T.F. Carter

Lysistratos oder Der Traum von Freiheit


Скачать книгу

was?“

      „Eine männliche… äh… Was bist du doch gleich?“

      „Ja. Ich bin männlich. Und eine Ameise aus dem Stamm der altehrwürdigen Königin Formicula. Wir gehören zum großen Volk der Argonauten. Und du bist eine männliche Biene, oder? Wolltest du die Königin da oben gerade nicht?“ Die kleine Ameise kicherte in sich hinein.

      „Ich…“, Lysistratos räusperte sich, „ich habe nicht mitmachen wollen.“

      „Du wolltest was nicht?“

      „Ich weiß ja nicht, wie das bei euch Ameisen ist, aber wir Drohnen sterben danach. Das ist nicht fair.“

      Die kleine Ameise nickte: „Das ist bei uns auch so wie bei euch. Es ist so auch bei den Wespen. Fies, aber wir können es nicht ändern.“

      „Moment“, stutzte Lysistratos, „Du weißt es, aber du hättest mit deiner Königin…“

      „Aber natürlich“, nickte die kleine Ameise. „Sie hat mich ganz wuschig gemacht. Sie duftete unwiderstehlich.“ Die Fühler wippten erregt. „Bis die anderen Ameisen kamen. Sehr traurig… Und die Großen Schwarmzeiten sind praktisch vorbei. Ich muss schauen, ob ich noch eine Königin finde.“

      „Aber, aber wenn du keine findest, dann kannst du doch weiterleben!“

      „Und wie? Ich kann ja nicht mal alleine essen. Du etwa?“

      „Nein“, bestätigte Lysistratos. „Aber wir könnten es ja versuchen, oder?“

      Spöttisch neigte die kleine Ameise ihren Kopf: „Eine Lebensgemeinschaft von einer Ameise und einer Biene?“ Sie lachte. „Nimm es mir nicht übel, aber ich nehme dann doch lieber die Königin und schaffe etwas Bleibendes.“

      „Etwas Bleibendes?“

      „Natürlich. Mein Samen erzeugt einen ganzen neuen Stamm. Je mehr Samen ich in die Königin lege, desto mehr Kinder habe ich!“

      Lysistratos klapperte mit den Mundwerkzeugen, um sein Missfallen auszudrücken: „Du hast aber nichts davon. Du bist tot!“

      „Und was habe ich davon, alleine irgendwo dahinzuvegetieren? Eine einzelne Ameise? Wir sind Kollektivtiere, keine Einzelkämpfer.“

      „Wenn sich alle Drohnen zusammentäten… Und bei euch alle männlichen Ameisen…“

      „Und dann? Dann gibt es irgendwann keine Bienen und keine Ameisen mehr, oder?“ Die kleine Ameise tätschelte Lysistratos‘ Flügel. „Das wird bei uns oft diskutiert.“

      „Ihr wisst also vorher, dass ihr sterben müsst?“

      „Natürlich. Ihr etwa nicht?“

      Lysistratos schwieg, ohne die Frage zu beantworten. Dann sagte er: „Und dennoch geht ihr in den Tod?“

      „Na, nicht mit Freude, aber wir können die Natur nicht überwinden. Die Königinnen brauchen uns, und wir werden geehrt.“

      „Wie geehrt?“

      „Indem…“ Die junge Ameise brach ab, zeigte dann mit dem Fühler in die Luft: „Da ist Arachnoxia, die Spinnenbezwingerin! Sie sucht noch Partner. Ich muss los!“

      Über ihnen schwebte eine kleine Ameise, folgte in einem Bogen der kleinen Senke in der Wiese.

      „Halt!“ rief Lysistratos. „Hast du einen Namen, Freund?“

      Die kleine Ameise hielt noch einmal inne: „Antlove, ich bin Antlove.“

      „Ihr habt alle Namen?“

      „Natürlich. Ihr nicht?“ Antlove schaute nach oben. „Ich muss wirklich los, tut mir leid.“ Und fort war die kleine Ameise.

      Nachdenklich blieb Lysistratos unter dem Blatt zurück. Die Ameisen schienen ihre Männchen besser zu behandeln, aber an dem Tod führte nichts vorbei. War denn das Sterben mehr wert, wenn man dafür geehrt wurde? Man hatte doch nichts mehr von der Ehre…

      Er hatte kaum mitbekommen, dass die Große Dunkelheit aufgezogen war. Noch nie war er außerhalb des Bienenstockes gewesen, wenn die Große Dunkelheit kam. Und er konnte nicht zurück. Er hatte Hunger, ihm war kalt. Kühler Wind zog durch die Wiese, und müde erhob sich Lysistratos, flog, vorsichtig nach allen Seiten spähend, zum Waldrand, in der Hoffnung, dort etwas mehr Schutz vor der Brise zu bekommen.

      Seufzend landete er auf einem kleinen Pilz und begann, sich zu putzen. Kaum hatte er dies vollendet, ließ ihn ein Räuspern zusammenzucken.

      „Na, wen haben wir denn da? Wenn das nicht mal eine Überraschung ist.“

      Erschrocken wirbelte er herum und sah eine Bienenkönigin, die aus einem Astloch herausschaute. In der Dämmerung konnte er sie kaum erkennen. „Amalthea? Königin Amalthea?“

      „Die bin ich wohl. Und du bist doch dieser lustige Lysistratos, oder?“

      „Ja, der bin ich…“

      „Na, von dir hört man ja Sachen.“ Amalthea lachte. „Ich will hier in Ruhe mein neues Volk gründen, und urplötzlich ist hier mehr Flugverkehr als an unserem alten Flugloch.“

      „Flugverkehr? Wie meint Ihr das?“

      „Na, das weißt du nicht? Ihr habt alles in Unordnung gebracht, du und deine Drohnen. Was bin ich froh, dass ich schon zwei Große Helligkeiten zuvor ausgeschwärmt bin.“ Sie nickte mit den Fühlern und wedelte ihm entgegen. „Komm hoch, ich habe eine Botschaft für dich.“

      „Eine Botschaft? Für mich?“ Lysistratos traute seinen Ohren nicht. Erst als Amalthea ungeduldig mit den Fühlern winkte, folgte er ihr in das Baumloch. Die junge Königin hatte, wie er sofort sah, die ersten Waben gebaut und ihre Eier hineingelegt.

      „Meine ersten Babys. Arbeiterinnen. Ich freue mich, wenn es soweit ist.“

      „Bis dahin müsst Ihr alleine füttern? Ihr, als Königin?“

      Amalthea drehte sich zu ihm: „Siehst du hier sonst noch jemanden? Oder willst du das machen?“ Sie lachte. „Eure Mundwerkzeuge sind dazu nicht geeignet. Ihr könnt nicht füttern. Ihr könnt ja nicht mal alleine essen.“

      Essen… Er war so hungrig. Und er sah kleine Portionen an Nahrung, die Amalthea für ihre Brut vorbereitet hatte. Wie gerne würde er… Flehend schaute er auf das Essen.

      „Ah, die Drohne hat nichts zu essen, oder?“ Die junge Königin legte spöttisch den Kopf schief und seufzte dann auf. „Ich weiß nicht, warum ich das mache, aber bedien dich.“

      Mit offenem Mund beobachtete sie, wie Lysistratos sich abmühte, die Nahrung selbst aufzunehmen. Mit ein wenig Übung gelang es, aber ihm war klar, dass er, als Drohne, niemals so effizient sein konnte wie eine körperlich ganz anders ausgebildete weibliche Biene. Und die Nahrung selbst herstellen? Sich selbst schützen? Die Drohnen konnten ohne den Schutz und die Hilfe der Arbeiterinnen nicht existieren. Welch ein Dilemma.

      „Während du kaust, nun die Botschaft für dich, Lysistratos. Meine Schwester Xenia war hier. Sie sucht dich.“

      Lysistratos erstarrte. Xenia…

      „Sie hat mir erzählt, was bei euch da los war im Stock. Krawall, Revolution. Sie hat dir das Leben gerettet, oder?“

      Er nickte bestätigend mit den Fühlern. Warmes Gefühl stieg in ihm auf, als er an Xenia dachte.

      „Sie wollte dich hier am Waldrand treffen, aber du warst nicht da.“

      „Ich wurde von Prinzessin Doppelstern verfolgt. Und von einigen anderen Arbeiterinnen. Ich musste mich verstecken.“

      „Doppelstern, ja“, machte Amalthea. „Sie ist eine Kämpferin, eine echte Kriegerin. Ich kann mir vorstellen, dass es ihr Freude bereitet hat, dich zu jagen, Drohne. Aber du kannst jetzt unbesorgt sein. Sie ist vorhin zum Großen Flug aufgebrochen, und auch wenn unser altes Volk keine Drohnen mehr hat, gibt es noch genügend andere Drohnen. Doppelstern