Hinrich Schroeder-Hohenwarth

MAUL VERNIMMT


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wissen Sie. Wenn man dort auf der Bank sitzt, halten einen die Leute leicht für das, was sie brauchen, und ich mache es Ihnen leicht, das stimmt. Ich war mal ein Star." "Sie füttert die Tauben! Die schmutzigen Taubenvögel, sie weiß es nur nicht mehr", sagte Maul. "Ein Star, ja, das war ich. Die Welt liebte mich, aber nicht alle. Das war sehr schwer zu verstehen. Als ich zurückkam, nach dem Kriege, um sie wieder in die Arme zu nehmen, da erkannten sie mich nicht mehr. Und ich sang so schön für sie. Ich sang doch so schön. Aber sie hörten mich nicht. Ach, das Lied vom Mai - das Lied...! Ach, dieses Lied!..." Und sie fing wirklich an zu singen, brüchig, mit verzogenem Mundwinkel: "This morning May, I felt like dying. This no expression day, it caused no crying..." Und die Schöne nahm ganz langsam Marlenes Hände und fing an, mit ihr zu beten.

      Sie standen ganz dicht voreinander. Marlene bewegte lautlos die Lippen. Sie hatte den Kopf gesenkt, fast an die Brust ihrer Beterin. Der Schal lag um Marlenes Hals wie eine priesterliche Stola. Passanten schauten zur Seite. Die Leute drinnen an den Tischen waren geblendet von der Sonne. Ich sah, daß Mauls Mundwinkel zu zittern anfingen und machte ihm ein Zeichen, daß wir hier nichts mehr verloren hätten. Aber er versuchte immer noch, mir den Polizisten vorzumachen. "So ist das, Kleine, wenn man sich wirklich kümmert", sagte er und schluckte und hielt der Schönen den "Wachtturm".

      Ich ging allein zurück aufs Revier. Einmal sah ich mich um. Da standen sie immer noch, Maul neben der Schönen, die betete, und vor ihnen Marlene, ganz dünn, nach vorn gebeugt. Ich glaube, es waren auch Tauben in der Nähe, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Eigentlich müßten die Tauben aber dagewesen sein, finde ich, weil dann alles ganz normal ist.

      Maul sahen wir nicht mehr an diesem Tag. Jordan war außer sich wegen der Schichtpläne.

      KONKURRENTEN

      Als plötzlich wieder einer von den Fotografen im Zimmer stand, wurde Maul wütend, sprang auf und warf den baumlangen Kerl mitsamt seinem Kameralametta hinaus. Dann haute er mit der Faust zweimal auf die Mitte der Tür. Tatsächlich wurde die Meute im Flur leiser, und Maul fuhr Bußhards Trainer so laut an, daß jeder es hören mußte. "Wenn ich Sie hier schon zulasse, dann sorgen Sie gefälligst mit dafür, daß die Presse auch so lange abwartet, bis wir wirklich fertig sind! " Der Anwalt nickte, aber der Trainer grinste nur zum Flur und zuckte mit den Achseln. Maul knalle die Tür zu und setzte sich. Draußen Raunen. Bußhard saß nach wie vor mit hängendem Kopf, vorgebeugt, die Ellenbogen auf den Knien.

      "Also, ich fange noch einmal von vorne an!" Der Trainer grinste unentwegt. Bußhards zerbrochener Schläger lag vor Maul auf dem Tisch. "Von der Schutzgruppe 79 vorgeführt, erscheint um 20.20 Uhr Herr Peter Bußhard, geboren 05.02.1970 in Leipzig, wohnhaft in Schaan, Fürstentum Liechtenstein, Nendelner Straße 778, von Beruf Tennisspieler.

      Herr Bußhard soll in der Festhalle gegen 19.15 Uhr seinen Gegner, Jürgen Beck, nach einer Unterbrechung im Viertelfinale grundlos angegriffen und mit seinem Tennisschläger (als Asservat beigefügt) so schwer verletzt haben, daß Beck in die Notaufnahme der hiesigen Unfallklinik verbracht werden mußte. Bei der polizeilichen Vernehmung des Bußhard waren außer den Unterzeichnern auch der Anwalt des Angeschuldigten und sein Trainer anwesend.

      Nach Belehrung sagt Herr Bußhard zur Sache wie folgt aus:

      Es trifft zu, daß ich Herrn Beck geschlagen habe, aber er hat es sich selbst zuzuschreiben. Ich kenne Herrn Beck aus früheren Turnieren, auch als es die DDR noch gab. Meistens habe ich gegen Herrn Beck verloren, aber er war auch im Vorteil, weil er die neuesten Racks und ausländische Trainer hatte. Außerdem glaube ich, daß Beck auch Kampfrichter gekauft hat. Nach der Öffnung der Mauer sind große Sportfirmen an mich herangetreten und haben mir Material und Verträge und Trainingspartner, auch in ausländischen Lagern, und eine Wohnung bei Vaduz angeboten. Ich konnte mich ganz darauf konzentrieren, gegen Beck zu gewinnen und auf der Rangliste nach vorne zu kommen. Die Verträge waren gut und meine Auftritte im Fernsehen kamen an. Sogar Banken und Molkereien machten Fototermine oder Kundenseminare mit mir. Auch die Meldungen zu den wichtigsten Turnieren klappten ohne weiteres, so daß ich immer häufiger die Chance hatte, gegen Beck zu gewinnen. Und ich gewann auch.

      Ich bin sicher, daß Beck allmählich Angst vor mir bekam, denn er begann, etwas über meine sportliche Entwicklung in der DDR in die Presse zu bringen, meine Parteizugehörigkeit zum Beispiel, und die Behauptung, in Döberitz wären verbotene Schnupfenmittel ausgegeben worden. Ich selbst habe aber dort überhaupt nie trainiert.

      Auf Nachfrage erläutere ich, daß nur Beck oder seine Presseberater diese Meldungen oder Behauptungen verbreitet haben können, weil das anfing, als ich eine Serie von wichtigen Spielen gegen Beck gewann. Und gleichzeitig kam auch der bekannte Werbespot 'raus mit seinem Aufschlag von Houston. Mir war klar, daß Beck versuchte, mich außerhalb des Courts fertigzumachen, als er die meisten Spiele gegen mich verlor.

      Auf Vorhalt muß ich zugeben ..."

      Der Anwalt räusperte sich, sagte aber nichts.

      "... muß ich zugeben, daß Berichte zutreffen, wonach ich es in dieser Zeit vermied fernzusehen. Ich ließ mich auch meistens mit zugezogenen Gardinen zum Match fahren, um die Reklametafeln nicht zu sehen. Meine Proteste gegen die Bandenwerbung in einigen großen Austragungsorten in Amerika waren jedoch nicht erfolgreich. Andererseits konnte ich nicht nur auf den wenigen Plätzen spielen, die keine solche Werbung zuließen, weil ich vor allem Beck besiegen wollte.

      Ich verbesserte deshalb auch mein autogenes Training und lernte,automatisch zwischen einem Bericht im Radio und der folgenden Werbung zu unterscheiden. So konnte ich es fast immer vermeiden, die Werbung mit diesem zischenden Ball zu hören. Richtig ist allerdings, daß meine Prozesse gegen Beck erfolglos waren, mit denen ich versuchte, ihm die Werbung mit dem Aufschlag von Houston zu verbieten.

      Trotz meiner Konzentration auf die Spiele gegen Beck hatte ich jedoch den Eindruck, daß er mich mit einer riesigen Schmutzkampagne, einer gemeinen, unsportlichen Rufmordwerbung überzog und daß ich ihm unterlegen war, weil ich da nicht mithalten wollte. Obwohl ich also immer häufiger gewann, wurde ich immer verschlossener, fühlte mich zurückgesetzt und mit Gemeinheiten beworfen. Mein Spiel wurde deshalb auch immer aggressiver. Und ich sah, daß ich in meiner Wut viel mehr erreichte als früher, wenn ich vernünftig spielte.

      Aber natürlich forderte meine Spielweise auch Beck immer mehr heraus, obwohl ich häufig den Eindruck hatte, daß er mich mit Wonne hetzte und meine Schwäche auf Tartan-Plätzen nutzte, um meine Bänder so zu überdehnen, daß man aus den Lautsprechern meinen Schrei hörte und tagelang in den Sportsendungen sah, wie ich die Zähne zusammenbiß, daß die Halsschlagader hervortrat.

      In den letzten Spielen brüllten wir uns auch schon mal an und bekamen Verweise. Aber als er zum Netz kam, um, wie es aussah, mir zum Sieg zu gratulieren, riß er unerwartet an meiner Hand und hat mir fast den Arm ausgekugelt. So ist der Beck."

      "Nu ja, wenn man gewinnen will..." Der Trainer wartete einen Moment, bis alle ihn ansahen und fuhr dann im breiten Wienerisch fort:

      "... wenn man gewinnen will, braucht man einen Feind, das hab ich Dir doch immer gesagt, Peter. Auf dem Court! auf dem Court natürlich nur. " Im Treppenhaus wurde es wieder lauter. Maul hatte keine Zeit, sich mit diesem Stenz aufzuhalten.

      "Ich fahre fort, wenn Sie sonst nichts zu sagen haben: Das letzte Mal, als er gegen mich gewonnen hatte, in Pretoria, da hat er vor Freude seinen Schläger in die Luft geworfen, und ich kam vorgelaufen, um ihm zu gratulieren. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit, sondern er hat natürlich nach mir gezielt, und als ich fast bei ihm bin, schlägt er mir den Griff vom Rack aufs Schlüsselbein.. Und was zeigen die Fernsehanstalten? Den Freudentanz von Beck, den Schläger in der Luft, seine ausgestreckte Hand und dann dieser Schlag. Ich versuche natürlich instinktiv auszuweichen, lasse mich zu Boden fallen und alles lacht. So ist es immer, seit ich hier im Westen spiele. Das hat doch mit Sport nichts mehr zu tun, das ist brutalster Kapitalismus, vor dem man uns immer gewarnt hat.

      Auf Ermahnung, zur Sache zurückzukommen, entgegne ich, daß genau dies die Sache ist. Mit meiner Schilderung des Turniers heute fahre ich wie folgt fort: Gleich zu Anfang hat Beck einen Return wieder so gesetzt, daß ich ganz weit ausgrätschen mußte. Ich ahnte schon, was mit meiner