Christine Boy

Das Blut des Sichellands


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will ihn aber!"

      "Dann tu, was ich dir gesagt habe. Es bleibt dabei. Ich werde den Säbel jetzt wieder zum Hufschmied bringen und ich werde ihm sagen, dass er ihn dir erst geben soll, wenn du ihn bezahlst. Und ich werde auch mit allen anderen Menschen in Vas-Zarac reden und sie anweisen, dass du nichts mehr ohne Gegenleistung bekommst. Keine Geschenke. Keine Dienste. Du wirst dein Zimmer von nun an selbst aufräumen. Du wirst selbst zum Brunnen gehen, wenn du etwas trinken möchtest und du wirst lernen, um Hilfe zu bitten und sie nicht zu fordern."

      "Ich soll... was?" Lennys glaubte, sich verhört zu haben.

      "Auch das ist eine Art von Bezahlung. Wenn du möchtest, dass jemand etwas für dich tut, musst du lernen, ihn darum zu bitten. Du musst sehr viel in deinem Leben leisten, um dir genug Respekt zu verdienen, der es dir erlaubt, Dienern einen Befehl zu geben. Bis jetzt hast du aber nichts dergleichen getan. Und deshalb musst du dasselbe tun, wie alle anderen. Du musst darum bitten."

      "So etwas mache ich nicht!"

      "Dann wirst du in Zukunft sehr vieles ohne fremde Hilfe regeln müssen. Auch das tut dir nur gut."

      Er stand auf.

      "Aber..."

      "Ich denke, es ist alles gesagt. Und du bist nicht dumm, Lenyca. Du hast mich sehr wohl verstanden. Wenn ich sehe, dass du meine Anweisungen befolgst und ein bisschen weniger fordernd wirst, werde ich dir auch wieder etwas mehr entgegenkommen."

      Er ging zur Tür.

      "Muss ich für das Essen auch bezahlen?" fragte Lenyca plötzlich.

      Saton hielt inne. Sie war ein Kind. Zugegeben, ein verzogenes Kind. Aber das war nicht ihre Schuld.

      "Nein, das musst du nicht. Das einzige, was du dafür tun musst, ist, pünktlich zu den Mahlzeiten zu erscheinen. Wenn du zu spät kommst und dich nicht dafür entschuldigst, bekommst du nichts. Das ist alles was ich erwarte."

      "Ich soll mich... entschuldigen?" Sie klang nicht minder entsetzt als in dem Moment, in dem Saton gefordert hatte, sie solle bitten.

      "So ist es. Du musst noch vieles lernen."

      Die folgenden Tage und Wochen kosteten Saton weit mehr Kraft, als er erwartet hatte. Es verging kaum eine Stunde, in der er nicht Lennys' wütende Schreie durch die Burg hallen hörte oder in denen ein völlig entnervter Diener den Shaj um seinen Rat bezüglich seiner Tochter bat. Hätte Wandan ihn nicht fortwährend in seiner Unerbittlichkeit bestärkt, wäre Saton vielleicht schnell wieder weich geworden. Doch er musste auch einsehen, dass sein Freund recht hatte. Wovor er jahrelang die Augen verschlossen hatte, trat nun immer offensichtlicher in Erscheinung. Lenyca Ac-Sarr hatte bereits mit sechs Jahren gelernt, die gesamte Dienerschaft zu kontrollieren, Befehle zu erteilen und ihr ganzes Leben darauf auszurichten, dass alles nach ihrem Willen geschah.

      Aber es gab auch kleine Erfolge zu verzeichnen. Das Mädchen hatte tatsächlich noch am selben Tag, an dem Saton ihr zum ersten Mal in ihrem Leben Grenzen aufgezeigt hatte, ihr Zimmer in einen recht ansehnlichen Zustand versetzt, wobei sie allerdings zu dem Schluss gekommen war, dass es einfacher war, Dinge wegzuwerfen, als sie in Ordnung zu bringen. Dass sie noch am selben Abend von Wandan ihren Shajkan zurückbekam und zudem noch die ersten Grundlagen der Säbelhaltung erlernte, hätte sie in der Richtigkeit ihres Tuns bestätigen sollen, doch sie nahm den Besuch des obersten Cas eher gelassen und wie selbstverständlich hin. Saton ließ es vorerst dabei bewenden. Dass seine Tochter zum ersten Mal überhaupt eine Forderung erfüllt hatte und eine von ihm erwünschte Leistung erbracht hatte, freute ihn und er wollte sich diesen Erfolg nicht zunichte machen, indem er kleinlich auf Einzelheiten pochte. Diese Großzügigkeit rächte sich allerdings umgehend, als Lenyca bereits am nächsten Tag nach Wandan und der Fortführung des Trainings verlangte.

      Und so hatte Saton noch strenger werden müssen. Die Dienerschaft Vas-Zaracs wie auch die Cas staunten nicht schlecht, als der Shaj verlauten ließ, wie seine Tochter fortan zu behandeln sei, doch die Strenge seiner Worte ließen keinen Zweifel daran, wie ernst ihm die Angelegenheit war. Jedoch hatten diese konsequenten Erziehungsmethoden eben jenen hohen Preis, der sich jetzt auf die ganze Burg auswirkte. Diener, deren Nerven blank lagen, trotziges Geschrei auf den Gängen, allerlei zerbrochenes Geschirr und drei Kinderfrauen, die den Shaj weinend um ihre Versetzung in ein anderes Aufgabengebiet baten.

      Wohl zum hundertsten Male frage sich Saton, ob es nicht für alle Beteiligten einfacher und friedvoller wäre, Lennys ein für alle mal nachzugeben. Aber die Natur hatte den Shaj mit zu viel Vernunft gesegnet und er war sich sicher, dass er ein weiteres Zurückweichen seinerseits ein Leben lang bereuen würde.

      Müde rieb er sich die Augen. Vor ihm lag ein Schreiben des Batí-Priesters Mondor. Er war nicht mehr in der Lage, dem Brief die volle Aufmerksamkeit zu schenken, doch das musste er auch nicht. Er kannte den Inhalt. Schon seit Jahren. Eine einst verwegene Idee, die inzwischen jedoch weniger phantastisch erschien und schon bald konkretere Formen annehmen würde. Ein Schritt, der Geschichte schreiben würde. Und der die volle Konzentration aller drei Shajs forderte.

      Konzentration, die Saton im Augenblick nicht aufbringen konnte. Er rollte das Pergament wieder zusammen. Noch war genug Zeit. Er musste und durfte nichts überstürzen. Vielleicht würde es sogar noch Jahre dauern, bis er sich wirklich mit diesem Problem auseinandersetzen musste. Selbst Mondor gab zu, dass man langsam vorgehen müsse.

      Sein Blick fiel auf die Scherben eines Kristallkelchs, die ausgebreitet auf einem Stück Tuch vor ihm lagen. Sie waren das Ergebnis eines Streits gewesen, der an diesem Nachmittag zwischen Lennys und Alasna stattgefunden hatte. Alasna, die sich schon längst von ihrem Dienst als Kinderfrau losgesagt hatte, auf Satons Drängen hin aber noch einmal zurückgekehrt war, weil die eigentlich zuständige Dienerin plötzlich erkrankt war.

      Erkrankt.

      Saton seufzte. Bisher war keine der "Erkrankten" wieder zurückgekehrt, sondern hatte sich lieber eine andere Arbeit gesucht.

      Alasna ließ sich von Lennys vielleicht weniger gefallen als ihre Vorgänger und Nachfolger, aber ihr fehlte auch das Geschick im Umgang mit dem Mädchen. Nur allzu schnell verlor sie die Geduld, wenn es um die Launen der Kleinen ging und sorgte so dafür, dass die lautstarken Auseinandersetzungen nur noch schneller und heftiger hervorbrachen.

      Es war um nichts Besonderes gegangen. Das tägliche Spiel. Lennys testete ihre Grenzen, mit Vorliebe, wenn es um die Essenszeiten ging. Entweder erschien sie pünktlich oder gar nicht, doch nicht ein einziges Mal nach jenem denkwürdigen Gespräch in ihrem Schlafzimmer, hatte sich das Kind für seine Versäumnisse wie gefordert entschuldigt.

      Und Alasna hatte sie, wie so oft, zurechtgewiesen. Vielleicht etwas lauter als angemessen. Die Antwort wurde ihr in Form des Kelchs entgegengeschleudert.

      Wie so oft.

      "Ich frage mich, von wem sie das hat...." sagte der Shaj leise zu sich selbst und er fuhr überrascht zusammen, als eine bekannte Stimme antwortete.

      "Das dürfte doch offensichtlich sein."

      "Meine Güte, Wandan, du hast mich erschreckt. Kannst du nicht anklopfen?"

      "Verzeih. Die Tür stand halb offen. Darf ich eintreten?"

      "Natürlich... natürlich." Der Shaj klang müde. "Was meinst du damit, es sei offensichtlich?"

      "Das muss ich dir doch nicht sagen. Du kannst es kontrollieren. Du hast es gelernt. Sie noch nicht. Er ist in euch beiden und ich muss sagen, bei deiner Tochter ist das kaum zu übersehen."

      "Möglich." Saton behielt seine wahren Gedanken für sich. Er hatte noch nie mit jemandem über das gesprochen, was Cureda ihm kurz vor ihrem Tode gestanden hatte. Auch nicht mit Wandan. Lenyca war die Erbin der Nacht, das wussten Mondor, Wandan und ein weiterer Cas, der gemäß der alten Gesetze nach Curedas Tod in den Kreis der "Drei" aufgenommen worden war. Doch was die Himmelslinie anging, so kannte nur er, der Shaj, das Geheimnis. Eines Tages musste er es Lenyca sagen. Wenn sie soweit war. Wandan hingegen konnte es nicht ahnen. Für ihn lag der Grund für Curedas Tod in einer gefährlichen Krankheit und nicht in der Vermischung der heiligen Linien.

      "Warum