Ludwig Witzani

Vom Kap zum Kilimandscharo


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Wahrnehmung trübten. Denn natürlich waren auch Farbige anwesend, allerdings vorwiegend als Polizisten, Kellner, Parkwächter oder Straßenhändler. Sie standen an den Ausfallstraßen, bedienten in den Restaurants und verkauften Schnitzereien, Steine oder Modeschmuck an vorbeireisende Touristen.

      Hinter Houts Bay wählte ich den Umweg nach Constantia. Constantia lag im Rücken des Tafelbergmassivs in einem von Bergen umgebenen Tal, durchgrünt, leicht hügelig und üppig bepflanzt, ein Burgund im Bonsai-Format, nur mit einem angenehmeren Klima. Wie eine Armee von Zinnsoldaten standen die Rebstöcke links und rechts der Straße und kontrastierten in ihrer akkuraten Geometrie mit dem unordentlichen Schwung der Palmenblätter. Constantia hielt sich viel darauf zugute, der Ursprungsort des südafrikanischen Weinanbaus zu sein, denn seine Anbautradition reichte bis in die Anfangstage der Kolonie zurück. Simon van der Stel, der zweite Gouverneur und eigentliche Vater der Kapprovinz, hatte hier am Ende des 17. Jahrhunderts mit dem ersten zaghaft betriebenen Weinanbau begonnen.

      Als befände man sich in den amerikanischen Südstaaten führte eine mächtige Eichengalerie zum Eingangstor von „Groot Constantia“, dem bekanntesten Weingut der Stadt. Es bestand aus Anbauflächen, Kellereien und Lagerhäusern, sein Schmuckstück jedoch war das Manor, der alte Herrensitz des Gouverneurs. Es war ein Gebäude, so wuchtig und solide, dass es das Ende des holländischen und britischen Imperiums locker überstanden hatte und nun frisch restauriert zur Besichtigung bereitstand. Sein Außenanstrich war in strahlendem Weiß gehalten, seine Reetdächer fielen steil ab, und die Vorderfront wurde von einem zweistöckigen Portal geschmückt. Hinter dem Eingangsberiech befand sich der Cloete Wine Cellar, eine Mischung aus Shop und Museum, in dem sich die Besucher an einer Weinverköstigung laben oder sich über die Geschichte des südafrikanischen Weinanbaus informieren konnten. Die Kurzfassung dieser Geschichte lautete, dass der Sohn Gouverneurs Simon van der Stels mit seinem Weingut bankrott gegangen war und dass sich aus der Vermögensmaße Alt-Constantias fünf Weingüter gebildet hatten (Groot Constantia, Klein Constantia, Buitenverwachting, Constantia Uitsig und Steenberg), deren Weine inzwischen in die ganze Welt exportiert wurden. Eine deutsche Reisegruppe, die mit mir das Weinmuseum besuchte, sprach den Weinproben kräftig zu, ich musste verzichten, denn ich wollte heute noch das Kap erreichen.

      Ich verließ Constantia und erreichte bald wieder die Durchgangsstraße zum Kap. Die üppige Begrünung von Camps Bay oder Constantia verschwand, ich hatte das Reich von Protea und Fynbosgewächsen erreicht. Ausgedehnte Flächen von Eiskrautgewächsen schmückten wie ein violetter Teppich die Bergabhänge. Es folgten vom Wind flachgefräste Felsen, ehe die ersten Sanddünen erschienen. Manche Anblicke erinnerten an die marokkanische Kabylei - Afrika, der Kontinent, der im Norden und Süden gleich aussah und in seiner Mitte Schwüle und Tod beherbergte. Immer weiter nach Süden zog sich die Straße, ein langer steinerner Finger aus Geröll und Felsen, an dessen Ende der Wind eine orkanartige Stärke gewann.

      Das eigentliche Kap bestand aus einem etwa 250 Meter hohen Berg mit Besuchertribüne und Leuchtturm auf einem flachen Plateau. Kaum hatte ich den Wagen verlassen, ergriff mich der Wind mit solcher Kraft, dass ich fast das Gleichgewicht verloren hätte. „Kap der Stürme“ wäre vielleicht doch der passendere Name gewesen. Selbst die Kabinen der Kabelbahn gerieten durch den Wind in beängstigende Schwingung. Noch schlimmer war es auf dem Besucherplateau, einem Ort, an dem sich keine Frisur und keine Kappe auf dem Kopf behaupten konnten. Karten und Schals flogen durch die Gegend, Kinder stellten sich quer gegen den Wind, ohne umzufallen, der Wind der südlichen Meere schockierte durch seine immense Kraft. Er peitschte die Brecher des Ozeans in immer neuen Wellen gegen die Felsen tief unter uns, es toste und donnerte, und die Gischt leckte wie eine Nebelzunge an den Abhängen des Kap Felsens. Wie viele Schiffe waren hier am Kap der Stürme gescheitert, wie viele Matrosen waren in Sichtweite der Küste ertrunken, wie viele Schätze lagen ungehoben auf dem Meeresgrund? Alles Vergangenheit. Gegenwärtig war nur das tosende Meer, das sich wie ein doppelköpfiges Ungeheuer gebärdete - doppelköpfig, weil hier der Atlantische Ozean und der Indische Ozean aufeinanderstießen, unterschiedlich warm ein jeder und vom Heulen permanenter Windböen begleitet, die vor der gesamten Küste gegeneinanderstießen. Es war ein Hexensabbat der Elemente, der den Betrachter glatt vergessen ließ, dass er überhaupt noch nicht am südlichsten Punkt Afrikas angekommen war. Denn das wirkliche Südkap Afrikas befand sich zweihundert Kilometer weiter südöstlich am unscheinbaren Kap Agulhas, dem Nadelkap.

      ***

      Vom Kap aus führte eine spektakuläre Küstenstraße weiter nach Osten. Spektakulär war die Küstenstraße, weil sie hoch über dem Meer wie angepappt am Berg zu kleben schien - aus der Entfernung ein beeindruckendes Bild, das großartige Aussichten auf das Meer verhieß, aus der Nähe aber eine Herausforderung für Nervenstärke und Fahrkunst. Wie eine Aneinanderreihung spanischer Wände folgte auf der schmalen Straße ein Felsvorsprung dem nächsten, ohne dass zu sehen gewesen wäre, welche Fahrzeuge in der Gegenrichtung unterwegs waren. Manche Fahrer hupten vor den Kurven, andere rasten wie Lebensmüde einfach mit voller Kraft in sie herein. Einmal entging ich nur durch eine Vollbremsung der Karambolage.

      Der Ort Muizenburg, den ich nach einer schweißtreibenden Fahrt erreichte, glich einem überfüllten Hollanddorf mit brachialer Musikbeschallung in seiner Strandzone. Es war Sonntag in Südafrika, und jede Menge Ausflügler verstopften die Durchgangsstraßen.

      Jenseits von Muizenburg ließ das Verkehrsaufkommen abrupt nach. Wieder einer jener Landschafts- und Stimmungswechsel, an denen Südafrika so reich ist. Plötzlich bestimmten weitgeschwungene Dünenstrände das Bild, ein endlose Reihe feiner weißer Sandhügel vor dem Horizont des Meeres. Ich hatte die False Bay, die „falsche Bucht“ erreicht. Sie hatte ihren Namen erhalten, weil in den Frühtagen der Kapkolonie immer wieder die Segler aus Asien die Bucht mit der Tafelbergbucht von Kapstadt verwechselt hatten. So abwertend der Name der Bucht war, so schön stellte sie sich dem Durchreisenden dar, eine weite großzügige Küstenlandschaft mit weißen Sandstränden, einer flachen Brandung und einer Vorahnung der warmen Luft, mit der der indische Ozean weiter östlich das Klima bestimmen würde. Doch das Schöne nistet in Afrika fast immer in der Nachbarschaft des Gefährlichen. Denn die False Bay war Jagdgebiet des Weißen Hais, des großen Killers der Meere, der alles fraß, was ihm vor das Maul kam und auch bei schwimmenden Menschen keine Ausnahme machte. Paradoxerweise war der Weiße Hai erst in der Bucht aufgetaucht, nachdem sich unter der Federführung engagierter Naturschützer große Robben- und Pinguinkolonien in der False Bay etabliert hatten. Immer wenn der Menschen in die Natur eingreift, geht etwas schief, auch dann, wenn es gut gemeint gewesen war. Das sollte ich in Afrika noch oft lernen müssen.

      In Sommerset West am östlichen Ausgang der False Bay gab es keine besondere Sehenswürdigkeiten zu besichtigen, wenn man einmal von der grandiosen Aussicht auf die Bucht absah. Weit im Westen verschwand die Kap Halbinsel im abendlichen Dunst, im Osten erglänzten die Abhänge der Hottentotten-Holland-Mountains im Licht der niedergehenden Sonne.

      ***

      Ursprünglich war nur ein Bruchteil des weltweiten Pflanzenbestandes landwirtschaftlich nutzbar. Der frühe Mensch bewegte sich in einer Flora von 200.000 unterschiedlichen Wildpflanzen, mit der er kaum etwas anfangen konnte. Erst im Laufe der Entwicklungsgeschichte veränderte er das Gesicht der ihn umgebenden Natur. Die nutz-losen Pflanzen wurden reduziert, die Flächen, auf denen Nutzpflanzen wuchsen, nahmen zu. Heute sind es gerade mal einige Dutzend Nutzpflanzen, auf denen die menschliche Ernährung im Wesentlichen beruht. Jarred Diamond hat in seinen Büchern diesen Prozess der kulturellen Überformung der Natur eindringlich beschrieben (Arm und reich S. 137ff.). Es war nichts anderes als die Umwandlung undomestizierter Natur in einen großen Garten des Menschen.

      Nirgendwo sonst in der Welt konnte man den ästhetischen Mehrwert, den diese kulturelle Überformung der Natur hervorbrachte, anschaulicher beobachten als in der südafrikanischen Weinprovinz. Schon lange bevor ich Stellenbosch, eines der drei Zentren der südafrikanischen Weinprovinz erreichte, war die Verwandlung der Landschaft unverkennbar. Als passierte ich ein afrikanisches Auenland zogen lieblich gewellte Hügel, Bewässerungsanlagen und kleine Gehöfte mit weißgekalkten Häusern vorüber. Afrikanisch waren nur der azurblaue Himmel und die Palmenhaine zwischen den Weingütern, der Rest war ein mixtum compositum europäischer Landschafts- und Siedlungsformen. Ich sah blauweiße, gelbweiße und knallweiße Hollandhäuser,