Nicole Sturm

DER ERZENGEL JOHANNES


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Box steige, ich bin hier, wie ihr verlangt habt.

      _9.Stock

      Die verkratzen Türen Fahrstuhltüren öffnen sich vor den befreiten Priestern. Dumpfe Basswellen dringen in die Kabine.

      _KAPITEL 5

      _Etage 9, Flur

      G

      rüner Absinth zieht Schlieren durch Adams Glas. Seine Augenlider sind kurz davor endlich aufzugeben. Er ist am Ende und die Wand ist seine letzte Gefährtin. An ihr ziehen Runen durch den Flur, doch sie leuchten nur schwach zum Takt der klarer werdenden Musik. Seine Beine versagen, er sackt an der kahlen Gefährtin zusammen. Adams Sicht wird trübe, das Licht flimmert auf seiner Netzhaut, seine Lippen werden taub. Gleich ist es soweit. Als er den Fußboden erreicht, treten die Katholiken durch die schwere Metalltüre, ihr Quietschen ist Adams letzter Vorhang. Vinzenz schließt ihn langsam hinter Nepomuk. Adams unscharfer Blick fixiert den rissigen Boden vor ihm. Schleifend streckt er ein Bein nach dem anderen aus. Der Gang des alten Exorzisten ist langsam, aber er lässt sich von der leichenblassen Schnapsleiche nicht ausbremsen. Vinzenz und Nepomuk steigen nichtssagend über ihn. Stotternd dreht Adam seinen Kopf zu ihnen, seine Worte sind klar.

      Is' offen.

      Man kann den schweren Takt in den schwarzen Kutten hören, in Adams Ohren klingt es als würde man einen Teppich ausklopfen. Seine Stimme wird schwächer.

      Er wird euch töten.

      Nepomuks Gang bleibt unverändert, Vinzenz Blick trifft eine endlose Sekunde auf Adams Zustand. Der alte Lehrmeister gibt eine Anweisung.

      Lass ihn. Er hat sein Schicksal gewählt.

      Nepomuks Blick weicht keinen Grad von der weißen Türe am anderen Ende des Flures ab. Adams Stimme flimmert.

      Ihr wählt euer Schicksal.

      Vinzenz Blick schnallt zurück. Nepomuks Stimme ermahnt ihn.

      Er hat es verdient.

      Mit seiner letzten Kraft leert er seine Lungen.

      Einen Scheiß hab ich verdient. Einen Scheiß hab ich verdient, du dreckiger Kinderficker!

      Vinzenz Finger drücken gegen die, im Takt vibrierende, Wohnungstüre. Adams Finger entlassen sein Glas in die Freiheit.

      Klack.

      _KAPITEL 6

      _Wohnküche

      G

      länzende Pappbuchstaben hängen über dem Türrahmen, sie erinnern an die Happy Birthday-Schriftzüge von Kindergeburtstagen. »Weltuntergang!« Im verqualmten Raum, der offen in das schmucklose Wohnzimmer übergeht, befindet das »Who is Who« der verstoßenen Unterwelt. Es riecht nach erlesenem Cannabis und Schießpulver. Auf der Gästeliste stehen, unter anderem, Baphomet der Götze der Tempelritter, der blinde Erzengel Sammael besser bekannt als Gevatter Tod, Mammon und Melchom, welche die Gier der Menschheit gegen sie richteten, Jahi die Mutter der Hurerei, Abaddon der den Schlüssel zur Hölle mit sich trägt, Nybbas der durch seinen Willen vom Menschen zum Dämon wurde, sowie sein Gegenstück Behemot, den die Menschen, als Rache der Natur, fürchten. Die Menschen die mit ihnen ausgelassen und fröhlich feiern, sind Berufene und Auserwählte. An einem runden Holztisch, der, wie fast alles im Raum, eher auf den Sperrmüll gehört, sitzen zwei Dämonen, zwei Menschen und der Gastgeber Johannes. Ihr Lachen ist ehrlich und kräftig. Auf der mehr oder weniger festliche Tafel thront eine antike Absinthfontaine aus Kristallglas mit verzierten Silberfüßen und Feenemblem. Eine schwachblaue Flamme lodert auf dem Kopf des geschichtsträchtigen Stück Handwerkskunst. Siedender Zucker tropft langsam in die hellgrüne Brühe und schlägt Wellen, die am edel verzierten Kristallglas brechen. Ein silberner Hahn, in Form eines Totenkopfes, ist das Schmuckstück der Apparatur. Daumen, Mittel- und Zeigefinger drehen den Hahn auf, die hellgrüne, fast milchige, Flüssigkeit, läuft, durch die Augen des silbernen Totenschädels, in ein schmuckloses ausgespültes Senfglas, dem drei Colagläser und eine Tasse mit Zwiebelmuster folgen. Die Finger drehen den Hahn zu und die Tränen versiegen. Menschen und gefallene Engel tanzen, trinken und lachen, bis die Exorzisten den Raum betreten.

      Die Luft versteinert und bricht an den Schritten der Kuttenträger. Die Nadel des Plattenspielers erhebt sich von dem alten Stück Schellack als wolle sie einen Blick, über die Köpfe der Gäste, auf die Lebensmüden werfen. Allein ein Augenpaar ist nicht auf Nepomuk und Vinzenz gerichtet. Der Gastgeber erhebt sich nur gemächlich von seinem wackelnden Stuhl und zündet seinen Blunt an dem lodernden Zucker an. Er inhaliert den Rauch tief in seinen Verstand und versinkt wieder in seinem schmucklosen Holzstuhl. Er ist in Feierstimmung, er hat schließlich ein halbes Jahrhundert auf diese Nacht gewartet. Die nicht menschlichen Gäste fletschen, mit geschlossenen Mund, ihre kampferfahrenen Zähne. Nepomuk schiebt, ohne Berührungsängste, ein paar Dämonen zur Seite, bis er freien Blick auf Johannes hat. Vinzenz erhascht scheu ein paar Gesichter, die zwar ihren Hass nicht verstecken, aber alle menschlich erscheinen. In rachsüchtiger Absicht tippt eine zierliche Fingerspitze auf seine Schulter.

      Vinzenz Verstand fällt, bevor sein Körper vor Angst zucken kann. Die Berührung der Hexe Merga, eine junge exotische Frau mit Dreadlocks, übernimmt, für den Bruchteil einer Sekunde, den Verstand des gelähmten Predigers. Der menschliche Geist ist nicht dazu imstande sich die Hölle auch nur ansatzweise vorzustellen, doch Merga kann es sehr bildlich umschreiben.

      Vor Vinzenz geistigem Auge verbrennt seine Haut, der sengende Schmerz schleift sich von den Fingern bis zu seiner Stirn. Grobe Stücke platzen von seinem kokelnden Fleisch ab. Seine Zähne wachsen unaufhaltsam bis der Unterkiefer auskugelt und erbarmungslos abreißt. Beide Unterarme biegen sich über die Gelenke nach hinten bis sie mit einem dumpfen Knall brechen. Die Vision verschwindet so schnell wie sie erschienen ist. Die Hexe nimmt ihren Finger von seiner Schulter. Vinzenz taumelt als er die Kontrolle über sich selbst wiedererlangt, kalter Schweiß fliest seine Stirn hinunter, seine Augen sind weit aufgerissen. Der Geruch von Schwefel und Verwesung kriecht durch seinen Hals. Johannes lehnt sich ein Stück vor.

      Halleluja, seht an, seht an, die Pfaffen sind da. Seit Luther warten wir auf euch.

      Er haucht die Worte in sein Senfglas voll Edelabsinth.

      Ich hatte viel Spaß.

      Er nimmt einen schnellen Schluck.

      Versteht mich nicht falsch, aber ich dachte wirklich, das würde schneller gehen. Das hat scheiße lange gedauert. Wir hätten schon vor Jahrhunderten verhandeln können, aber ihr lernt ja nie dazu.

      Nepomuks Blick verharrt beinah ignorant auf Johannes, während um ihn herum die ersten Augen ihre wahren Farben offenbaren. Der Gottesmann füllt seine Lunge mit der verqualmten Raumluft.

      In nomine Patris, et …

      Im Kloster lernt man sich zu verbeugen, oder?

      Zorn mischt sich in Johannes Stimme. Er nippt wieder an seinem Absinth. Nepomuk beginnt erneut.

      In nomine …

      Ihr verbeugt euch vor dem Abt, vor dem Altar und vor…

      Vinzenz angeschlagener Verstand findet einen Moment der Klarheit und verdrängt eine Sekunde lang seine Furcht.

      Gott wird …

      Wütende Ehrlichkeit reißt seine Klauen in Johannes Stimme.

      Gott wird deine Mutter ficken, Vinzenz. Gott wird dir deine scheiß Augen auspicken.

      Nepomuks Stimme erhebt sich im knochigen Körper.

      Schweig still Dämon!

      Schweig still Exorzist!

      Vinzenz weicht erschrocken zurück, als sich Johannes Glas entzündet. Die Stichflamme sprießt über seinen Kopf hinaus, bevor