Marianne Le Soleil Levant

Skyline Deluxe


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aus den Bahnen seiner philosophischen Konstrukte, dass seine Erregtheit aus seinem Geist und somit faktisch verflog. Er vergaß sie sozusagen und die Hälfte der Arbeit war getan.

      „Spinnst du?“, wollte Thomas fragen, hielt sich aber ob der, trotz schon schön gelungener Nähe immer noch zerbrechlich flackernden Flamme ihrer neuen Freundschaft zurück und sagte: „Wieso denn das?“

      „Funktioniert es?“, fragte Chi zurück.

      Thomas schmunzelte. „Leider gut.“

      Chi nickte mit ihren Augenlidern und einem Blick zur Seite.

      „Lass jetzt dein Staunen über die Vielfalt der Wesen vernehmen.“

      Thomas setzte an, seine Bewunderung einschließlich ehrfürchtiger Verwunderung für den göttlichen Bauplan zu beschreiben: „Wenn man überlegt, dass Alles und Jedes, dabei des unübersehbaren, ja bis dato in seiner Gesamtheit nicht einmal von der gut entwickelten Wissenschaft der Neuzeit erfassten Artenreichtums mit noch einzelnen Varianten, deren Evolution immer weiter geht ...“

      Da rückte der Kellner mit dem bill an, den er dem Herrn am Tisch reichte. Thomas hatte seine Rede angesichts des auf sie zu kom­menden Chinesen unterbrochen und überflog schnell die handge­schriebene Liste ihres Verzehrs. Er zweifelte keineswegs an der Richtigkeit. So ungern Thai Spannung durch Korrekturansprüche aufbauten, so sehr gehörte es sich doch gerade bei den zahlenorien­tierten Chinesen, die Summe durch höfliche Prüfung zu bestätigen, bevor man selbstverständlich bezahlt. Bestätigung bedeutet nicht zuletzt Anerkennung.

      Chi hätte das bezahlen mögen. Er hatte das Taxi bezahlt. Hatte nicht sie ihn auf den gemeinsamen Abend eingeladen? Sicher, er wollte das sowieso anbieten. Sie war sicher, mehr Geld als er zu haben. Er hatte natürlich genug. Sie hätte das gerne bezahlt, nicht um zu zeigen, ich will nichts von dir annehmen, sondern zu sagen, du brauchst nicht um mich werben, ich werbe schon um dich. Nicht um es den Kellnern oder anderen Personen in der Umgebung kenntlich zu machen. Sie hätte ihm das Geld unter dem Tisch zugesteckt, um den öffentlichen Schein zu waren. Sie merkte, das würde so oder so keiner verstehen.

      Thomas' Erektion ging gegen null. Chi hatte in ihren Gedanken gleichmütig den Zahlvorgang nicht wahrgenommen, teilnahmslos zugesehen.

      Kaum zwei Minuten bis zum Andocken mit einem deutlichen, aber harmlosen Poltern, wenn das Boot die Autoreifengummipolsterung des Piers trifft. Sie hatten freundlicherweise gewartet und sie als Letzte abkassiert. Dafür nahte das Ende der Fahrt schneller. Sie würden auch bis zum Schluss sitzen bleiben, während die anderen Gäste ungeduldig vom Boot nach Hause drängten.

      Thomas schwadronierte sicherheitshalber noch ein bisschen.

      „Sprechen wir nur über so etwas Wunderbares wie Vögel, Möwen, Strauße, Kolibris, Tauben, Papageien, Fasane, Hühner, Pinguine, Pfauen, Adler, Störche, Falken, Schwäne, Kanarienvögel, Geier, Wellensittiche, Quetzale ...“

      „Was sind denn Quetzale?“, fragte Chi.

      „Guatemaltekisches Nationalwappentier oder wie die korrekte Bezeichnung ist. Gibt es nur in Guatemala. Sehr hübsch. Singt sehr schön. Zur Abwechslung mal fast ausgestorben. Jetzt aber geschützt. Sieht gut aus mit der Rettung. Es gibt immer noch Leute, die ihn genau wegen der Seltenheit jagen, um so etwas Seltenes selbst erlegt zu haben und als Beweis dafür die bunten langen Schwanzfedern zu besitzen.“

      „Pervers“, sagte Chi. Thomas nickte. Fast alle Gäste hatten nun geschafft, das Boot in dem geschwätzigen Pulk zu verlassen.

      „Es bleibt keine Zeit.“

      „Ich glaube, ich habe dich verstanden. Ist dein Unterleibszustand wieder gesellschaftsfähig? - Is your private area in official state?“ Thomas nickte. Dann gingen sie unter ergeben sich lächelnd verbeugenden Gesichtern nah nebeneinander still über das Landungsbrückchen. Zurück auf den betonierten Teil Bangkoks.

      Chi hatte verstanden, er wolle die unübersehbare Dimension der Schöpfung darlegen. Wie unterschiedlich und einzigartig nur bei einer Art Gattungen und Eigenarten sind. Jede in sich schlüssig, im Vergleich der Lebensweisen extrem voneinander abweichend. Mit Gelegenheit zu Schönheit und Stolz im Dasein und in diesem Fall einschließlich der epischen Fähigkeit des Fliegens versehen. Man hätte mit allen Säugetierarten weiterdenken, Amphibien, Fische und bald Insekten, sowie Krustentieren, Klein- und Kleinstlebewesen nennen können. Begeisterung über die Ausgestaltungen der Feder bis zu Schuppen, von Lungen, Kiemen und den Augen und Sinnes­organen. Bakterienwelten und Viren, Pflanzen boten leicht noch mal dasselbe an Vielfalt, wenn nicht mehr. Wieder die ausufernde Schönheit und Abwechslungsreichtum unbekannten Ausmaßes. Noch dazu gab es die Mineralwelt. Ferne Erkenntnisse zu atomarer, nukleare, subatomarer, nicht genug darunter Quanten- und Sub­quantenwelten. Verschiedene Aggregatzustände blieben da profan.

      Und über uns ein Sternenzelt in der Milchstraße als Galaxie, die im seitlichen Bereich eines Universums liegt, dessen einzelne Bausteine, wie ein Jupiter für sich, unsere Vorstellungskraft über­steigen, das aber auch schwarze Löcher als allgemein bekannt enthält und, rätselhaft wie es dem Menschen zum absolut überwie­genden Teil noch immer ist, nicht unbedingt das einzige sein muss. Worüber man schon staunen kann.

      Ihre frech doppeldeutige Frage nach dem offiziellen Stand hatte Thomas in dem angenehmen Eindruck bestärkt, sie spräche wie eine alte Freundin, ohne gehemmte Scheu vor den aktuellen Anford­erung und deren präziser Beschreibung.

      Sie war schon wieder im Spielmodus.

      „Und was jetzt?“, fragte Chi so unschuldig wie ihr möglich.

      Echt ziemlich unschuldig.

      „Wie spät ist es?“ Thomas fragte sich selbst. Er antwortete auch selbst: „Kurz nach halb elf. Es wird schwierig sein, irgendwo eine Massage zu bekommen, außer in Khaosan.“

      „Nah, ich will gar keine jetzt. Da lieg ich nur alleine auf einer Matte und hab nichts von dir“, stellte Chi praxisnah fest.

      Sie fand die Massage-Idee nicht gut.

      „Eine Bar?“, fragte Thomas.

      „Ich trinke keinen Alkohol.“

      „Gut, ich bin nicht scharf darauf“, bestätigte Thomas.

      Chi freute das.

      „Du willst doch nicht schon zurück ins Hotel?“, befürchtete Thomas das Ende dieses schönen Abends nahen. Chi neigte den Kopf.

      „Dann komm wenigstens noch mit zu Tesco, Sushi kaufen“, forderte er ein.

      „Du willst mit mir in einen Supermarkt? In der Nacht? Wir haben doch gerade gegessen“, verkündete sie die naheliegendsten Punkte ihres Unverständnisses. Sie war ehrlich überrascht über diesen Aspekt ihres Experimentes.

      „Warum nicht? Beeilen wir uns. Die machen um elf Uhr zu und am Schluss ist das Sushi immer alle.“

      Ohne Vorwurf musste sie doch noch nachfragen, wie er auf die Idee kam, mit ihr durch Supermarkthallen zu ziehen. Ja, die schon abgewiesenen Vorschläge waren nicht nach ihrem Geschmack und sie fand auch, er hatte sich nicht genug Mühe gegeben. Aber ein Supermarkt? Originell.

      „Einkaufen macht Spaß. Außerdem müssen sich Beziehungen im Alltag bewähren“, kokettierte Thomas.

      „Wir werden nicht heiraten.“, gab Chi kühl in die Argumentation.

      Thomas lachte sie an.

      „Wer redet von heiraten?“, zwinkerte er.

      „Auch Freundschaften sind Beziehungen. Partyfreundschaften sind nichts wert. Komm einfach mit oder magst du kein Sushi?“

      Er war sich seiner Sache jetzt sicher und winkte einem Taxi.

      „Da ist gleich ein Tesco in der Nähe des Hotels.“

      Immer noch ein bisschen überrumpelt kam ihr keinerlei Gegenvor­schlag in den Sinn. Im Sinne der Erinnerung an freies Geschehen­lassen folgte sie. Thomas gab dem Fahrer in seinem stolpernden Thai zu verstehen, den Tesco Lotus auf der