Joseph Delmont

Die Stadt unter dem Meere (Roman)


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      Langsam wurde die Rundfahrt begonnen. Überall waren Nebenhöhlen; auch ein Platz wurde gefunden, wo man an »Land« gehen konnte. Stets blieb dieselbe Tiefe.

      Mader, gefolgt von zwei Leuten mit Strichen, Werkzeugen und Taschenlampen, sprang auf ein Felsplateau.

      Hier war, nur durch geringe Unebenheiten unterbrochen, eine Fläche von dreißig bis fünfunddreißig Meter Breite. Seitlich davon drang Mader mit seinen Leuten in einen riesigen Dom ein. Mächtige Tropfsteingebilde hingen von der Decke herab oder standen am Boden. Schneeweiß.

      Stalaktiten- und Stalagmitengebilde bizarrster Form.

      Säulen, hunderttausende von Jahren alt. Alabasterweiß.

      Tropfen, in unregelmäßigen Intervallen durch mehr als hunderttausend Jahre herniederfallend, brachten diese Säulen von zwei bis drei Meter Umfang zustande.

      Kleine Stalagmiten kauerten wie Gnome und tückische Zwerge am Boden.

      Dort sprang eine weiße Hexe mit krummer Hakennase und fliegenden Haarsträhnen aus der Mauer. Nur der Besen fehlte.

      Ein wunderbares, vorhangartiges Gebilde mit Spitzen am Rande, wie von einem großen Künstler erzeugt, hing hier an der Felsenmauer.

      Jetzt sah man ein Meer von kurzen Stalagmiten – wie ein Kinderkirchhof.

      Weiß. Wie mit Schnee überzuckert.

      Dort lagert eine Riesensäule, die umgekippt, gestürzt, einen Durchgang bildet.

      Sie ruht auf zwei mächtigen Stalagmitenstümpfen und neue Gebilde haben sich an der gebrochenen Größe geformt, die den wunderbarsten italienischen Alabasterarbeiten gleichen.

      Und jetzt, o Wunder!

      Ein klarer, zwei Meter breiter Bach stürzt über eine Silberwand in einen kleinen See hinab.

      Blinde Molche, rosig gefärbt, schwimmen träge in dem eisig kalten Wasser.

      Warm, fast zu warm, ist es in dieser Höhle, die zweihundert Meter tief unter dem Monte Alto liegt.

      Mader richtet seinen Weg nach der Bussole und findet sich damit zurecht.

      6

      Als Mader auf U.10 zurückgekehrt ist, sind die Reparaturen beendet.

      Manches konnte nur notdürftig geflickt werden.

      Die Mannschaften harren am Plateau und betrachten forschend ihren Kommandanten.

      Alle Arbeit wird auf Befehl Maders eingestellt.

      Im Halbkreis umstehen ihn die Leute.

      »Wir sind durch ein Elementarereignis in ein vielleicht zwei bis drei Jahrhunderttausende altes Wunder der Mutter Natur geraten. Ohne dieses Seebeben hätte vielleicht nie eines Menschen Fuß diese Stelle betreten.«

      Schweigend und gespannt horchen die Leute.

      »Die Strömung hat uns hier hineingetrieben. Wir müssen jetzt versuchen, zurückzufinden!«

      Aller Augen haften an Maders Mund. Von den Wänden des Domes hallen die letzten Worte lauter wieder, als sie gesprochen wurden.

      Obwohl unerschrocken, tapfer und sorgfältig ausgesucht, sind die Leute sich der gefährlichen Lage bewußt und in manches Auge kommt Angst. Auch das mutigste Herz schlägt schneller.

      »Können wir auf dem Unterseewege unseren Ausweg nicht finden, so müssen wir versuchen, durch den Berg hindurch zu kommen. Ob dies möglich sein wird, kann ich jetzt nicht sagen. Versuchen müssen wir beides.«

      Die Leute hören atemlos zu.

      »Wenn uns diese Wege verschlossen sind – dann müssen wir uns in das Schicksal ergeben. – Noch ist es nicht so weit. – Die Luft ist klar und nicht ungesund. Verpflegung ist für sechs Wochen und noch länger vorhanden, wenn wir die Vorräte einteilen. Betriebsstoff für Licht haben wir genug, um auf Wochen die Akkumulatorenbatterien zu laden. – Und jetzt, alle Mann an Bord!«

      In geordneter Ruhe ging der Einstieg vonstatten.

      Als Letzter hantelte sich Mader die Steigleiter herunter.

      Er blieb im Kommandoturm und begab sich zur Steuerungsanlage des Hauptruders.

      Der Befehl zum Klarmachen erging.

      Der Deckel zur Einsteigluke schloß sich. Die Positionslaternen außen am Boot erloschen.

      Der Rohölmotor begann auf langsame Fahrt zu arbeiten.

      Der angeschlossene Elektromotor fing an zu brummen und zu surren, und der mittlerweile wieder in Stand gesetzte Unterseescheinwerfer warf knallend seinen Strahl ins schwarzgrüne Wasser, den Weg auf dreißig Fuß erhellend.

      Im Kampf zwischen Licht und Finsternis siegte diese.

      Mader starrte auf das durch die Sehschlitze geworfene Bild. Fast nichts war zu erkennen.

      Langsam schob sich U.10 durch die Flut.

      Mader ließ das Boot auf 12 Meter Tiefe herab.

      Langsam, mit äußerster Vorsicht wurde gefahren.

      Kein Mensch wagte, ein Wort zu sprechen.

      Überall standen die Leute auf ihren Posten. Es ging ums Leben. Der Antriebsvorrichtung für das Tiefenruder ward besondere Aufmerksamkeit geschenkt.

      In den Herzen und Hirnen der Besatzung arbeitet es fieberhaft.

      Zurück wandern die Gedanken zur Kindheit, zum Elternhaus, zu Weib und Kind, zur Geliebten. Manch ein Schwur und Gelübde ward da im gepreßten Herzen laut, manche Bitte um Vergebung für ein erkanntes Unrecht rang sich aus dem Inneren.

      Der Antriebsmotor singt jedem ein anderes Lied. Die erhitzte Phantasie läßt Rufe Angehöriger vernehmen. Man will Glocken, Straßenbahnen, Autohupen und alles Mögliche gehört haben.

      Einer, der sich nie im Leben um Kinder gekümmert hat, Gustav Bender aus Altona, hört plötzlich Kinderlachen und Kinderstimmen.

      Langsam schiebt sich U.10 durch die nachtdunklen Wassermassen.

      Maders Augen brennen. Sein Kopf fängt an zu schmerzen.

      Am Maschinentelegraph steht Marinefähnrich Ulitz.

      Ulitz ist ein Jüngling von 21 Jahren. Immer lustig und zu allen möglichen Streichen aufgelegt. Er ist der Sohn einer unermeßlich reichen rheinländischen Großindustriellenwitwe.

      Mit heller Stimme gibt er die Kommandos Maders nach dem Maschinenraum weiter.

      Endlos scheint die Fahrt zu sein.

      Der Maschinentelegraph arbeitet.

      Mader befürchtet, daß er die Felswände anrennt. Sein Gehirn arbeitet krampfhaft.

      Das Kommando »zurück« erschallt immer häufiger.

      Das Schlimmste ist bis jetzt vermieden.

      Auf allen Posten herrscht große Nervosität.

      Obermaschinenmaat Möller ist ruhig und gibt die ihm zugerufenen Befehle mit klarer Stimme weiter.

      Sein Häuschen in Stade fällt ihm plötzlich ein. Er sieht seine alte Mutter, die besorgt in dem kleinen Gemüsegarten umhergeht. Bei jeder Staude, jedem Beet, jedem Baum denkt sie an ihren Jung’. Nie hat er gemerkt, wie lieb er seine Mutter hat. Unwillkürlich werden seine Augen naß. Zornig und unwillig fährt er sich mit dem Handrücken darüber.

      Die Gedanken Maders sind ganz von dem Suchen nach dem Ausweg gefangen. Er kämpft gegen andere Ideen an, die unwillkürlich in seinem Hirn aufsteigen. Fort damit! Menschenleben sind in Gefahr. Keine Sekunde darf er sein Sinnen Hertha von Zöbing weihen.

      Immer noch sucht U.10 den Kanal, den Tunnel, durch den es in diese finstere Unterwelt getrieben worden ist.

      Tastend fühlt sich das Boot vorwärts.

      Man