Nicole Sturm

DER ERZENGEL JOHANNES


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»seine Schnauze« zu halten. Er steht ein wenig unter Stress, da er seit zwei Minuten von der, technisch ebenbürtigen, Autobahnpolizei verfolgt wird. Im Handschuhfach liegt eine Schreckschusspistole und im vermüllten Kofferraum ein halbes Kilo Heroin, dass bei 210 km/h durch die mit Panzertape umwickelte Tüte geschüttelt wird.

      Können wir an der nächsten Tanke mal halten? Ich hätte gerne ein Eis.

      Der gefallene Engel auf dem Beifahrersitz kann nicht anders als über sich selbst zu lachen, dabei vollführt der Fahrer ein filmreifes Überholmanöver.

      Drück drauf, der Wagen muss um drei wieder bei Sixt sein.

      Das dreckige Grinsen mischt sich mit ehrlichen Vergnügen. Noch ist kein Mensch zu Schaden gekommen, nur ein paar Kratzer im Lack und ein abgefahrener Seitenspiegel sind zu beanstanden. Gewarnt von Sirene und Blaulicht fahren die meisten, der anderen Wagen, auf dem Standstreifen und lassen Verfolger und Verfolgten passieren.

      Ich schnalle mich mal besser an.

      Scheiß Bullen!

      Ja ich weiß, scheiß Bullen. Du hast jetzt genug Menschen den Schock ihres Lebens verpasst. Bist du bereit?

      Der gefallene Engel faltet seine Finger ineinander, dreht die Handflächen nach vorne und streckt die Arme kurz durch. Der Fahrer hört das Knacken nicht.

      Dann los. Bei Druckverlust in der Kabine fallen automatisch Sauerstoffmasken von der Decke.

      Mit einem ohrenbetäubenden Knall platzt der vordere linke Reifen. Der Wagen kommt ins Schleudern, prallt gegen die Leitplanke und überschlägt sich graziös und befreit. Während es gegen die Schädelwand gepresst wird, gibt das Hirn des Fahrers, aus Panik, alles frei was irgendwie helfen könnte. Der Beifahrer amüsiert sich köstlich. Nach zwei Drehungen um die eigene Achse, landet der Wagen auf seinen Reifen, dreht sich auf der brechenden Achse und rast, als Geisterfahrer, auf die rechte Spur zu.

      Nice!

      Der Polizeiwagen kann gerade noch ausweichen, doch der eben erst überholte LKW reißt die linke Seite des Wagens gnadenlos ab. Der Fahrer ist sofort tot und für eine Identifikation per Gesicht nicht mehr zu gebrauchen. Der LKW-Fahrer kämpft mit dem Lenkrad, aber die Physik reißt den, mit roten Friedhofskerzen beladenen, Anhänger erbarmungslos zu Boden. Die andere, fast unbeschädigte, Seite des Wagens kommt währenddessen funkensprühend zum Stillstand. Luzifer öffnet seinen Gurt und reicht nach dem Türgriff.

      Ach, was mach ich.

      Über sich selbst lachend steigt er über die Handbremse aus dem Auto.

      Nächstes Mal fährst du lieber mit der Bahn!

      Zufrieden beobachtet er den ersten Polizisten, der versucht den Verkehr hinter ihnen zu sichern, der zweite geht, mit gezogener Waffe, im Laufschritt auf das geteilte Auto zu. Ein angewiderter Blick reicht und er steckt die Waffe wieder ein. Luzifer spricht in seine Gedanken.

      Der ist Matsch, der Bastard.

      _KAPITEL 2

      _Näher als dir lieb ist // Heute Nacht

      V

      inzenz blasse Finger umfassen zitternd den Türgriff, der matt-schwarzen Limousine. Eine Routine, die der schmächtige Priester, genannt Bruder Rocco, nicht verlernt hat, auch wenn man ihm heutzutage selbst die Wagentüre aufhält. Niemals gab es Zögern oder gar Zweifel, aber in dieser Nacht würde er lieber in Flammen aufgehen, als Monsignore wieder aus dem Wagen zu helfen. In der schwarz getönten Scheibe verhöhnt ihn sein schwitzendes Spiegelbild. Vinzenz, der Eliteschüler, Ausnahmetheologe, der jüngste Exorzist in der Geschichte der römisch-katholischen Kirche, ein ängstliches Häufchen Elend. Unterlegenheit war ihm bis heute fremd, er hat zwar ein erstaunliches Ego, aber kein dazu passendes Selbstvertrauen. Dieses fehlt ihm nun.

      Noch vor siebzehn Stunden stand er, verwundert über das Wiedersehen mit seinem alten Lehrmeister Nepomuk, in den Privatgemächern des Papstes, nun ist er einer der wenigen Menschen, die wissen wo es passieren wird. Drei dieser Privilegierten umgibt eine Energie, die man im Volksmund einen Heiligenschein nennt. Sie, und vier weitere Seelenträger sind jedoch nur Gäste, sowohl in dieser Prophezeiung, als auch im schäbigen Betonblock, vor dem Vinzenz geparkt hat. Die anderen Eingeweihten, abgesehen von ihm und dem Insassen der Limousine, befinden sich ausnahmslos im Vatikan. Vinzenz hält noch immer den kalten Türgriff in seiner ruhelosen Hand. Seine Instinkte und sein Verstand sind sich einig, er will kein Märtyrer werden. Wenn die Verhandlungen scheitern ist er ein toter Mann und selbst wenn sie erfolgreich sind, gibt es keine Garantie darauf die Nacht zu überleben. Im Wageninneren lässt ein faltiger Finger das verdunkelte Glas herunter fahren. Eine Schockwelle zieht durch Vinzenz Körper, als er das Brummen des kleinen Motors, in der hinteren Türe, vernimmt. Das schwarze Priestergewand sträubt sich von seinem Körper, seine Lider trauen sich nicht zu blinzeln. Die Scheibe verschwindet in der massiven Autotür und gibt Nepomuks eingefallenes Gesicht preis. Seine Augen sind eisblau. Die Falten auf seiner Stirn zeugen von Strenge und Sorgen.

      Bruder Rocco.

      Ja, Monsignore.

      Öffnest du einem alten Mann die Türe?

      Ja, Monsignore.

      Die Scheibe fährt hoch und Vinzenz wirft ein weiteres Mal einen überforderten Blick auf sich selbst. Er zieht am Türgriff und die kalte Nachtluft strömt erneut in den Wagen. Ein maßgefertigtes Paar Schuhe, das über mehr Leichen gestiegen ist als so mancher Soldatenstiefel, tritt zum letzten Mal auf den schwarzen Asphalt. Ein weißer Gehstock und ein Whiskyglas, voller schmelzenden Eis, bleiben alleine im Wagen zurück.

      Auf den Schultern des alten Mannes lasten fast tausend Dämonen, dazu dutzende Menschen, Kinder, Alte und Schwache, die den kraftraubenden Exorzismus nicht überlebt haben. Heute werden sie ihn dafür lynchen, davon ist er überzeugt, Flucht ist keine Option. Vor dem nächsten Glockenschlag ist er bei Gott. Ein Haus voller gefallener Engel ist für Nepomuk normalerweise kein Grund zur Panik, aber heute kann er sie nicht vertreiben. Man kann Dämonen aus einem Besessenen vertreiben, aber die oberste Riege der Gottlosen nimmt, in der Welt der Seelenträger, ihre eigene Gestalt an. Sie fürchten sich nicht vor Kreuzen, Gebeten und Weihwasser. Wenn Gott sie nicht verstoßen hätte, könnten sie im Himmel und auf Erden ein und ausgehen, kein Mensch, auch kein Diener Gottes, kann ihnen gebieten. Nur die Engel und Gott selbst können sie in die ewige Hölle verbannen, doch der Herr besteht wohl auf ein bizarres Gleichgewicht. Mit Terroristen und Dämonen verhandelt man nicht, ihnen bleibt aber nichts anderes mehr übrig. Der Atem beider Männer schlägt Pfade in die Luft.

      Ist dir schlecht?

      Ja, Monsignore.

      Musst du dich übergeben?

      Nein, Monsignore.

      Vinzenz?

      Es ist das erste Mal, dass der alte Exorzist ihn nicht mit seinem Ordensnamen anspricht.

      Ja, Monsignore?

      Sag ruhig Nepomuk. Die Zeit der Förmlichkeiten ist vorbei.

      Nepomuk zieht eine Schachtel Marlboro aus seinem Gewand, die Packung ist eingedrückt und nur ein Rest von Kleber zeugt von der Steuerbanderole. Er zieht apathisch die letzte Zigarette aus der Schachtel. Vinzenz zieht reflexartig ein altes Streichholzbriefchen aus seinem Gewand. Er trägt es noch als Glücksbringer mit sich, seitdem er selbst den Exorzismus lehrt. Er öffnet es, bricht ein Streichholz ab und zieht den Kopf über den roten Phosphor. Die aufspringende Flamme erhellt die Gesichter der Gottesmänner. Obwohl es vollkommen Windstill ist, hält Vinzenz schützend eine Hand vor das brennende Streichholz. Der alte Mann nimmt einen kurzen, dann einen tiefen Zug. Die Zigarette löst sich von seinen Lippen.

      Schwefel ist der Moschus der Hölle.

      Nepomuk bläst den Qualm in die Dunkelheit. Er schnippt die Asche von der Zigarette, die er nun vier Monate verschont hatte. Hinter den beiden