Nicole Sturm

DER ERZENGEL JOHANNES


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herrscht eine dickflüssige Stille, bis Johannes Stimme die Luft zerschneidet.

      Mara wird nicht erlöst. Was hat sie davon, dass wir sie opfern?

      Du hättest sie einfach gehen lassen sollen, dann wäre sie jetzt nicht in dieser Lage. Sie wäre beim Herrn.

      Die Worte fallen kalt aus Vinzenz Mund. Johannes Fingernägel ziehen vier kurze Strecken auf dem Küchentisch.

      Du kannst froh sein, dass ich heute in guter Stimmung bin, ansonsten hätte ich dir den Unterkiefer, für diese Frechheit, ausgerissen, Pfaffe. Der Erzengel Michael ist versessen auf …

      Gott wird dem Erzengel verbieten euch zu helfen.

      Dieser Wichser würde alles tun, um Mara durch das Himmelstor zu schleifen, selbst wenn er dabei zum Dämon wird! Du kriegst deine scheiß Feder, Gott wird Mara und mich für immer trennen und die Dämonen bleiben hier, um hinter euch aufzuräumen, aber nur wenn wir Legion nicht besiegen können.

      Ihr stört euch an einem Opfer? Wie viel Blut habt Ihr vergossen, wie viel Leid habt Ihr zugefügt?

      Stellvertretend für den restlichen Raum verliert Johannes kurz seine Beherrschung.

      Ich diskutiere doch nicht mit einem Katholiken über das Zufügen von Leid! Wenn Legion hier aufkreuzt treten wir ihn in seinen fleischgewordenen Arsch, aber vorher verliert der Papst sein Haupt. Nicht mal für beide Tafeln und die Bundeslade, liefern wir einen von uns an euch aus!

      _KAPITEL 15

      _Frankreich // 1245

      D

      er Sonnenaufgang schleicht sich an zwei Liebende heran. Das Korn wiegt im Takt des Windes den Morgentau von den Stängeln. Maras Fuß streichelt sanft über Johannes Unterschenkel. Der Dämon dreht sich mit schlafenden Liedern und einem wohligen Lächeln, auf den Rücken. Der Tau auf Maras nackter Haut rinnt ihre Form hinunter. Es kitzelt die Tropfen. Sie steht auf und streckt im Gedanken ihre Flügel, während ihre Beine durch das goldene Feld streichen. Sie geht ein paar Schritte die Anhöhe hinunter, wobei das Licht sich auf ihrer Haut wärmt. Mara kniet sich und riecht an einer einsamen Mohnblüte. Ihre Finger streichen über den grünen Stängel, doch sie weigert sich die Anmut zu pflücken. Die grünen Augen schweifen über den friedlichen Horizont. Sie richtet sich auf und dreht sich wieder zu Johannes. Das Korn biegt sich unter ihren filigranen Schritten, bis sie sich wieder neben Johannes legt und ihr Haupt auf seine Brust bettet. In ihren Ohren mischt sich der drehende Wind mit Johannes Herzschlag. Licht fließt durch seine Augenlider.

      Johannes?

      Ja?

      Werden die Menschen eines Tages aufhören?

      Ihre Worte klingen weniger besorgt als stagnierend.

      Ich meine, werden sie jemals … ich versteh nicht wie sie sich lieben und kurz darauf so grausam zueinander sein können. Sie müssen doch … irgendwann …

      Das ist Freiheit.

      Sich gegenseitig abzuschlachten?

      Sich unschuldig zu fühlen, nachdem man es getan hat.

      Mara fühlt wie Johannes ruhige Stimme durch seinen warmen Körper strömt.

      Gott macht es den Menschen im Leben zu schwer und zu leicht im Tod. Er will sich seinen Fehler nicht eingestehen.

      Mara drückt sich mit den Füßen an Johannes hoch und legt ihren Kopf auf seine Schulter. Ein Moment des Glücks liegt auf seinen Lippen.

      Deine Haare riechen nach Rauch.

      Maras Blick entgleist. Mit einer Hand auf dem Boden und einer auf Johannes Brustkorb, stemmt sie sich hoch. Am Horizont erheben sich drei Rauchsäulen. Der Geruch von brennenden Menschenfleisch, getragen von der warmen Morgenluft, hat etwas Endgültiges. Johannes richtet sich auf. Nur wenige Schritte den Hügel hinauf, blicken beide erneut auf die Unwürdigkeit der Seelenträger.

      Die Scheiterhaufen sind zu weit weg um die Schreie der Frauen und ihrer Mörder zu hören, doch die tanzenden Flammen sind selbst im Tageslicht gut zu sehen. Ohne ihr Zutun steigt ein einzelnes Wort aus Maras Mund.

      Hexen.

      Jetzt morden die Christen schon vor dem ersten Stück Brot.

      Johannes schließt seinen Mund und sieht zu seiner Gefährtin. Sie streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und blickt nachdenklich in den dichten schwarzen Rauch.

      Wie willst du sie strafen?

      Wie straft man Menschen die andere verbrennen, nur weil sie die falschen Pflanzen im Wald pflücken?

      Mara sammelt sich einen Moment, bevor sie antwortet.

      Langsam. Jeden der einen Holzscheit gegeben, geschlagen oder angezündet hat.

      Sie dreht sich schwungvoll um, dass ihre Haare den Wind, für einen kurzen Moment, bezwingen.

      Ich zieh mich an.

      _KAPITEL 16

      _Garten // Heute Nacht

      D

      ie Türe schließt sich hinter dem kleinen Mädchen, das barfuß den schäbigen Garten betritt. Im Arm hält sie eine nackte Puppe mit rotem Lockenkopf. Das Kind ist erst sieben Jahre alt, doch der Engel, der sich ihrem Körper bemächtigt, ist so alt wie die Idee der Zeit. Während Kevin und Cengiz sich über Baby-Pitbullwelpen mit Schwimmflügeln streiten, beißen sich die Blicke der beiden Engel. Hinter dem Mädchen erheben sich hochmütige, für Menschen nicht sichtbare, Flügel aus gleißenden Licht. Mara würde mit der Flasche nach dem Engel werfen, doch sie würde nur das Kind treffen. Tiefschwarze Runen ziehen von ihren Schulterblättern über ihren Nacken. Das kleine Mädchen holt aus und wirft den dreien die Puppe vor die Füße. Cengiz und Kevin beenden die Schwimmflügel-Diskussion und springen beide synchron von ihren Stühlen auf. Kevin fällt fast vorne über.

      Du wohnst doch nich' hier!

      Bist du weggelaufen?

      Hat dir jemand wat getan?

      Wir hauen den platt!

      Mara verliert kurz ihre Coolness.

      Jungs, setz euch und haltet die Klappe!

      Die beiden folgen ihrem Befehl mit wackligen Beinen.

      Jawohl Frau General.

      Mara hebt ihr Kinn und blickt auf das Mädchen herab.

      Was hat er zusagen, was er mir nicht selbst sagen kann?

      Kevin und Cengiz sehen verwirrt hin und her. Das besessene Mädchen beginnt.

      Du und dein Gefährte haben den Menschen nicht errettet, Simon hat die Gemeinden in Ketten gelegt, die er von seinen eigenen Schultern nahm und Jesus wollen sie nicht folgen. Um ihr Leben zu schonen, wollen Simons Soldaten die Federn durch den Engel selbst ersetzen. Ein Opfer, das der Himmel billigend in Kauf nehmen würde.

      Die beiden Männer sind zu perplex, um einen Kommentar abzugeben.

      Kein Prophet wird gesandt, kein Wunder wird getan, doch gibt es welche in eurer Runde, die fähig sind. Nicht nur das Böse ist rastlos. Es ist nicht nur Verantwortung.

      Kevin kann sein Nichtverständnis nicht mehr mit seinem Alkoholkonsum erklären.

      Wat zur Hölle läuft denn hier?

      Das kleine Mädchen zeigt erst auf ihn und dann auf Cengiz.

      Die Menschen dürfen sich wehren. Gottes Willen können sie Legion besiegen.

      Das kann nicht dein Ernst sein!

      Mara ist fassungslos, ihr Verstand fällt zu Boden