J.C. Caissen

Brüder mit schlanken Beinen


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       Brüder mit schlanken Beinen Autor: J.C.Caissen

      Impressum

      Brüder mit schlanken Beinen

      Autor: J.C.Caissen

      Copyright: © 2013 Cornelia Ahlberg

      Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin

      www.epubli.de

      ISBN 978-3-8442-5318-4

      Inhaltsverzeichnis

      Vorwort

      Ein jedes Kind hat seine eigene Kindheit und seine eigenen Eltern, auch wenn es zusammen mit Geschwistern in derselben Familie aufwächst, so ist die Kindheit des einen Kindes nicht vergleichbar mit der des anderen Kindes. Jedes Kind erlebt so seine Kindheit von sich selbst ausgehend und unterschiedlich zu der der Geschwister.

      Die Tage, jeder einzelne, die da kommen und gehen – wusstest du, daß genau das dein Leben ist? Beginne zu leben,- heute, nicht erst morgen! So lange du lebst, kann die Wirklichkeit immer wieder verändert werden. Erst wenn du stirbst, ist alles statisch.

      Dieses Buch ist meinem Sohn gewidmet.

      1

      Ihr war ein wenig kalt, und sie hielt sich immer noch am Baum fest, den Schlüpfer auf Halbmast in den Kniekehlen.

      Corinna war gerade vier Jahre alt und wollte nur im Sandkasten spielen. Käthe, die Kittelschürze hatte sie halb offen, kam aus dem Haus gerannt, wütend und schimpfend, hatte sie es verdammt eilig, zu Corinna zu kommen.

      „Was machst Du denn da? Du verdammter Taugenichts, lass sofort die Kleine in Ruhe!“

      Corinna begriff gar nicht, was hier eigentlich gerade geschah. August, der nette Onkel, der älterer Bruder von Käthe, hatte sie doch nur gebeten, den Schlüpfer mal runter zu ziehen, und ihr dann dabei etwas geholfen.

      Nun zog sie ihn langsam wieder hoch. Sie schämte sich, doch wusste sie eigentlich nicht richtig warum, und sie hatte Angst, da Käthe jetzt mit ihr schimpfen würde. August kannte sie seit sie Käthe kannte. Käthe, die nicht mehr ganz taufrische, schlampige Arbeitslose, die oft auf sie und die Brüder aufpasste, wenn die Mutter arbeiten mußte. Käthe lebte zusammen mit ihnen in einer Wohnung. Eine miese Wohngegend, hässliche Häuser mit vielen Wohnungen, zerbeulte Mülltonnen an einem schmutzigen Abstellplatz vor dem Eingang. Elstern hatten Mülltüten aus halboffenen Tonnen herausgezerrt; deren Inhalt lag nun verstreut auf dem Gehweg. Einige abgewetzte, nicht mehr so grüne Rasenflächen mit braunen Trampelpfaden, ein paar Bäume, alte, schon sehr magere, zerzauste Büsche, eine rostige Schaukel, einer der Sitze hing seit langem nur noch an einer Kette, drumherum ein Zaun, der an einem Ende herunter getreten war, eine Bank, ein Sandkasten, dessen Sand schon vor Jahren hätte ausgetauscht oder zumindest aufgefüllt werden müssen, eben der Sandkasten, an dem Corinna spielen wollte, daneben ein schief hängender Papierkorb, alles an einer Durchfahrtsstraße, trotzdem nicht viel Verkehr eigentlich, irgendwo in der Peripherie von Bielefeld.

      Wie waren sie eigentlich dort gelandet? Eine unschöne, aber vielleicht sogar für die Zeit nicht unübliche Geschichte.

      Corinnas Eltern und die Geschwister wohnten bei der Großmutter, der Mutter von Werner, Corinnas Vater. Großmutter Alwine war beileibe keine einfache Frau. Sie war herrisch, liebte ihren Sohn Werner über alles, - hatte ihn im Griff - und hatte von Anfang an eine Abneigung gegenüber ihrer Schwiegertochter Ruth, dem schmutzigen Flüchtling von drüben, aus dem Osten. Wo immer sie konnte, schikanierte sie Ruth, und abends, wenn Werner und Ruth schon zu Bett gegangen waren, klopfte sie gern noch einmal an deren Zimmertür, trat ein und wollte „nur schnell“ noch etwas mit ihrem Sohn besprechen, während sie bei ihm auf der Bettkante saß und seine Hand tätschelte. Ruth hätte sie am liebsten aus dem Zimmer geworfen, hielt aber lieber den Mund. Sie waren ja auf ihr Wohlwollen angewiesen. So versuchte sie immer den Mund zu halten und es der Schwiegermutter irgendwie recht zu machen, die sie jedoch kritisierte oder beleidigte oder sie ständig belächelte. Werner sah dies oft, knirschte mit den Zähnen, war aber nicht Manns genug, seine Mutter in die Schranken zu weisen, stattdessen suchte er verzweifelt um eine Sozialbauwohnung an, für sich und die Familie, um der Situation zu entfliehen. Das Amt bewilligte ihnen aber nie eine Wohnung, denn sie hatten ja eine schöne Bleibe bei der Mutter.

      Es gab andere Familien, denen es viel schlechter ging, die nirgendwo eine Bleibe hatten.

      Das Verhältnis zwischen Mutter Alwine und Werners Frau Ruth wurde immer unerträglicher. Die junge Ehe wurde auf eine schwere Probe gestellt. Die Alte wusste nur zu gut, die Abhängigkeit der jungen Familie auszunutzen.

      So kam der verzweifelte Werner eines Tages auf die wahnwitzige Idee, eine schöne, teure Wohnung anzumieten, dessen Miete er niemals würde bezahlen können. Er wollte sie auch gar nicht bezahlen, aber das behielt er für sich. Und tatsächlich fand er einen Vermieter, der ihm vertraute. Bereits die zweite Miete blieb er schuldig, und so wurden sie einige Monate nach dem Einzug auch gleich wieder aus der Wohnung heraus geklagt und in eine Siedlung für Obdachlose verwiesen, in eben diese Unterkunft, in der sie die Räumlichkeiten nun mit Käthe teilen mußten. Das war Werner zunächst erst einmal egal und Teil seiner Taktik. Denn nun endlich standen sie, die Familie mit drei kleinen Kindern, auf der Warteliste für eine eigene Sozialbauwohnung. Das war Werners verrückter Plan gewesen, der auch schließlich aufging, allerdings war der Weg dorthin sehr unschön, kostete Nerven und dauerte länger als er es sich eigentlich gedacht hatte.

      Nun mußten sie sich erst einmal die Zimmer in dieser Wohnung für Obdachlose teilen, Käthe, die Eltern, die beiden Jungs und Corinna. Es war nicht klar, wer eigentlich bei wem wohnte, Corinna und ihre Familie bei Käthe oder umgekehrt. August wohnte nicht zusammen mit Käthe, aber eigentlich kam er zu oft vorbei, um Käthe zu besuchen und lungerte um die Häuser herum. „Mach, daβ du wegkommst, du elender Nichtsnutz, bringst mir nur Ärger. Wir sprechen uns noch.“ Käthe war hochrot im Gesicht. Sie war nun am Sandkasten, riss Corinna am Arm, weg von August, der sich linkisch, mit hochgezogenen Schultern davonschlich, ohne Eile. Sie zerrte Corinna ins Haus, murmelte irgendwas vor sich hin, wütend, aber sie redete nicht mit ihr, ließ sie einfach nur in der Diele irgendwo stehen und verschwand in der Küche. Corinna ging in das Zimmer, das die drei Kinder mit den Eltern teilten.

      Die Gardinen waren nicht richtig aufgezogen, es war düster im Zimmer. Corinna setzte sich in eine Ecke, ihren großen Teddy Lullu fest an sich gedrückt. Was war denn nur geschehen? Ihr hatte es auch nicht gefallen, daß August an ihr herum fingerte, aber er hatte sie nicht angeschrien, so wie Käthe das oft tat. Er hatte ganz sanft gesprochen. Käthes Schreien war ihr noch im Ohr, es war furchtbar, sie mochte nicht, wenn jemand schrie.

      Am Abend las ihr der Vater die Gutenacht-Geschichte vor, wie immer. Das waren die schönsten Momente, denn sie liebte ihren Vater und wenn sie groß sein würde, wollte sie ihn heiraten, das war schon so gut wie abgemacht.

      „Papi. Der August hat mir heute die Hose runter gezogen, und die Käthe wurde ganz, ganz böse, und dann durfte ich nicht mehr im Sandkasten spielen.“

      „Was sagst Du da? Was hat der August gemacht?“ Der Vater ließ erschrocken die Hände sinken, die das Buch hielten.

      Corinna erschrak. Hatte sie jetzt etwas Falsches gesagt? Würde der Vater jetzt mit ihr schimpfen? Wahrscheinlich hätte sie es gar nichts sagen sollen. Sie wickelte den Bettdeckenzipfel um den Daumen und saugte an ihm, bis er ganz feucht war.

      „... der hat doch nur gesagt, ich soll mal stillhalten, er wollte was nachgucken.“

      Mehr wollte sie aber nicht sagen, und der Vater nahm auch wieder das Buch zur Hand und las weiter. Aber irgendwie war die Stimmung dahin, sein Gesicht war nicht mehr so harmonisch, und die Vorlesestunde wurde auch viel eher als sonst üblich beendet.

      Corinna drückte Lullu an sich und hörte Stimmen durch die angelehnte Zimmertür. Käthe und die Eltern redeten aufgeregt durcheinander. Käthe war jetzt nicht mehr so laut wie am Sandkasten, aber die Stimme des Vaters klang drängend, fast bedrohlich. Irgendwann fielen ihr aber einfach die Augen zu.

      „Heute gehen wir einen Arzt besuchen, nur du und ich. Ich will