dreiviertel Stunde dauerte die Fahrt von Stellenbosch nach Franshoek („Franzosenecke“), dem Zentrum der hugenottischen Traditionen im südlichen Afrika. Hier war die Außenansicht des Weinlandes womöglich noch spektakulärer als in Stellenbosch. Wuchtige Hollandhäuser mit ihren stattlichen Portalen standen inmitten sorgfältig angelegter Weinfelder. Gartenanlagen und Palmengalerien überragten die Weinkontore. Auf der Hauptstraße von Franshoek warben Weingüter wie „La Dauphine“ , „La Motte“, „Champagne“, „Bourgogne“ oder „Provence“ für ihre Erzeugnisse, in den Bäckereien lagen Baguettes und Croissants in den Körben, französischer Käse befand sich ebenso im Angebot wie Cassolet oder Charolais - man hätte glauben können, Südfrankreich sei an das Ende Afrikas verlegt worden. Das Preisniveau lag wahrscheinlich noch höher, wie ich bei der Anmietung meines Hotelzimmers bemerken musste. Allerdings war der demonstrative Bezug zu Frankreich rein deklamatorisch, die Umgangssprache auf den Straßen oder in den Geschäften war ausschließlich Englisch oder Afrikaans.
Welche lange und wechselvolle Geschichte diese französische Enklave im Süden Afrikas besitzt, wurde im Hugenottenmuseum von Franshoek dargestellt. Mit einem Federstrich hatte der französische König Ludwig XIV im Jahre 1685 das von seinem Großvater Heinrich IV erlassene Toleranzedikt von Nantes aufgehoben und den Katholizismus zur alleinigen Staatsreligion erhoben. Wer von den etwa 750.000 französischen Protestanten, den Hugenotten, nicht konvertieren wollte, wurde ausgewiesen. Etwa 200.000 Menschen, meist Angehörige gehobener Berufe, zum Teil auch Adlige, verließen daraufhin das Land. Ein gewaltiger Aderlass setzte ein, der Frankreich langfristig mehr schwächen sollte als alle Eroberungskriege Ludwigs XIV zusammengenommen. Die meisten Hugenotten fanden Zuflucht in der Schweiz, Brandenburg-Preußen, Großbritannien und skandinavischen Ländern. Nur eine verschwindende Minderheit, gerade mal 187 Familien, entschloss sich, das Angebot der holländischen Ostindienkompanie anzunehmen und zum Kap der Guten Hoffnung auszuwandern. Auf langen Listen waren im Hugenottenmuseum von Franshoek die Namen der ersten Siedler vermerkt, die auf insgesamt vier Schiffen 1688 Kapstadt erreicht hatten. Sie stammten überwiegend aus Flandern, aber auch aus den Weinregionen des Languedoc, der Provence und der Dauphine. Die Arbeitsverpflichtung, die mit der Passage verbunden war, umfasste einen Zeitraum von fünf Jahren, nach denen man auf eigene Kosten, nach Europa zurückkehren konnte. Tatsächlich erhielten die Hugenotten von Gouverneur Simon van der Stel im sogenannten Elefantental („Oliphantstrek“) hinreichend Land zur Bearbeitung, wenngleich die versprochene Unterstützung an Werkzeugen und Baustoffen zu wünschen übrig ließ. Doch die Hugenotten, im Unterschied zu den meisten Bewohnern der Kapkolonie, landwirtschaftlich kompetente Fachkräfte, kamen zurecht und wussten das günstige Mikroklima von Franshoek für den Weinanbau zu nutzen.
Allerdings gab es bald Ärger, weil die Franzosen auf die Pflege ihrer Traditionen bestanden und nicht im Holländertum der Kolonie aufgehen wollten. Erst nachdem ab 1713 jede weitere Einwanderung von Franzosen gekappt worden war, begann ein langsamer Prozess der Afrikanisierung, in deren Verlauf viele Hugenotten ihre Namen änderten. So entstammte zum Beispiel der südafrikanische Friedensnobelpreisträger de Klerk, der mit Nelson Mandela das Ende der Apartheid ausgehandelt hatte, aus der Hugenottenfamilie der Leclerc.
Der Weinanbau von Franshoek vollzog sich zunächst in einem bescheidenen Rahmen. Der südafrikanische Wein wurde entweder im Land getrunken oder den Schiffen der holländischen Ostindienkompanie als Handelsware für Asien mitgegeben. International bekannt wurden die Weinbauern vom Kap erst, als infolge der napoleonischen Kolonialsperre in Europa der französische Wein knapp wurde und man auf die Konkurrenz vom Kap aufmerksam wurde. Aber das waren alles nur Peanuts im Vergleich zu dem rasanten Aufstieg, den die südafrikanische Weinindustrie, namentlich die Erzeugnisse von Franshoek, nach dem Ende der Apartheid nahmen. Nachdem man jahrzehntelang die Produkte des Apartheidstaates mit gutem Gewissen boykottiert hatte, griff man nun im Westen gerne zum guten Tropfen aus Franshoek oder Stellenbosch und bemerkte, dass sie genauso gut schmeckten wie die Qualitätsweine aus Frankreich oder Italien, aber erheblich preiswerter waren. Auch die Befürchtungen, die neue ANC-Regierung würde der südafrikanischen Weinindustrie mit Verstaatlichungen und Regulierungen zu Leibe rücken, entpuppten sich als unbegründet - im Gegenteil: der südafrikanische Weinanbau gehört inzwischen als exportintensive Erfolgsgeschichte neben dem Rohstoffsektor und dem Tourismus zu den staatlich gehätschelten Devisenbringern des Landes.
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