Marianne Le Soleil Levant

Skyline Deluxe


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aus Kontrollverlust, jäher Störung ihrer Idealromanze durch Einkaufszentren und aufrichtiger Verwirrung über den Fortgang zusammensetzte. Es war plötzlich so profan.

      Doch Thomas wusste, was er tat.

      Er wusste es nicht genau, aber es war das Richtige.

      „Wieso denkst du schon wieder ans Essen?“, begann ihre logische Analyse.

      „Ich bekomme in der Nacht meistens Hunger.“

      Eine überzeugende Erklärung. Er rechnete offenbar nicht damit, dass es zum Sex kommt. Warum eigentlich nicht, dachte Chi. Dazu bestand doch Anlass. Wollten sie nicht immer alle Sex? Sie wollte. Sicher war sie nicht. Momentan erst recht nicht.

      Thomas kümmerte sich gar nicht darum. Er erwartete nicht, dass es am ersten Abend zu Sex kommen würde. Seine Erwartungen, selbst die erotischen Hoffnungen, waren bereits übertroffen. Dachte man an das Frühstück zurück. Wer wollte glauben, das sei heute Morgen gewesen? Eine Ewigkeit.

      Im Moment glaubte er, sie werden zurück ins Hotel fahren.

      Das wollte er reichlich vordergründig und kindisch einfach hinaus­zögern. Der Sushi-Kauf ein Vorwand mit dem Vorteil auf wahrem Bedarf zu gründen. Machte es glaubhafter.

      „Magst du keinen Sushi?“, fragte er noch mal.

      „Hm, doch“, äußerte sie zögerlich. „Aber Sushi muss doch frisch sein.“ Da ging es schon los. Verpacktes Sushi aus dem Supermarkt. Was soll das sein?

      „Ist es.“ Thomas sah sie an. „Leg die Krone ab, Prinzessin.“

      Das saß.

      „Wir Japaner sind mit Sushi etwas heikel“, startete sie einen letzten Versuch.

      „Das Sushi ist doch für mich“, gab Thomas zu bedenken.

      „Was fragst du dann, ob ich welches mag?“, war nur logisch.

      Chi hatte Schwellenangst. Sie wollte nicht in ein Einkaufszentrum. Das störte ihre Idealvorstellung. Bei ihrer vor allem einführend stringenten Souveränität war sie vielleicht romantischer als der in mystischen Subquantenanalysen verstiegene Thomas. Oder war es so, dass sie ihre Romantik durch unnötige Selbstkontrolle im Griff zu halten versuchte, während er seine überbordenden Universalbe­wusstseinszustände durch wissenschaftliche Erklärbarkeit vor dem Entgleiten bewahren wollte.

      Sicher war, er wollte sie nicht gehen lassen und konnte das nicht offen sagen. Sie wollte mit ihm die Nacht verbringen und war noch nicht bereit, es zuzugeben. Deshalb zickten sie sich an. Das Schlimme war, beide hatten echte Umstände, hinter denen sie die wahre Absicht verbergen konnten. Deshalb war es so schwer sie zu durchschauen. Vor allem wenn man selbst gerade etwas verbarg, ohne es verbergen zu wollen.

      Dabei erst wenige Stunden miteinander verbracht hatte.

      Chi war in den paar Tagen der Fünf-Sterne-Idylle nicht entflohen. Sie hatte sich Taxis rufen lassen, an einer Besichtigungstour des Königspalastes teilgenommen und hatte neben dem hoteleigenen Spa ein paar Spitzenrestaurants besucht. Sie hatte sich außerhalb letztlich immer unter Aufsicht bewegt. Die Aufsicht des Ober­schichtenpersonals. Sie war natürlich nicht alleine durch die Straßen gezogen. Dazu gab es keinen Anlass. Unjapanisch. Als gefährlich würde es auch betrachtet. Auch wenn da keine allzu große Bedrohung vorlag, beachtete man die Grundregeln, blieb sie doch eine einzelne, fremde Frau. Ohne Thomas hätte sie auch diesen Abend ähnlich verbracht und war trotz dessen routinierten Umgang mit der wirklichen Welt von dem Großstadtflair des Parkplatzes, den wuselnden Menschen und dem profanen Gebäude aus der Fassung gebracht. Hätte sie gewusst, wie nahe das Hotel lag, hätte die Gefahr bestanden, sich dorthin zu flüchten. Eine schlimme Gefahr, aber keine große. Sie wollte bei Thomas sein. Und sie woll­te die Krone ablegen. Das gehörte ganz klar zum Experiment.

      „Brauchst du unbedingt Sushi in der Nacht? Der Zimmerservice tut's nicht?“, drang sie jetzt entschlossen in die Untersuchung seiner wahren Absichten vor.

      „Unbedingt nicht. Doch es sprechen mehrere gute Gründe für das Sushi: 1. Ich esse gerne Sushi. Der Zimmerservice bietet keines. Ich weiß gar nicht, ob ich eigentlich als Sushi-Fan gelten kann, denn ich mag nicht annähernd alles. Hauptsächlich California Rolls, Maki, Nigiri und das eine oder andere Zeug, von dem ich den Namen nicht kenne. Gibt es Sashimi?“

      Chi nickte langsam, sanft und streng blickend. Sie mochte ihn gerade, musste sich aber noch an die Abgas geschwärzte Parkplatz­umgebung gewöhnen, hörte ihm gerne zu und dachte insgeheim: Ich hoffe du magst Kashiwa Sushi. Sehr innen geheim.

      Und gleich riss sie sich am Riemen.

      „2. Weil ich Sushi mag, esse ich es hier bei allen Gelegenheiten. Es ist in Deutschland ziemlich und ungerechtfertigt teuer. Ist seit kurzem Mode. Früher war's noch teurer und gar nicht verbreitet. Da sind diese fertigen Packungen aus den Frischfischabteilungen super. Die sind nicht älter als zwei Stunden und luftdicht. Im Vergleich zu meiner Heimat sehr günstig und jede Menge billiger als der Zim­merservice.“

      Der Taxifahrer hatte nach der Schrittfahrt über das Gelände vor einem der Haupteingänge gehalten und ein schönes Trinkgeld be­kommen. Er fragte noch einmal mehr, ob man das Wechselgeld nicht wolle, aber Thomas winkte freundlich lächelnd ab.

      Er war sich wohl bewusst, dass dieser Fahrer einen sehr guten Weg gefahren war und in Thomas Heimatwährung handelte es sich um einen relativ geringen Betrag. Natürlich konnte der Fahrer nicht ahnen, dass der nette Herr ein Kollege war.

      „Wir haben gerade mal eine Viertelstunde und müssen uns beeilen“, sagte Thomas beim Aussteigen zu Chi. „Es ist eigentlich unhöflich so kurz vor knapp aufzutauchen. Aber sie nehmen es nicht krumm, wenn man sich beeilt und den Betrieb nicht aufhält.“

      Die Thai sind da pragmatisch. Man erwartet wohl, dass man sich einfügt und sich rechtzeitig überlegt, wann etwas getan werden soll. Umgekehrt passiert so was jedem und ist nicht eigentlich der Rede wert. Warum darüber Aufhebens machen? Kostet nur mehr Zeit. Nur möchte man selbst es ebenso halten. Sicher wird niemand den Kunden abhalten, sein Geld auszugeben.

      Vor allem, wenn er es schnell tut. Und kein Aufhebens macht.

      Chi sah ihn an und folgte. Er war wirklich realistisch.

      Die Menschenströme waren von innen nach außen gerichtet. Die meisten liefen gesenkten Hauptes uninteressiert an ihnen vorbei. Manche blickten das feine Paar kurz erstaunt an. Die für Einkaufs­zentren typischen, vermieteten Stände vor und um den eigentlichen Verkaufsbereich wurden schon zusammengeräumt oder waren bereits geschlossen und abgedeckt.

      Niemand rechnete noch mit Geschäft. Der Tag war vorbei und man wollte nach Hause. Dies waren alles selbstständige Unternehmer. In den Filialen der Kleinrestaurantketten und Eisdielen saßen noch Leute. Innen dauerte es noch bis sich die Letzten zur Kasse fänden. Thomas schnappte sich am Eingang einen Einkaufskorb und steuerte nach kurzer Orientierung auf den Frische-Bereich zu, vorbei an einer Vielzahl der frischen, hübsch präsentierten Früchte des Landes, die sogleich Chi's Aufmerksamkeit erregten. Sehr europäische Äpfel waren auch darunter. Sie musste aufholen, als Thomas sich nach ihr umblickte, da er zur Fischabteilung hinter die Rolltreppen abbog. Ich laufe einem Mann nach, dachte sie kurz und schmunzelte innerlich über sich selbst.

      Er hatte richtig Glück, denn es waren noch einige Packungen und reichlich Californias und Makis da. Zufrieden schmiss er sechs Packungen in den Korb.

      „Ist das nicht ein bisschen viel?“, fragte Chi.

      Thomas sah sie nachdenklich an, ohne ein Wort zu sagen und schmiss noch zwei Packungen mit Nigiri, Eierstich und diesen grünen Nudeln hinterher. Auch Chi blieb stumm.

      „Komm, lass uns noch schnell rumschauen“, schlug er vor.

      „Was willst du jetzt noch kaufen?“

      „Ist doch egal, schau einfach.“

      Chi fing an wahrzunehmen, wie gelassen die Thai noch immer durch die Verkaufshalle den Kassen zuglitten und wie sie als Mischung würdiger Alter, kichernder Freundinnen, Ehepaaren mit Kind im Wagen und Einzelnen