Nicole Sturm

DER ERZENGEL JOHANNES


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Für Wünsche ist es zu spät. Vinzenz verliert den Überblick über seine Gedanken. Die geheimen Schriften, über den Nicht Geflügelten an Jesus Seite, kennt er in und auswendig. Johannes und seiner Gefährtin werden Sieg und Fall prophezeit, doch die Bildsprache ist wage und verschwommen. Nur der Vers »Der Satan wird durch das Blut des Priesters schreiten«, ist deutlich genug, um Vinzenz in einen konstanten Zustand der schleichenden Panik zu versetzen. Nepomuks Stimme schleicht.

      Wie hieß dein Mädchen?

      Monsignore?

      Dein Mädchen? Du hattest doch sicher mal eine Freundin bevor du das Zölibat geschworen hast.

      Vinzenz sammelt sich, sein goldenes Kruzifix bebt, im Takt seines rasenden Herzens.

      Lisa, Monsignore.

      Nepomuks Gesicht formt sein letztes Lächeln und seine Lippen wiederholen Vinzenz Antwort.

      Lisa.

      Nepomuk zieht erneut an seiner Zigarette.

      War sie hübsch?

      Nepomuks Frage entlässt Vinzenz für ein paar Sekunden aus seinem Schicksal.

      Sie war wie ein Engel, Monsignore.

      Der Rauch strömt stockend aus Nepomuks Nasenlöchern.

      Vinzenz, du wirst die Verhandlungen leiten?

      Vinzenz Blick entgleist.

      Ich, Monsignore? Aber, aber ich …

      Dieses Haus ist voll von Bestien, die sich nach meinem qualvollen Tod sehnen. Und ich kann es ihnen nicht einmal verübeln. Ich würde es genauso machen. An mir werden sie Rache üben, aber ohne mich wird er dich gar nicht erst anhören. Das ist der Deal. Johannes ist unberechenbar. Mach nicht den Fehler ihn wie einen Apostel zu behandeln, er ist nur ein Dämon.

      Vinzenz sieht besorgt zu seinem alten Lehrmeister, der ein letztes Mal an der leicht geknickten Zigarette zieht.

      Nepomuk?

      Ja?

      Ich fürchte mich vor dem Antichristen.

      Nepomuk lässt die halbe Zigarette neben seinen Fuß fallen.

      Es steht geschrieben: Fürchtet euch nicht.

      Es steht viel geschrieben.

      Nepomuk wendet seinen Blick, seine Furcht vor dem Tod und seine Zweifel, zu Vinzenz. Vor seinem geistigen Auge, sieht der alte Mann den ersten Dämon, den damals sein Lehrmeister aus einem Menschen vertrieben hatte. Es war ein junges Mädchen, das entkräftet nach dem Exorzismus starb. Fast wäre es Nepomuks erster und letzter Versuch geworden. Die Worte seines alten Lehrers springen auf seine Lippen. Er muss nur den Namen austauschen.

      Es ist nicht der Moment für Zweifel, Vinzenz.

      Vinzenz Augen ruhen auf dem schäbigen Betonpalast vor ihnen.

      Ich zweifle nicht Monsignore.

      Das Streichholzbriefchen gleitet langsam aus seinen Fingern. Es prallt auf den Asphalt und springt auf einer Ecke wieder nach oben.

      Ich habe noch nie gezweifelt.

      _KAPITEL 3

      _Hausflur, Erdgeschoss

      I

      ch fick euch beide. Ich fick euch, bis euch die Wichse zu den Ohren rauskommt. Ja! Ich fick euch in zwei, dann seid ihr Vierlinge.

      Pablo grinst über beide Ohren. Die zwei Japanerinnen in seinen Armen kichern, sie sind durchaus mit seinem Vorschlag einverstanden. Sechs Beine schreiten im Gleichschritt voran. Vier, von ihnen, werden bedeckt durch pinke Nylonstrümpfe, zwei durch weite schwarze Jeans. Pablos Augen schreiben neongrüne Runen, an die weißen kalten Wände des Flures. Diese Zeichen bestehen aus gestochen scharfen Strichen, dessen Licht nur für Wesen sichtbar sind, die nicht von Menschenhand getötet werden können. Pablo ist ein Mensch, aber er wurde eingeweiht, alles läuft nach Plan. Sein Grinsen trifft den stumpfgetretenen Steinboden. Vor der Türe drückt jemand auf jede der konsequent nicht beschrifteten Klingelknöpfe.

      Wisst ihr das Leben, also das Leben, das ist wie…

      Lautes Klopfen unterbricht sowohl das Vorspiel, als auch den wahrscheinlich klügsten Satz der nie vollendet wurde.

      Sind wir hier im Mittelalter? Klingelt, so wird euch aufgetan. Kannst du mal kurz… Ich hab grad' beide Hände voll.

      Pablo greift voller Vergnügen nach der linken und rechten Pobacke seiner Begleiterinnen. Die Dame zu seiner rechten öffnet die Türe. Zwei Männer in schwarzen Kutten stehen davor. Die Blicke des einen huschen zwischen Pablo und den spärlich bekleideten Frauen hin und her. Der Blick des anderen ruht still auf dem Antlitz der wachsenden Schadenfreude.

      Seid ihr wegen des Weltuntergangs hier?

      Pablos Ausdruck ist durchtränkt von Hochmut. In Hochmut will er untergehen und in Wollust will er ertrinken. Der Herr wird ihm diesem Gefallen tun. Er hat es sich verdient. Vinzenz Kopf dreht sich zu Nepomuk, doch der alte Mann bleibt starr.

      Wir suchen Johannes, welchen Nachnamen er sich momentan gibt, ist uns nicht bekannt.

      Pablo senkt seinen Kopf, dabei verharrt sein Focus starr in Nepomuks Augen. Das Tier im Menschen zerrt an seiner Stimme.

      Stockwerk Neun! Wer suchet, der findet.

      Die Runen verbleichen mit einem Luftzug auf den Wänden. Der Raum wird dunkler, jedoch nur für Nicht-Menschen.

      Wir haben 'nen weiten Weg bis oben, sie können ja mit dem Aufzug fahren, wenn sie es drauf anlegen wollen. Ich geh Knattern, ihr Lappen. Sayonara!

      Pablo schiebt seine Begleiterinnen, die breite Treppe hinauf. Die Asiatinnen tippeln schnellen Schrittes voran.

      Wer als erste oben ist, darf als erste oben liegen!

      _KAPITEL 4

      D

      ie zerkratzten Türen schließen sich unbeeindruckt hinter den Priestern. Der Fahrstuhl tut seine Pflicht. Als die Kabine beginnt sich den Schacht hoch zu quälen, schießt Vinzenz Adrenalinspiegel an die Decke des Aufzugs. Verhandlungen mit Dämonen sind kein Bestandteil der Ausbildung.

      _1.Stock

      Seine Hände zittern, als hätte man ihm eine Schlinge aus Stacheldraht um die Kehle gelegt.

      _2.Stock

      Ihm wird kalt, eine Gänsehaut krabbelt seine Waden hoch. Er unterdrückt den Schüttelfrost.

      _3.Stock

      Er sieht in den dreckigen Aschenbecher der 30 Jahre alten Apparatur.

      _4.Stock

      Die zwei Neonröhren an der Decke des Fahrstuhls flackern zweimal.

      _5.Stock

      Nepomuk steht, auch ohne seinen Gehstock, fest wie ein Fels, im fahrenden Raum.

      _6.Stock

      Die Kabine hüllt sich in Dunkelheit. Der Reihe nach sterben die Lampen in den Knöpfen, die zu sechs unbewohnten Etagen führen. Die urzeitliche Etagenanzeige folgt ihrem Beispiel.

      _7.Stock

      In der Dunkelheit fängt der Motor des Fahrstuhls an, Laute aus den Bronchien zu ringen.

      _8.Stock

      Die Zeit bleibt für den faltigen Mann stehen. Zigarettenrauch quillt aus seiner Nase.

      Ich dachte du holst mich als sie mich in die Röhre geschoben haben, dann dachte ich mich du holst mich, als sie mir die erste Infusion