Christine Boy

Das Blut des Sichellands


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grinste.

      "So, könntest du das? Ich sage dir, was dein Problem ist. Nicht, dass du keine Zeit für sie hast. Kein Feind dieser Welt könnte dich davon abhalten, dich um dein Kind zu bemühen. Und um uns herum herrscht Frieden. Nein, Tatsache ist ja wohl, dass du gerade versuchst, die unangenehmen Dinge auf andere abzuwälzen. Du willst mit ihr Ausritte machen, ihr irgendwann selbst die Grundlagen des Säbelkampfs beibringen. Du willst ihr die Welt zeigen und ihre Fortschritte bewundern. Aber du bringst es nicht über dich, ihr auch die weniger schönen Seiten des Lebens zu zeigen. Tadel. Kritik. Grenzen. Und Strafen. Das möchtest du anderen überlassen und jetzt gerade versuchst du, mir das Ganze zuzuschieben, weil du siehst, dass deine Dienerschaft damit überfordert ist. Das, verehrter Saton, solltest du endlich einmal erkennen."

      Am nächsten Morgen stand Saton unschlüssig vor der Schlafzimmertür seiner Tochter. Er hatte nach dem wenig erfreulichen Gespräch mit Wandan keinen Schlaf mehr gefunden und die Nachtstunden damit zugebracht, über die Worte seines Freundes nachzudenken. Und er war zu einer Entscheidung gekommen, die aufrechtzuerhalten ihm schon jetzt mehr als schwer fiel.

      Es war noch früh. Jakven, der Diener, der Lennys wecken und zum Frühstück bringen sollte, würde frühestens in einer Stunde kommen, doch der Shaj wollte nicht länger warten. Sechs Jahre waren schon zu lang gewesen.

      Er atmete tief durch und öffnete die Tür ohne zu klopfen. Und hielt erstaunt inne.

      Davon überzeugt, sein Kind würde noch wohlig in die Laken gekuschelt träumen und ihm die unerwartete Störung übelnehmen, war er nun umso überraschter, als er Lennys bereits vollständig angezogen in der Mitte des Raumes stehen sah. Was ihn aber beinahe gänzlich aus der Fassung brachte, war der Gegenstand, den sie in der Hand hielt.

      "Wo hast du den her?" fragte er, sogar noch eine Spur barscher als beabsichtigt.

      Lennys, nicht minder erstaunt über das plötzliche Erscheinen ihres Vaters, betrachtete unwillkürlich den kleinen Shajkan, den sie gerade noch durch die Luft geschwungen hatte. Ihre Wangen nahmen einen Hauch von Rosa an.

      "Das ist meiner!"

      Noch ehe das Mädchen reagieren konnte, nahm Saton ihr die Waffe ab.

      "Ich habe gefragt, wo du ihn her hast!" wiederholte er streng, doch Lennys stampfte trotzig auf.

      "Und ich habe gesagt, es ist meiner! Du darfst ihn mir nicht wegnehmen! Er gehört mir!"

      "Nein, das tut er nicht. Die heiligen Waffen dieses Landes gehören allein den Gebietern der Nacht und das bist du nicht. Also?"

      Er sah an ihren Augen, dass sie unmittelbar davor war, sich in einem ihrer berühmten Wutanfällen zu ergehen und dieses eine Mal versuchte er nicht, ihn abzuwenden. Und tatsächlich brach der Zorn des Mädchens nun aus ihr heraus.

      "Ich bin deine Tochter! Wenn du so etwas haben kannst, kann ich das auch! Gib ihn mir wieder!"

      "Nein."

      "Ich will ihn wiederhaben!" schrie Lennys jetzt. "Du hast selber einen! Alle hier haben einen! Ich will ihn sofort zurück!"

      Saton fragte sich einen Moment lang, ob sie versuchen würde, sich den Säbel mit Gewalt zu holen. Das wagte das Kind aber dann doch nicht. Stattdessen starrte sie ihn wütend an und suchte offenbar nach Argumenten, die ihre Forderung noch deutlicher machen konnten. Er nutzte die kurze Pause in ihrem Ausbruch.

      "Solange du mir nicht sagst, woher du ihn bekommen hast, bleibt er bei mir."

      Doch kaum, dass er dies ausgesprochen hatte, erkannte er den Fehler in seinen Worten.

      "Vom Hufschmied unten bei den Ställen!" antwortete Lennys sofort und streckte verlangend ihre kleine Hand aus. "Gib ihn mir zurück!"

      "Vom Hufschmied?" Saton besah sich den Shajkan genauer. Er war zweifellos für Lennys angefertigt worden, denn er hatte genau die richtige Größe. Aber er war ansonsten nicht mit den edlen Säbeln dieser Art vergleichbar. Mit stumpfer Klinge, aus einfachem Eisen und ohne die kunstvollen Verzierungen, die man sonst von den Waffenschmieden der Burg kannte, wirkte diese Klinge eher wie ein Spielzeug. Und doch war sie keines. Gelogen hatte Lennys offenbar nicht. Ein Hufschmied hätte durchaus das Wissen und die Fertigkeiten gehabt, deine solche Waffe herzustellen.

      "Du hast gesagt, du gibst ihn mir, wenn ich dir sage, woher ich ihn habe!" Noch immer streckte Lennys ihrem Vater störrisch die Hand entgegen. "Gib ihn mir!"

      "Nein, das habe ich nicht gesagt. Ich sagte, du bekommst ihn auf keinen Fall vorher. Das ist etwas anderes."

      "Ich will ihn zurück!"

      "Du wirst ihn nicht zurückbekommen. Vorerst nicht." Saton war plötzlich ganz ruhig geworden, doch dieser sachte Ton erzürnte Lennys nur noch mehr.

      "Du musst ihn mir geben!" schrie sie und Saton zuckte in Anbetracht der Lautstärke unwillkürlich zusammen. "Es ist meiner! Man darf ihn mir nicht stehlen!"

      Auf dem Gang ertönten Schritte und der Diener, der eigentlich noch gar nicht erwartet wurde, stolperte in das Zimmer.

      "Herrin Lennys, ist alles in... oh." Als er die Anwesenheit des Shaj bemerkte, wich Jakven erschrocken zurück. "Verzeiht, hoher Shaj, ich wusste nicht, dass ihr hier seid."

      "Davon gehe ich aus." nickte Saton. "Du kannst wieder gehen, ich werde mich heute selbst um meine Tochter kümmern."

      "Wie ihr wünscht."

      "Aber vorher wüsste ich gern, wer dich angewiesen hat, sie 'Herrin' zu nennen."

      Der Diener lief rot an. "Nun, hoher Shaj... ich dachte... nun, sie hat es sich gewünscht und da sie ja eure Tochter ist, dachte ich..."

      "Ich verstehe. In Zukunft lässt du das. Nenne sie bei ihrem Namen und nichts weiter. Und jetzt lass uns bitte allein."

      "Sehr wohl, hoher Shaj, sehr wohl. Verzeihung..."

      Kaum dass sich die Tür hinter Jakven wieder geschlossen hatte, begann Lennys erneut zu toben.

      "Gib mir meinen Shajkan zurück!" forderte sie, als seien sie gar nicht unterbrochen worden.

      "Genug jetzt!" Nun war es Saton, der laut wurde. "Ich denke, es ist Zeit, dass wir uns einmal ausführlich unterhalten, junge Dame. Und du wirst mich nicht unterbrechen, sondern mir zuhören. Hast du mich verstanden?"

      "Ich habe Hunger!" war die patzige Antwort.

      "Das ist dein Problem. Wärst du gestern zum Abendessen gegangen, wie ich es von dir erwartet habe, dann würde dir das Warten jetzt nichts ausmachen. Setz dich da hin!"

      Er deutete auf den Rand ihres Bettes und stellte erleichtert fest, dass sie seiner Anweisung Folge leistete, wenn auch höchst widerstrebend.

      Es fiel ihm schwer, sie anzusehen. Jahrelang hatte er den Anblick ihrer schwarzen Augen in sich aufgesogen, hatte darin jene erkannt, die er einst so sehr geliebt hatte und sich dabei stets in Gedächtnis gerufen, dass ein Teil Curedas immer noch lebte. Doch jetzt ertrug er dieses Funkeln nicht. Er ertrug es nicht, jenem kleinen Geschöpf, das vor ihm saß, weh tun zu müssen und mit ihr zu streiten.

      Lenyca war sein ein und alles. Und genau das war das Problem. Sie wusste es. Sie wusste, dass er alles für sie tun würde, dass er ihr alle Fehltritte verzeihen und alle Wünsche gewähren würde und dass er ihr nie wirklich böse sein konnte. Und doch hatten Wandans Worte in der vergangenen Nacht etwas in ihm bewegt.

      So konnte es nicht weitergehen.

      Er zog einen Stuhl heran und setzte sich direkt vor sie.

      "Lenyca..."

      "Lennys!" konterte sie, ohne zu zögern.

      "Nein. Lenyca. Das ist dein Name. Wie du dich von anderen rufen lässt, ist deine Sache. Aber ich werde dich bei deinem Namen nennen, wann immer ich es will. Und jetzt bist du mal einen Moment still."

      In seiner sanften, tiefen Stimme lag eine Endgültigkeit, die keine Widerworte mehr duldete.

      "Ich denke, ich muss dir dringend einige Dinge erklären. Und du